Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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Gründen zu erklären. Im Fall Heinrich Börnsteins waren es – zumindest was die Ausreise in die USA betrifft – politische Gründe; die Eltern der Shubert Brüder hingegen verließen Litauen aufgrund antisemitischer Verfolgung. Die ausschlaggebenden Beweggründe der Emigration der polnischen Schauspielerin Helena Modrzejewska, die 1876 gemeinsam mit ihrem Ehemann Karol Chłapowski und ihrem Sohn Rudolf Richtung Amerika aufbrach, lassen sich sogar in eine offizielle und eine inoffizielle Version kategorisieren, wobei sicherlich eine Mischung aus beiden als zutreffend konstatiert werden kann. So begründete Modrzejewska in der Öffentlichkeit ihre Ausreise in die USA mit der Faszination für das Fremde, einer gewissen romantischen Neugier auf ein abenteuerliches Leben in den USA, aber auch mit der schwierigen politischen Situation im geteilten Polen:

      Our friends used to talk about the new country, the new life, new scenery, and the possibility of settling down somewhere in the land of freedom, away from the daily vexations in which every Pole was exposed in Russian or Prussian Poland.1

      Des Weiteren ist die Rede von einer Überarbeitung der Actrice und dem hiermit einhergehenden Wunsch nach einer Erholungspause:

      […] my husband’s only desire was to take me away from my surroundings and give me perfect rest from my work. He thought, and the doctors agreed with him, that a long sea voyage might restore my health and strengthen my nerves.2

      Aus der Briefkorrespondenz der Schauspielerin lässt sich allerdings auch der langgehegte Wunsch, im Ausland in englischer Sprache zu debütieren, als ein weiterer Grund für die Emigration herauslesen. Diesen formulierte sie gegenüber ihrer Freundin Stefania Leo – allerdings erst nach ihrer Emigration – sogar sehr eindeutig: „Das war mein geheimer Plan von Anfang an.“3 Diesen Plan hielt sie zunächst geheim, was zum einen daran lag, dass sie sich eines Erfolges in Amerika nicht sicher sein konnte und Angst vor einer öffentlichen Demütigung im Fall eines Misserfolgs hatte. Zum anderen stand sie unter Vertrag mit dem Warschauer Theater, den sie aus Sicherheitsgründen nicht aufgeben wollte. So nahm sie zunächst unter der Angabe gesundheitlicher Gründe eine einjährige Spielpause, selbst noch aus den USA beteuernd, dass sie nach Warschau zurückkehren werde.4 Das Vorhaben, in den USA zu debütieren, muss dennoch recht fest gewesen sein. Hinweise hierfür finden sich noch vor der Emigration aus Polen im Briefverkehr zwischen Modrzejewskas Mann Karol Chłapowski und dem zu der Zeit in England lebenden Schriftsteller Ignacy Maciejewski. Der letztere gab Tipps, wie Modrzejewska in der US-Presse beworben werden könnte. So schrieb er den folgenden Vorschlag für den New York Herald, der – meines Wissens nach – jedoch nie erschien:

      Es ist die erste Künstlerin – nicht nur Polin, sondern Europäerin – , bei deren Betrachtung Ristori vor Neid und aus Demütigung in Ohnmacht fiel, und die berühmte Bayerin Ziegler, wild und leidenschaftlich, wie Medea ihrer unvergleichbaren Süße, ihrem Charme und ihrem Gefühlsreichtum erlag.5

      Recht bald nach ihrer Ankunft in den USA begann die Schauspielerin, ihr Debüt in die Wege zu leiten. Im August 1876, also nur einen Monat nach ihrem Aufbruch berichtete sie in einem Brief an Stanisław Witkiewicz, dass sie einen gewissen Herrn Zolnowski, den Präsidenten der amerikanischen Polnischen Dramatischen Gesellschaft in New York getroffen habe, der ihr Hoffnungen machte, auf Englisch zu spielen.6 Genaueres wird zu diesem Zeitpunkt aber nicht genannt. Im Oktober schienen die Pläne insofern konkreter zu sein, als Chłapowski in einem Brief an seine Schwester Anna anmerkt, dass sie einige Monate auf der von ihnen gepachteten Farm in Anaheim verbringen werden, wo sich Helena auf ein Debüt vorbereiten müsse.7 Im November verriet er seiner Familie dagegen, dass seine Frau schon in wenigen Wochen nach San Francisco aufzubrechen plane, um dort Englischunterricht zu nehmen und so das Debut voranzutreiben.8Auch wenn Chłapowski schon in den Januarbriefen an seine Familie euphorisch den März 1877 als einen möglichen Debuttermin benennt9, so lag zu diesem Zeitpunkt weder ein Angebot noch überhaupt ein Vorsprechtermin vor. Erst im Mai 1877 – nach mehreren frustrierenden Anläufen sowie dank der Kontakte polnischer Landsleute – durfte Modrzejewska am California Theatre vorsprechen, wo sie schließlich zu überzeugen vermochte und die Möglichkeit bekam, vor US-amerikanischem Publikum aufzutreten.10 Zuvor musste sie allerdings ihren Nachnamen ändern, weil dieser dem Manager des California Theatre John McCullough zu fremd klang und er fürchtete, damit das Publikum abzuschrecken. Modrzejewska war nicht bereit dazu, sich einen komplett neuen Nachnamen geben zu lassen, und machte den Vorschlag, diesen so zu vereinfachen, dass die polnischen Wurzeln dennoch erkennbar bleiben. In ihrer Autobiographie beschreibt sie die Situation wie folgt:

      I told him […] I might, by the omission of a few letters, make out a name which would sound pretty much like my own, and yet not frighten people away, and I wrote down ‘Modgeska.’ He smiled again, saying it might remind one of ‘Madagascar.’ I soon perceived the point, and changed the ‘g’ into a ‘j’. He spelled aloud ‘Modjeska.’ ‘Now,’ he said, ‘it is quite easy to read, and sounds pretty, I think’.11

      So wurde aus Helena Modrzejewska Helena Modjeska. Unter diesem Namen debütierte sie am 20. August 1877 am California Theatre in San Francisco mit der Rolle der Adrienne Lecouvreur.12

      Neben den hier angeführten Gründen für Emigration dokumentieren also zahlreiche Ego-Dokumente den Weg Modrzejewskas auf die US-Bühne. So erfahren wir über das Studium der individuellen Perspektive also, dass Schauspieler nicht nur mit Hilfe von Agenten oder Theatermanagern im Ausland debütierten, sondern dass sie sich auch auf eigene Faust in die Fremde aufmachten und selbständig um Auftritte bemühten. Wir erfahren – sofern in Quellen auffindbar –, welche Schritte sie hierzu einleiteten, welche Erfahrungen sie machten und wie sich diese Erfahrung auf ihre berufliche wie private Situation auswirkten.

      Aushandlung und Produktivität

      Mobile Theaterschaffende begegnen auf ihren Reisen anderen, ihnen meist fremden Kulturen. Sie müssen sich mit den Gegebenheiten vertraut machen, die die Theaterszene des jeweiligen Landes ausmachen und den Herausforderungen stellen, die sich hieraus ergeben. Sie sind mit fremden Sprachen, unterschiedlichen Spielkulturen und Publika konfrontiert. Der biographische Ansatz erlaubt es, diese interkulturellen Begegnungen und die damit zusammenhängenden bzw. daraus resultierenden Prozesse näher zu beleuchten. Die Untersuchung einzelner Fallbeispiele verdeutlicht, dass hierdurch 1. eine Vielfalt an Produktivität entsteht, sei es in Form der Gründung neuer Institutionen, der Zirkulation von Theaterstücken oder der Entstehung hybrider Phänomene. Sie zeigt aber auch, dass 2. keineswegs nur transnationale ‚Geschichten des Erfolges‘ produziert werden. Vielmehr offenbaren sich an den entstehenden Kontaktzonen zahlreiche Aushandlungsprozesse und Spannungsverhältnisse. So konstatiert auch Cresswell: „It is about the contested worlds of meaning and power. It is about mobilities rubbing up against each other and causing friction.“1 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass auch wenn die transnationale Geschichtsschreibung an solchen Phänomenen interessiert ist, die den nationalen Rahmen übersteigen, gar sprengen, so spielt die ‚Nation‘ in der Untersuchung dennoch immer wieder eine bedeutsame Rolle. So betont auch Patel: „Transnationale Geschichte umfasst demnach all das, was jenseits (und manchmal auch diesseits) des Nationalen liegt, sich aber auch durch dieses definiert – sei es, dass es sich daraus speist oder davon abgrenzt“.2 Und auch Sebastian Conrad unterstreicht: „Für viele Fragen wird der nationale Rahmen von Politik und Gesellschaft […] maßgeblich bleiben.“3

      Als beispielsweise die hier bereits thematisierte Helena Modrzejewska in die USA einreiste, so formulierte sie den Wunsch, auf Englisch zu spielen.4 Ihre Bühnensprache sollte der des Gastgeberlandes angepasst werden, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Zu diesem Zweck engagierte sie eine Lehrerin – Jo Tucholsky –, mit der sie an ihrem Bühnenenglisch arbeitete. Allen Bemühungen zum Trotz blieb der polnische Akzent jedoch bestehen. Modrzejewska ahmte als Nicht-Muttersprachlerin – ganz im Sinne von Bhabhas ‚Mimikry‘ – zwar die englische Bühnensprache nach, ihre Sprache war jedoch nicht dieselbe; eine Annäherung fand zwar statt, doch ein unerreichbarer Rest, eine Dissonanz blieb bestehen und zeigte Differenz an, eine Differenz, die in den herrschenden

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