Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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könnten anders als primordiales Netzwerk oder prägendes Gefüge begriffen werden, als eine Art archi-theatrale in sich zusammen gehaltene unauflösbare Zerklüftung oder Konstellation, die sich, wenn überhaupt, so nur aus dem Gegenstand heraus erschließen lässt, nachträglich und in jeder Lektüre je einmalig. Mit den theater- und tanzwissenschaftlichen Analyse-Katalogen6 sind alle Einzelaspekte einer Aufführung zu erkunden und ist das, was sie als Ganzes ausmacht, in seine Teile zu zerlegen – in einer ihrer Tendenz nach unendlichen Bewegung der Auflösung. Über diese Kataloge hinaus muss in dem Maß, in dem eine Aufführung geprägt ist von dem, was ihr als Rahmen vorausgeht und was sich mit ihr in ihrer späteren Erinnerung verknüpft, die Analyse einer Inszenierung auch aufgreifen, was als Dispositiv die Vorgänge im Rahmen einer künstlerischen Arbeit begründet wie begrenzt. Und schließlich wären über die Analyse dieses voranfänglichen Gefüges hinaus die immer noch kommenden je anderen Adressat*innen7 mitzubedenken, so oder so also das Netzwerk, das jedem ‚Theater des Menschen‘ im klassischen Sinne vorausgeht und es überdauert.

      4. Der unterbrochene Weg – die Verantwortung der Theaterwissenschaft

      Was aber heißt, bezogen auf die Frage nach ihrer Methode, die Übernahme der Verantwortung für die Aporien der Alterität wie der Singularität eines jeden Gegenstandes der Theaterforschung? Wenn der Begriff der Methode, entlehnt aus dem spätlateinischen ‚methodus‘ vom griechischen ‚methodos‘1, vom Weg auf ein Ziel hin spricht, so wäre vor dem Hintergrund des hier Dargelegten auf die Frage nach der eigenen Methode einer Theaterwissenschaft, zumindest einer, die sich als Vergleichende und Allgemeine begreift, als Antwort zu geben, dass für diese Methode in jedem Fall – paradoxerweise – der potentielle Verzicht auf das Eigene charakteristisch sein müsste, der mit Blick auf das Ziel hin – am Verständnis dessen zu arbeiten, was sich dem gegenwärtigen und vielleicht jedem Verständnis widersetzt – unterbrochene Weg.

      Die Theaterwissenschaft gibt es erst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, ein Nachdenken über das ‚Theater‘ – in unterschiedlichster Form und mit unterschiedlichstem Verständnis dessen, was dieser Begriff umfasst – aber bereits seit der Antike. Mit Blick auf das in der Theaterwissenschaft wie über sie hinaus aufgetauchte Problem der Alterität des Singulären wäre aber zu betonen, dass sich aus heutiger Sicht nicht sagen lässt, ob die Begründung einer eigenständigen Disziplin der Theaterwissenschaft von Dauer sein wird oder ob sie mit Blick auf die in ihr vorübergehend vergessene Krise des Gegenstandes nur eine Form der Verdrängung dessen darstellt, was unter dem Namen des Theaters seit der Antike das Denken von Sprache, Kultur und Philosophie immer wieder von Neuem heimsucht. Eine Theaterwissenschaft, die es mit dem unter dem Vorzeichen des Singulären aufgetauchten Zweifel am Ganzen aufnehmen will, muss in jedem Fall, darin der über ihr Ende nachdenkenden Philosophie2 verwandt, zu allererst die mit ihrem Namen gesetzten Voraussetzungen – das Theater wie die Wissenschaft – radikal infrage stellen. Eine am Singulären orientierte Theaterwissenschaft ist eine solche, die sich dieser Infragestellung und insofern ihres Hervortretens aus einem abendländischen Denken und einer Tradition des Ästhetischen bewusst ist, damit aber einer Tradition der Auflösung, der sie sich im Einklang mit den Künsten nicht entledigen kann, der sich zu stellen zunächst aber heißt, um der Gegenstände und ihrer Fragen willen die Zertrümmerung aller vermeintlichen Grundlagen, von denen ausgegangen werden könnte, hinzunehmen. Wenn es von daher nicht sicher sein kann, ob es überhaupt eine Wissenschaft vom Theater geben kann, so lässt sich doch mit Sicherheit sagen, dass jede gegenwärtige Theaterwissenschaft, sofern sie die Erfahrung der Sprache und der Anderen, der Alterität des Singulären, an die hier exemplarisch, vom Denken Benjamins, Derridas, Spivaks und verschiedener an sie anknüpfender Wissenschaftler*innen her, erinnert wurde, nicht vergessen will, von dieser Unsicherheit ihren Ausgang zu nehmen hat.

      Theatergeschichte machen. Überlegungen zu einer praxeologischen Theaterhistoriographie

      Meike Wagner

      Wir hatten Glück: Die Reiseführerin war eine gut informierte und kommunikative junge Frau, die eine gute Vorstellung davon hatte, was eine Gruppe von Theaterwissenschaftlern*innen am Gripsholmer Schlosstheater wirklich interessieren würde.1 Wir erhielten genau Informationen über den Theaterbau, der aus einem der vier Schlosstürme exzessiv herausragt, über die historische Epoche von Gustav III und den Sinn und Zweck des Theaters in der Zeit. Wir wurden auf die Gucklöcher hoch über dem Zuschauerraum hingewiesen, die ein heimliches Spähen auf die Bühne erlauben, und wir wurden in den Raum hinter die Bühne geführt, um einen Blick auf die Theatermaschine zu erhaschen. Die ganze Führung war außerordentlich informativ – es blieben jedoch viele Fragen offen. Wir wurden in einem kostbaren und vielversprechenden historischen Artefakt alleine zurückgelassen, wir hatten die nötigen Informationen, um es historisch zu kontextualisieren. Dennoch spürte ich eine unbefriedigende, nagende Leere als ich auf die still daliegende Bühne schaute. Einige Kollegen der Gruppe wünschten sich, eine Aufführung sehen zu können, um das performative Potential der Bühne zu erleben. Andere wollten die Rolle des Gripsholmer Theaters im 18. Jahrhundert weiter diskutieren. Ich selbst hatte ein großes Verlangen, auf die Bühne zu treten, die historischen Holzplanken unter meinen Füßen zu spüren, die staubige trockene Luft zu atmen, die Luftströme zwischen den Gassen zu fühlen. Ich hätte gerne gesprochen oder laut gesungen, um die klangliche Qualität der Bühne zu erforschen. Ich wollte die Griffe und Räder der Theatermaschine packen, um das Gleiten der Kulissen, den fließenden Szenenwechsel zu veranlassen.

      Mein Wunsch, direkt mit der Bühne zu interagieren, hat nichts mit dem Traum zu tun, selbst Theater zu spielen. Ich bin weder eine Schauspielerin noch eine Sängerin, und wollte das auch nie werden. Ich hatte vielmehr das Bedürfnis, als Theaterhistorikerin einen anderen Zugang zu diesem historischen Artefakt zu bekommen, um mein Wissen über das ästhetische Potential des Gripsholm-Theaters zu erweitern, um direkt etwas über die historische Praxis dort zu erfahren. Zu meinem Bedauern hatte ich nicht die Möglichkeit, die Gripsholm-Bühne mit den Mitteln einer praxeologischen Theaterhistoriographie experimentell zu erforschen.

      Was meine ich mit ‚praxeologischer Theaterhistoriographie‘? Zuallererst geht es hier um einen produktiven Austausch zwischen Theorie und Praxis, um tiefere Erkenntnisse zur Theatergeschichte zu erreichen. Theater war und ist eine flüchtige, transitorische Praxis, die sich nicht durch Text- und Bildquellen vollkommen erschließen lässt. Deshalb bleibt eine Performance-Analyse zeitgenössischer Theater- und Inszenierungspraxis immer unvollständig ohne die Aufführungserfahrung der Analysierenden. Um die Dynamiken, Energieflüsse und kommunikativen Strategien der Theateraufführung verstehen zu können, muss man sie erlebt haben. In der Konsequenz wird von mir als Theaterwissenschaftlerin grundsätzlich erwartet, eine beständige Aushandlung zwischen dem eigenen subjektiven Erleben und der objektivierenden Beurteilungsposition zu führen.

      Eine praxeologische Theaterhistoriographie geht davon aus, dass auch historische Theaterpraxen gleichermaßen durch energetische und kommunikative Vorgänge bestimmt waren. Aber wie kann man Zugang zu diesen lange vergangenen Ereignissen und ihren energetischen Strukturen und Prozessen bekommen? Sind nicht ihre Wirkungen lange ausgehaucht, ihre Affektpotentiale verpufft, ihre Interaktionen verstummt?

      Ein kritisches und experimentelles Re-Inszenieren historischer Theaterwerke ermöglicht uns zwar nicht die Erfahrung von realer historischer Theaterpraxis, aber dennoch von historisch informierter Theaterpraxis. Daher können diese praktisch-experimentellen Annäherungen an historisches Theater uns doch eine gewisse Idee davon vermitteln, was vielleicht an Bewegungsmöglichkeiten, an Interaktion zwischen Theaterraum und Performance-Praxis, an Akustik, an Energieflüssen, und vieles mehr, im Moment der Aufführung wirksam war. Natürlich erzeugen solche Theaterexperimente für die Theaterhistorikerin eine höchst unverhoffte und ästhetisch genussvolle Situation: Der historische Gegenstand kommt plötzlich zum Leben, und scheint uns auf vielen verschiedenen Ebenen direkt anzusprechen. Aber die Historikerin muss sich hier ähnlichen Herausforderungen stellen wie die Theaterwissenschaftlerin, die zeitgenössische Performance-Praxis analysiert – die Erfahrung der Aufführung und das Involviertsein in die Performance-Praxis

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