Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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heranzuziehen. Auch dem von hier aus absehbaren Desiderat, dass zwischen einzelnen Bereichen theaterwissenschaftlicher Forschung: Historiographie, Aufführungs- bzw. Inszenierungsanalyse, Werkinterpretation etc. (wieder) eine größere Durchlässigkeit zu erreichen wäre, kann womöglich gerade in der Auseinandersetzung mit Fragen des Archivs in produktiver Weise entsprochen werden. Dafür müsste allerdings die historiographische Perspektive sowohl mit der Archivierung theatraler Praktiken als auch mit den Praktiken des Archivierens noch stärker zusammengedacht und verknüpft werden.

      Worin liegt denn, wie nochmal etwas grundsätzlicher mit Jacques Derrida zu fragen wäre, die „einzigartige Erfahrung des Versprechens“, die vom Archiv ausgeht, wenn nicht eben in dem Versprechen einer Erfahrung? Ist diese Erfahrung aber nicht gerade die Erfahrung eines Verlusts, der produktiv wird? Um diesen Punkt kreist gegenwärtig auch die theoretische Reflexion der medialen Revolution, mit der die technische Struktur den archivierbaren Inhalt nicht mehr nur zu interpretieren, sondern sogar zu produzieren begonnen hat: „Die Archivierung bringt das Ereignis in gleichem Maße hervor, wie sie es aufzeichnet. Das ist auch unsere politische Erfahrung mit den sogenannten Informationsmedien.“11 Die von dieser Erfahrung nahegelegte Dekonstruktion des Archivbegriffs ist insgesamt für die Frage relevant, inwieweit Perspektiven, Probleme und Potenziale des Archivs methodologische Impulse für eine theaterwissenschaftliche Forschung geben können, die an der Vermittlung zwischen historiographischen Fragen und den Erfahrungen zeitgenössischer Praxis arbeitet. Das Interesse am Re-enactment als einer Methode der künstlerischen Forschung weist jedenfalls Parallelen auf zu der bereits von Max Herrmann formulierten Idee szenischer Rekonstruktionen. Diese sollte sich jedoch nicht bloß der detailgetreuen Wiederherstellung historischer Inszenierungen widmen, sondern zugleich auf Praktiken (Schauspiel, Tanz, Performance, etc.) und ihre Reflexion zielen. Gerade darin liegt ja eine genuine Möglichkeit theatraler Praxis, dass sie im Unterschied zur technischen Reproduktion den Vorgang der Wiederholung als einen nicht auf Identität, sondern auch auf Differenz, Abweichung und Verfremdung gerichteten Prozess begreifen kann. Ansätze in dieser Richtung sind gerade in der aktuellen Tanzpraxis besonders vielfältig, reichen von Martin Nachbars Urheben Aufheben über Fabian Barbas Mary Wigman Dance Evening bis hin zu Christina Ciupkes und Anna Tills Undo, Redo and Repeat oder Christoph Winklers Ernest Berk – The Complete Expressionist.12

      Die Entwicklung zeitgenössischer Formen von Theater, Performance und Tanz reflektiert jedenfalls auch schon die medialen Revolutionen, in denen der Zuwachs an sofort verfügbaren Informationen verschiedenste Formen von Gedächtnisschwund und Traditionsverlust zu produzieren scheint. Umso größer ist die kulturpolitische Bedeutung, die derzeit dem Umgang mit Spuren, Dokumenten und Zeugnissen der künstlerischen Praxis zukommt. Als Archiv-Praxis können sich alternative Formen der Überlieferung durch Weitergabe und Wiederaneignung entfalten, in einer bewussten Überschreitung und Neubefragung von Tradition und Konvention. Im Tanz wird besonders evident, dass es mit dem Archiv nicht nur um Künstler*innen und individuelle Werke geht, sondern um Praktiken sowie um Kontexte. Hier ist eine historiographische Erforschung der Spezialarchive für Tanz und Theater ein akutes Desiderat, auch zur Reflexion der jeweiligen Fachgeschichte.13

      Weitere methodologische Herausforderungen der Forschung sind im Bereich von Theater, Tanz und Performance in einer kritischen Mitwirkung an der Erhaltung und Neu-Strukturierung von Archiven zu sehen, z.B. bei Projekten wie dem Aufbau eines Archiv des Freien Theaters14 oder der Vernetzung der Tanzarchive und auf Tanz bezogenen Sammlungen mit ihren verschiedenen Datenbanken15 sowie der dringend erforderlichen Unterstützung auch der etablierten Theaterinstitutionen bei der Entwicklung von tragfähigen Konzepten zur Archivierung und Digitalisierung ihrer Dokumentations- und Vermittlungspraxis. Ein besonderes Arbeitsfeld liegt schließlich in der bereits von Foucault zitierten Deutung des Archivs als „System der Formation und Transformation von Aussagen“ begründet, die davon ausgehende Entwicklung einer fachspezifischen Ontologie von Begriffen und Relationen, zur Verbesserung von Ordnungs- und Suchkategorien, sowie als Grundlage für die Vernetzung von Informationen im Rahmen der weiter entwickelten Möglichkeiten des Internet, im sogenannten Semantic Web.16 Auch von daher liegt die Frage nahe, inwieweit neue Medientechnologien im Bereich der Künste bereits Archivkonzepte ermöglichen, die auch unabhängig von Systemen der alphabetischen Verschlagwortung und den dementsprechend zumeist unzulänglichen Klassifikationen operieren können: „[D]ie genuinen Optionen anderer Bild- und Tonordnungen (image-based image retrieval etwa) zu nutzen, ist der Auftrag des digitalen Archivs.“17

      Mit der damit nochmals erweiterten Perspektive könnte eine stärkere praktische und zugleich theoretische Einbeziehung der Archive schließlich auch Impulse geben für die allfällige Diskussion von terminologischen und materiellen Grundlagen der theater- und tanzwissenschaftlichen Forschung. Hier liegen zahlreiche weitere, nur durch organisierte Interessensvertretung zu bewältigende Aufgaben: 1.) eine engere Zusammenarbeit mit Archiven auf allen Ebenen, für Lehre, Forschung und Vermittlung; 2.) eine für die dringend nötigen Veränderungen der Urheber- und Verwertungsrechte gemeinsam mit anderen Fachgruppen zu führende, aber jeweils fachwissenschaftlich orientierte Argumentation; 3.) verstärkte Initiativen zur gezielten Digitalisierung fachspezifischer Quellen und Sammlungen, im Rahmen einer weiteren Vernetzung der Informationssysteme mit größeren Einrichtungen (Deutsche Digitale Bibliothek DDB, Europeana, etc.) auch auf internationaler Ebene; 4.) eine intensive Reflexion terminologischer Fragen im Hinblick auf internationale, transkulturelle und transmediale Übersetzbarkeit; 5.) eine theaterwissenschaftliche Lehre, die auch kommende Forschungsgenerationen motiviert, die Infrastrukturen des für das eigene Fach spezifischen Wissens verantwortlich mitzugestalten. Ein in diesem Sinne konstruktiver Streit um tragfähige Begriffe wäre nicht die schlechteste Methode, mit der Arbeit der Archive zugleich die Zukunft des Fachs zu fördern, in der Zeitform einer stets zukünftigen Vergangenheit von Theater.

      Affekttheorie und das Subjektivismus-Problem in der Aufführungsanalyse

      Matthias Warstat

      Wenn nach den in der Theaterwissenschaft heute vorherrschenden methodischen Zugängen gefragt wird, fällt es überraschend schwer, den Stellenwert der Aufführungsanalyse einzuschätzen. In der universitären Lehre spielt sie eine wichtige Rolle und wird an den meisten Instituten zum Gegenstand von Einführungskursen und Methodenübungen. In der theaterwissenschaftlichen Forschungsliteratur führt sie dagegen eher ein Schattendasein, denn selten werden Theateraufführungen der Gegenwart in Monographien und Aufsätzen so detailliert beschrieben und untersucht, dass das aufführungsanalytische Vorgehen tatsächlich im Einzelnen transparent wird. Typischerweise finden sich in der Literatur kurze, illustrative Vignetten mit Aufführungsbeispielen, die nicht genauer erkennen lassen, wie und auf welcher Grundlage sie methodisch erarbeitet wurden. Eine Diskussion darüber, wie man adäquat über Aufführungen schreibt, findet auf wissenschaftlichen Tagungen nur selten statt – wohl aber in der akademischen Lehre. Dort wird an gemeinsam besuchten Aufführungen das Protokollieren von Beobachtungen und Erinnerungen geübt. Das Sprechen und Schreiben über Aufführungen ist insofern charakteristischer Bestandteil des theaterwissenschaftlichen Studiums. Woran könnte es liegen, dass viele Theaterwissenschaftler*innen dieses aufführungsbezogene Schreiben in ihrer späteren Forschungspraxis so nicht beibehalten? Unterschiedliche Gründe wären denkbar: Sicher hat die umstandslose Verfügbarkeit von Fotos, Trailern und Videoclips zu vielen laufenden Inszenierungen das ihre dazu beigetragen, dass in Referaten und Vorträgen allzu oft visuelle Dokumente eine detailliertere Beschreibung des szenischen Geschehens ersetzen.

      Daneben könnte sich aber eine grundsätzlichere Skepsis auswirken. Von jeher gibt es Zweifel am Methodencharakter der Aufführungsanalyse. Gerade im interdisziplinären Kontakt, auf fachübergreifenden Konferenzen oder in Forschungsverbünden wird man mit der skeptischen Einschätzung konfrontiert, die Aufführungsanalyse – in ihrer letztlich doch freien und ungeregelten Form – sei im Grunde keine ‚richtige‘ Methode. Diese Auffassung hat einiges für sich, ist für das Fach aber mit Gefahren verbunden, denn wenn in disziplinübergreifenden Debatten der Methodencharakter der Aufführungsanalyse in Abrede gestellt wird, kann es schnell prinzipiell um die Legitimität der Theaterwissenschaft als Wissenschaft gehen. Gerade

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