Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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der Bühne zu explorieren. Je mehr sie sich dem Bühnenhintergrund näherten, desto ‚flacher‘ wurde die Tonqualität. Auch versendete sich der zu den Seiten gewandte Gesang in den Bühnengassen. Als sie sich schließlich im Rahmen des Proszeniums positionierten, wurde klar, dass dieser Bühnenrahmen wie ein Verstärker funktioniert und den Klang weit in den Zuschauerraum hineinsendet. Beide Sänger*innen probierten dort eine dem Publikum zugwandte Stellung und erreichten so, dass ihre Stimmen weit nach hinten in den Zuschauerraum getragen wurden. Ein voller, brillanter Klang füllte den Raum.

      Abb. 2:

      Workshop in Drottningholm 2016. Laila Cathleen Neuman als Zerlina und João Luís Paixão als Don Giovanni. Foto: Performing Premodernity.

      Das Proszenium spielt auch als energetisches Affektinstrument eine Rolle. Um den sozialen Status, aber auch die emotionale Bindung, die Manipulationsverhältnisse der Charaktere etc. zu befragen, wurde das Duett mit den beiden Sängern*innen wiederum in verschiedenen Positionen ausprobiert. Hier erwies sich die Platzierung im Proszenium erneut als wirkmächtig. Don Giovanni/Paixão und Zerlina/Neuman nahmen eine leicht distanzierte Position zueinander ein, wie man es aus den Regelwerken und Bilddarstellungen des 18. Jahrhunderts kennt: die Gesichter nicht direkt einander zugewandt, sondern mit einer leichten Öffnung hin zum Publikum und im Contrapposto. Das Duett wurde damit sozusagen aneinander vorbei gesendet, und nicht direkt an die andere Bühnenfigur adressiert.

      Man fragt sich, wenn man diese Art Figuren-Konstellation als Bildkonvention der Zeit wiedererkennt und voraussetzt, dass dies eine übliche Grundaufstellung der Darsteller*innen war, wie es zu in vielen Schriften verzeichneten emotionalen Zuschauerreaktion (weinen, schluchzen, gar Ohnmacht) kommen konnte. Zunächst einmal erscheint das Bild, das die Akteure abgeben, eher artifiziell, stark kodiert und keineswegs anrührend. Aber in der direkten ästhetischen Erfahrung einer klanglichen Umfassung der beiden Bühnenfiguren durch den Theaterraum und das Bühneninstrument machte sich während des Workshops plötzlich das körperliche Gefühl und auch die Erkenntnis eines ungeheuerlichen erotischen Energieaustausches geltend. Die energetische und erotische Sendung erreicht beide Sänger*innen, und auch die Zuschauer*innen. Interessant sind die Auswirkungen auf die Charakterisierung der Bühnenfiguren. Insbesondere Zerlina transformiert hier vom unbedarften Landmädchen zur reifen Flirtpartnerin von Don Giovanni, die ihre vokale Kraft im räumlichen Setting wirkmächtig gegen den Verführer sendet.

      Was genau passierte in dieser Situation? Als ich später darüber nachdachte, wurde mir klar, dass die Sänger*innen ihre vokale Energie in den Rahmen des Proszeniums gerichtet hatten, die dann in einer Kreisbewegung von dort zum anderen zurückgeführt wurde. Eine energetische Bindung auf dem räumlichen Umweg sozusagen. Die Spannung zwischen der sichtbaren Distanz der Akteure und der energetischen Umarmung durch den Klang erzeugte tatsächlich emotionale Rührung. Die visuelle Ebene beließ die beiden Darsteller*innen auf Distanz, die energetische Verschränkung und physisch spürbare Verbindung entstand erst mit der Kanalisierung durch das Proszenium. Wie könnte eine Text- oder Bildquelle diesen Prozess auch nur annähernd transportieren? Erst die praktische Erfahrung führt zu einer direkten Erweiterung des historischen Quellenwissens. Bei der Historikerin setzt ein Verstehen ein, das auf einer gänzlich anderen Ebene operiert. Die Texte und Zeugnisse, die aus dieser praktischen Erfahrung entstehen, fügen dem verfügbaren Quellenkorpus relevante Dokumente hinzu.

      An der intakten historischen Bühne in Drottningholm zeigt sich so, welche instrumentelle Funktion das Zusammenspiel von Bühnenaufbau und Proszenium für Klang und Übertragung haben. Im Gegensatz dazu erscheinen historische Theater, die eine architektonische Rekonstruktion – wie etwa das Confidencen-Theater in Ulriksdal – oder eine radikale Umstrukturierung – wie etwa das Markgrafentheater in Bayreuth – erfuhren, in ihrer instrumentellen Wirkung eingeschränkt. In letzterem hat die Modernisierung der Bühne zur radikalen Beschneidung und Rücksetzung des Proszeniums geführt. Obgleich der intakte Zuschauerraum mit seiner Holzstruktur einen exzellenten Resonanzraum darstellt, kann man sich nur in Ansätzen vorstellen, welches Potential das ursprüngliche Proszenium im Zusammenklang mit dem Auditorium entfalten konnte. Diese Aspekte historischer Theaterpraxis werden einem erst bewusst durch das praktische Experimentieren. Lässt man sich darauf ein, hat dies Konsequenzen für das Verständnis historischer Theaterpraxis in ihrer spezifischen Interaktion mit den entsprechenden Theaterräumen.

      2) Aushandlung zwischen Eigenem und Fremdem

      Dennoch erschließen sich die Bedingungen und Produktionsmittel historischer Praxis nicht unmittelbar. Im praktischen Experimentieren, in Workshops, Proben, Theateraufführungen, wird man beständig gezwungen, das ‚Eigene‘ und das ‚Fremde‘ gegeneinander/miteinander auszuhandeln und auch die Differenzerfahrung auszuhalten. Wenn man sich mit philosophischen und ästhetischen Konzepten, die im Kunstdiskurs und in der Kunstpraxis des 18. Jahrhunderts eine große Rolle gespielt haben, befasst, dann fällt es im Denken erst einmal nicht schwer, die abstrakten Begriffe an eigenen Theoriekonzepten, am gängigen Diskurs der eigenen Zeit abzugleichen. Unsere akademische Ausbildung hat den Kritikmuskel trainiert und ausgedehnt, so dass wir uns leicht tun mit einer differenzierten Argumentation. Schwieriger ist es, die Aufführungserfahrung im historischen Gewand, die ‚historisierende Praxis‘, mit den inneren ästhetischen Gradmessern in Einklang zu bringen. Der ästhetische Lustgewinn stellt sich mal mehr, mal weniger ein. Auf den ersten Blick, im ersten Anhören, erschließen sich nicht alle Momente, alle Ebenen der Aufführung sofort. Manches erscheint sehr befremdend, hölzern, unpassend, eben unzugänglich und fremd.

      In der historisierenden Aufführung von Pygmalion1, die das Forschungsprojekt Performing Premodernity experimentell erarbeitet und in mehreren öffentlichen Aufführungen zur Diskussion gestellt hat, ging es darum, die Passion des Künstlers mit historischen Aufführungsmitteln auszudrücken und dabei Jean-Jacques Rousseaus kunsttheoretische Vision des Melodramas im Werk selbst und der historisierenden Praxis aufzusuchen. Für mich funktionierte das ästhetische Erleben in den Projekt-Aufführungen nur eingeschränkt. In bestimmten kurzen Momenten, wenn die historisierende Deklamation des Akteurs (des Sängers João Luís Paixão als Pygmalion) einen musikalischen Flow erreichte und fast schon in Gesang überging, gelang es, mich ästhetisch anzurühren. Wenn aber zum Beispiel in der Musik ein Klopfen zu hören war und Pygmalion gleichzeitig den Hammer nahm und im gleichen Rhythmus schlug, dann konnte ich diese inszenatorische Redundanz schwer ohne Ironie hinnehmen. Es stellte sich jedoch heraus, dass ausgerechnet diese kleine Aktion in der Original-Partitur so von Rousseau verzeichnet und auch die Musikpassage von ihm selbst komponiert ist2. Wie geht man damit um?

      Abb. 3:

      Pygmalion von Jean-Jacques Rousseau, 2015, Schlosstheater Český Krumlov. João Luís Paixão als Pygmalion. Foto: Performing Premodernity.

      Der Vorschlag wäre, diese Herausforderung anzunehmen und zu diskutieren, ob die von mir schlecht zu akzeptierende Doppelung des Hämmerns nicht doch anders wahrgenommen werden kann. Können wir vielleicht an den Punkt kommen, zu sagen: „Aha, hier ist eine Verbindung von Musik und Geste, die eigentlich genau im Zentrum von Rousseaus Denken ist.“3 Dann würde also die historische Quellenarbeit und Kritik die unmittelbare ästhetische Erfahrung anders konditionieren, die Analyseebene immer mitreflektierend.4 Wir könnten dann annehmen, dass Rousseau diesen Moment als Signifikant oder als Indizierung dieser Brücke verwenden wollte. Die Rückbesinnung auf die praxeologische Basis hilft hier zum einen, die eigene ästhetische Wahrnehmung als solche überhaupt zu markieren, und gleichzeitig zu einer Artikulation und Reflexion der fremdartigen ästhetischen Wahrnehmung zu kommen. Das Unbehagen und die Fremdartigkeit machen dann Sinn in der Abgleichung und Verhandlung mit bereits Gewusstem und Erfahrenem.

      3) Theaterhistorisches Modell vs. Diversität der Szenischen Angebote

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