Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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stellte, ihm widersprach und Aushandlungsprozesse in Gang setzte. Dies wird deutlich daran, dass in nahezu jeder Rezension Kritik an Modrzejewskas Aussprache geübt wird. Diese Kritik wurde umso schärfer, als die Schauspielerin begann, Rollen von Shakespeare auf Englisch zu spielen. So schrieb ein Rezensent der New York Times anlässlich ihrer Vorstellung als Viola: „[…] it was frequently impossible to understand her, and some of the loveliest verse put into the sweet mouth of Viola became, as she spoke it, unintelligible.“5

      Das Hauptargument der Rezensenten war, dass die Schönheit der Shakespeare’schen Verse zerstört und damit die Bedeutung der Worte in ein falsches Licht gestellt werden würde. Der renommierte New Yorker Kritiker William Winter ging bei seiner Kritik sogar so weit, dass er nicht nur den Akzent der Schauspielerin beanstandete, sondern auch die Ansicht vertrat, dass die Rollen des englischen Dramatikers überhaupt lediglich den Akteuren vorbehalten seien, die seiner ‚Rasse‘ abstammten:

      It is a fact, which all the protests made by foreign actors and their over-zealous advocates cannot obscure, that the greatest actors are those who, illustrating a true ideal of Shakespeare’s great characters, do so with perfect interpretative art; and the actors in whom that union of ideal and execution has been manifested at the best have been and are actors of Shakespeare’s race.6

      Modrzejewska ließ sich durch diese Kritik jedoch nicht entmutigen. Auch wenn sie die Argumente der Rezensenten bezüglich ihrer fehlerhafte Aussprache nachvollziehen konnte, vor allem in Hinblick darauf, dass hierdurch die Poetik und die Melodie der Shakespeare’schen Verse an Schönheit verlören, veranlasste sie das keineswegs aufzugeben: Ganz im Gegenteil wählte sie die Strategie, an ihrem Englisch noch weiter zu arbeiten und der Kritik zum Trotz studierte sie weitere Shakespearerollen auf Englisch ein:

      If the plays are rendered in English by foreign-born actors, their lack of familiarity with the acquired language may make their pronunciation defective, and thus imperil, if not the poetry of the sentence, at least the music of the verse. The latter is my own case, and therefore, whenever my pronunciation was found fault with, I could do nothing but accept the criticism in all humility and endeavor to correct the errors of my tongue; yet I persisted without discouragement, and went on studying more and more Shakespearean parts, conscious that their essential value consisted in the psychological development of the characters, and confident that I understood them correctly and might reproduce them accordingly to the author’s intentions.7

      Des Weiteren versuchte Modrzejweska, das Argument ihrer Kritiker zu entkräften, indem sie gerade die Universalität und Internationalität von Shakespeares Rollen betonte:

      We foreigners […] claim that before being English he [Shakespeare] was human, and that his creations are not bound either by local or ethnological limits, but belong to humanity… Our argument is that when Shakespeare wanted to present English people he located them in England, or at least gave them English names […].8

      Während sie in den USA schließlich auf Englisch den Durchbruch schaffte, auch als Shakespeare-Darstellerin, blieb ihr dieser Erfolg in Großbritannien verwehrt. Hier durfte sie zwar in englischer Sprache spielen, jedoch lediglich mit Rollen französischer oder deutscher Autoren, wo die fehlerhafte Aussprache in Augen der Kritik verziehen werden konnte. Die Versuche mit Shakespeare zu reüssieren, scheiterten hingegen an nationalen Vorstellungen.

      Resümee

      Der hier vorgestellte briographische Ansatz zur Erforschung mobiler Theaterakteure zeigt einen möglichen Weg der Historiographie jenseits des methodologischen Nationalismus. Durch das Rekonstuieren von Mobilitätsrouten und -erfahrungen, das Aufspüren von Motivationen und Entscheidungen sowie das Erforschen von Konsquenzen, die aus der Mobilität resultieren, wird es möglich, transnationale Theatergeschichte(n) aufzudecken und so Interaktionen, Verflechtungen und Zirkulationen jenseits nationaler Grenzen zu zeigen, zahlreiche Aushandlungsprozesse offen zu legen sowie Einblicke in Hintergründen, Erfahrungen und Infrastruktur zu geben.

      Theaterwissenschaftliche Forschung und die Methoden des Archivs

      Patrick Primavesi

      Unter den Methoden, derer sich theaterwissenschaftliche Forschung mehr oder weniger explizit bedient, kommt der Arbeit mit Archiven und dem Archivalischen insgesamt eine besondere Bedeutung zu, die sich ausgehend von ihrem Gegenstand aber erst auf den zweiten Blick erschließt. Der naheliegende Bezug auf Ereignisse, durch die etwas im Hier und Jetzt zur Aufführung gebracht wird, verdeckt leicht den Umstand, dass auch theatrale Praktiken in vieler Hinsicht an der Entstehung und Bearbeitung eines kulturellen Gedächtnisses teilhaben. Sie sind von einer komplexen Mehrzeitigkeit geprägt, insofern sie nicht nur Vergangenheit und Zukunft in der Aufführung als einem Moment von geteilter, gemeinsam erfahrener Gegenwart verbinden, sondern dabei auch die Wahrnehmung von Zeit, Dauer und Flüchtigkeit beeinflussen können. Insofern die spezifische Zeitlichkeit von Theater ebenso wie dessen Historizität von theaterwissenschaftlicher Forschung reflektiert wird, steht diese auch zum Archiv in einem Verhältnis, das weit über die gelegentliche Arbeit mit historischen Quellen und Dokumenten hinausgeht. Als Reflexion von Praktiken, die ihrerseits zur Aktualisierung von kulturellem Wissen beitragen, kann sie die intensive Erfahrung von Gegenwart und die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen derart verknüpfen, dass diese einander produktiv in Frage stellen. Das gilt auch für die Bedeutung theaterwissenschaftlicher Begriffe, deren kultur- und epochenspezifische Relativität die Forschung immer wieder herausfordert. Im Folgenden werden die damit angedeuteten Ebenen einer methodischen Relation von Theaterforschung und Archiv näher untersucht und in ihrem Wechselverhältnis zueinander betrachtet. Ausgangspunkt dafür sind vorläufige terminologische Bestimmungen, mit denen bereits die Komplexität einiger elementarer theaterwissenschaftlicher Kategorien deutlich werden kann, die dann mit weiteren Schritten im Kontext aktueller Entwicklungen von Archivarbeit und -theorie zu reflektieren bleibt.

      Theater und theatrale Praktiken als Forschungsobjekt

      Gegenstände der Forschung, die sich mit Theater einschließlich Tanz, Musiktheater, Performance, Figuren-, Objekt- und Medientheater befasst, sind die szenischen Künste und Praktiken im weiteren Sinne. Damit können, eine Einteilung von Rudolf Münz aufgreifend, außer dem institutionalisierten repräsentativen ‚Kunsttheater‘ auch die komödiantischen Spieltraditionen der ‚Theaterkunst‘, sowie das im Alltag zu beobachtende ‚Lebenstheater‘ und schließlich die inszenatorischen Praktiken des ‚Nicht-Theaters‘ betrachtet werden, die ihren theatralen Charakter verbergen oder explizit leugnen, um ihre soziale, politische, religiöse, philosophische, ökonomische, juridische oder auch medizinische Wirkungsmacht nicht zu gefährden.1 Wie diese Kategorien bereits nahelegen, hat theaterwissenschaftliche Forschung mit szenischen und ostentativen, das heißt auf Beobachtung ausgerichteten Praktiken und Künsten zu tun, also mit dem mehr oder weniger expliziten Bezug auf ein Publikum, auf einen oder mehrere Zuschauer*innen. So geht es stets um Verhältnisse der Beobachtung, die eine komplexe Referentialität entfalten und selbst zum Gegenstand weiterer Beobachtung werden können. Die Fokussierung auf das Ereignis und die Situation der ‚Aufführung‘ vor Publikum ist jedoch zu erweitern um eine Perspektive, die auch die Konzeption und mögliche Vorbereitung durch Proben sowie die Gestaltung des Spielortes und der körperlichen Erscheinung der Akteure umfasst. Die dabei eingesetzten Mittel dienen insgesamt der ‚Inszenierung‘, mit der etwas auf jeweils besondere Weise zur Erscheinung gebracht wird.2

      Theatrale Praktiken sind allerdings nicht auf die professionelle Ausübung einer oder mehrerer Künste beschränkt, sondern schließen immer auch alltägliche Verhaltensweisen und Kommunikationsformen mit ein, jenseits des illusionären Spiels mit literarisch festgelegten Rollen und den darauf basierenden Fiktionen. Hier ist allgemeiner von einem anthropologischen Potenzial auszugehen, von Prozessen des Spiels, der Verwandlung und Verstellung, der Nachahmung und verändernden Wiederholung menschlicher Verhaltensweisen. Diese sind keineswegs abhängig von einer perfekten und institutionalisierten

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