Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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performances herangezogen werden muss. Das Archiv bietet uns Texte und Objekte, die jedoch die performative Handlung‘ und körperliche Aspekte des Aufführungs-Vollzugs nicht transportieren können:

      Repertoire, etymologically ‚a treasury, an inventory,‘ also allows for individual agency, referring also to ‚the finder, discoverer,‘ and meaning ‚to find out.‘ The repertoire requires presence: people participate in the production and reproduction of knowledge by ‚being there,‘ being a part of the transmission. As opposed to the supposedly stable objects in the archive, the actions that are the repertoire do not remain the same. The repertoire both keeps and transforms choreographies of meaning.6

      Ein gelebtes und praktiziertes Repertoire konserviert und verändert zugleich die Aufführungspraxis durch die Vermittlung der Körperaktion. Taylor lehnt sich mit ihrer praktischen Historiographie an Konzepte der oral history an und bringt den darstellenden Körper in den Fokus. Ihr Begriff des Repertoires als ‚lebendes Archiv‘ und körperliche Vermittlung von Wissen bringt ins Bewusstsein, dass eine rein text- und objektorientierte Theaterhistoriographie nur eine eingeschränkte Sicht auf Theaterpraxen der Vergangenheit bieten kann.

      Kinesthetic empathy (Foster), tacit knowledge (Polanyi) und das historiographische Repertoire (Taylor) bilden die Basis für eine praxis-orientierte Theaterhistoriographie. Im Folgenden möchte ich die ästhetische Dimension körperzentrierter Ansätze zur Verlagerung und Produktion von Wissen diskutieren.

      Ästhetische Episteme

      Die folgenden Überlegungen stehen auf der Basis einer post-Kantianischen Epistemologie, die ästhetische Erfahrung mit der Schaffung von neuem Wissen zusammendenkt. Kant lokalisiert im ästhetischen Urteil eine Erfahrung von Erkenntnis als solche. Die Erfahrung von ‚Schönheit‘ setzt ein freies Spiel der Sinne in Gang, welches unsere kognitive Fähigkeit animiert. In Kants Konzept von Schönheit sind sowohl Kunst als auch Natur einbegriffen. Schönheit kann generell durch ein Kunst- oder ein Naturerlebnis erfahren werden. Friedrich Schiller fokussiert in seinen Briefen über ästhetisch Erziehung dagegen spezifisch auf die Begegnung von Menschen mit Kunstwerken als eine ästhetische Praxis. Das Erlebnis der Kunst bringt die Menschen in einen ästhetischen Geisteszustand, der das Verhältnis von physischen Sinnen und den kognitiven Fähigkeiten harmonisiert. Schiller bettet dieses Konzept der ästhetischen Erziehung in einen politischen Rahmen mit dem Ziel, durch ästhetische Erfahrung, einen neuen und friedvollen Menschen zu schaffen, der gewaltsame Auseinandersetzung, Krieg und Unterdrückung hinter sich lassen kann.

      Der praxeologische Ansatz der Theaterhistoriographie bezieht sich auf die Kantianisch-Schillerschen Ideen, um ästhetische Erfahrung für die Erforschung von historischer Theaterpraxis als methodischen Aspekt zu konzeptualisieren. In unserem Forschungsprojekt nutzten wir historisierende Rekonstruktionen von historischen Werken und Aufführungspraxen, um Erkenntnis über das Theater einer bestimmten Zeitepoche zu gewinnen. Unser Interesse an historisierenden Rekonstruktionen fokussierte dabei jedoch nicht auf formale und strukturelle Aspekte der Theater-Werke, sondern eher auf ein Re-enactment einer historischen Praxis, die performative kulturhistorische Rahmen und Prozesse materialisiert. Dieser Ansatz berücksichtigt, das Kunst, spezifische Theater und Performance, eine menschliche kulturelle Praxis ist, die unsere Denk- und Lebensweisen herausfordert. Wie Georg Bertram es formuliert:

      Durch Kunstwerke kommt es zu einer Herausforderung der Praktiken, die aufgrund dessen bestätigt oder verändert und dadurch erweitert werden. Für ein solches Verständnis ist es entscheidend, Kunst als eine reflexive Praxis zu verstehen: als eine Praxis, die sich auf andere Praktiken bezieht.1

      Auf diese Art interagiert Kunst, in unserem Falle Theater, mit den kulturhistorischen Rahmensetzungen. Theaterpraxen können uns Orientierung in unserem Leben geben, durch ästhetische Erfahrung reflektieren und verändern wir unser Denken und Handeln unter gegebenen kulturhistorischen Bedingungen2. Wir sollten dies jedoch nicht als eine simple pädagogische Formel betrachten – im Sinne von: Theater predigt Moral, also werden wir moralisch erbaut. Hingegen verstehen wir Theaterpraxen, in die wir involviert sind, wenn wir aufführen, teilnehmen, wahrnehmen, in Begriffen einer Performativität, die unsere Identitäten und Ideologien praktisch materialisiert.

      Was sind die Konsequenzen einer solchen Vorstellung von Theater und ästhetischer Erfahrung für das wissenschaftliche Streben nach mehr/anderem Wissen über historische Theaterpraxis? Wir müssen uns mit einer Reflexion der reflexiven Prozesse in der Kunstpraxis befassen, während wir erfahren, dass vergangene und aktuelle Konzepte und Erfahrungen von Theater sich ineinanderfügen und zugleich unsanft kollidieren. Was passiert in unseren Köpfen, wenn wir das Re-enactment historischer Theaterpraxis erleben?

      Eine Reflexion unseres eigenen ästhetischen Erlebens während wir an praktischen Experimenten und Aufführungen teilnehmen, operiert mindestens auf zwei Ebenen. Erstens, dehnen wir unser Denken aus, wir erfahren ein ‚Entlernen‘/‚Verlernen‘ unserer antrainierten Sicherheiten und gewinnen neues oder anderes Wissen. Die Historikerin erlebt hier ihr eigenes Körperwissen im Widerstreit oder in Verhandlung mit vergangenen Praxen und der historisierten Erfahrung. Zugleich entsteht so etwas wie ein Kantianisches ‚ästhetisches Vergnügen‘, wenn man sich selbst dabei erlebt, wie das Denken in Bewegung gebracht wird im Moment der ästhetischen Erfahrung: Ich bin froh, mich selbst dabei zu beobachten, wie sich neues Wissen durch sinnliche Erfahrung formt und anlagert.

      Auf einer zweiten Ebene, erfährt die Historikerin kognitiv und sinnlich die Historizität der wiederbelebten Praxis. Man versucht, Spuren historischer kultureller und epistemischer Praxen in der ästhetischen Erfahrung zu finden. Was war die historische Realität, die durch die historische Theaterpraxis materialisiert, bestätigt und auch erweitert wurde? Die empathisch historisierende Erfahrung erschafft eine Art von Fosterscher ‚Übereinstimmung zwischen Vergangenheit und Gegenwart‘, während sie verschiedene Dokumente, Quellen – hier muss man ‚ästhetische Erfahrungen‘ ergänzen – verhandelt und gegeneinander reibt.

      Die schwierigste Aufgabe einer solchen praxeologischen Theaterhistoriographie ist die Verbalisierung der Forschungsergebnisse, die wieder in einen akademischen Rahmen zurückgeführt werden müssen. Wie könnte man überhaupt darüber reden, schreiben?

      Aber natürlich werde ich den Versuch unternehmen, die praktische und ästhetische Erfahrung der Theaterhistoriographie zu konzeptualisieren. Hilfreich ist hier der Bezug auf einen Begriff von Praxeologie, also der Praxistheorie, wie er heute vor allen Dingen in der Soziologie verwendet wird, obgleich auch hier die Übertragung in die Theaterhistoriographie nicht unproblematisch ist.

      Praxeologie – Praxistheorie

      In den 1980er Jahren hat Andrzej Wirth bei der Konzeptionierung des Gießener Studiengangs „Angewandte Theaterwissenschaft“ ‚Praxeologie‘ als grundlegenden Ansatz eingeführt. In Bezugnahme auf seinen Lehrer, den polnischen Philosophen Tadeusz Kotarbinski, formulierte er ‚Praxeologie‘ als eine Methode, vom Raum der Theorie in den Raum der Praxis einzudringen, um die Theorie zu verifizieren, zu widerlegen oder aufzuheben.1 Diese prominente Stellung der Praxis als kritische Instanz gegenüber der Theorie steht allerdings in der Gefahr, das Wechselverhältnis zwischen beiden zu verkürzen. Der angewandten Theaterwissenschaft gelingt es jedoch sehr erfolgreich, dies zu balancieren.

      Es lohnt sich jedoch, nochmals auf die grundlegenden Parameter der ‚Praxeologie‘ zurückzugehen, die die Soziologie in Bezug auf Bourdieu und Giddens in jüngerer Zeit re-formuliert hat. In der Soziologie wird die praxeologische Perspektive immer auf die Genese von Gesellschaft bezogen. Dies kann für Theater nur in einem übertragenen Sinne gelten – ist aber insbesondere dann valide, wenn man für Theater eine kultursoziologische Grundannahme ansetzt. Hilmar Schäfer beschreibt den praxeologischen Praxisbegriff folgendermaßen:

      Praktiken sind das Tun, Sprechen, Fühlen und Denken,

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