Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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Mehrwert gefragt, den biographische Zugänge für eine transnationale Theatergeschichtsschreibung eröffnen. So konstatieren auch Desley Deacon, Penny Russell und Angela Woollacott:

      If history is a chronicle of individuals and their communities, transnational history is no less so. Like other approaches to the past, the study of transnational history must be solidly grounded on specific individuals, their ideas, activities and the organizations they create.10

      Denn gerade das Studium der Biographien von mobilen Theaterschaffenden, die grenzüberschreitende Lebenserfahrungen und Aktivitäten freilegen, so die Ausgangsthese, bieten eine Möglichkeit, den methodologischen Nationalismus zu überwinden. Das Rückverfolgen ihrer Reise- und Migrationswege, das Aufspüren ihrer Motivationen und Entscheidungen, das Rekonstruieren ihrer Aktivitäten – so z.B. Gründung von Theaterhäusern, Übersetzungstätigkeiten oder Vermittlung von Theaterstücken – erlauben es, transnationale Geschichte(n) aufzudecken: Sie zeigen uns eine Welt von Interaktionen, Verflechtungen und Zirkulationen jenseits nationaler Grenzen, sie zeigen aber auch eine Welt zahlreicher Aushandlungsprozesse; kurz: eine Welt, die verbunden und zugleich gespalten ist. Ein biographischer Ansatz ermöglicht zudem nach Hintergründen, Erfahrungen und der Infrastruktur dieser Prozesse zu fragen.

      Im Folgenden möchte ich den biographischen Ansatz anhand von vier Aspekten fokussieren, die miteinander in Verbindung stehen, sich gegenseitig bedingen, und deren Betrachtung einen methodischen Rahmen erlaubt:

      1 Mobilität

      2 Verknüpfung und Vernetzung

      3 Individuelle Perspektive

      4 Aushandlung und Produktivität

      Das Aufspüren mobiler Biographien in einem transnationalen Kontext, und damit auch die Fokussierung der vier genannten Aspekte, ist in einem vielfältigen Quellenkorpus manifestiert. Denn biographische Spuren und die damit einhergehende agency mobiler Theaterakteure sind in Autobiographien, Tagebüchern, Briefen, Telegrammen ebenso wie in Passeinträgen oder Passagierlisten zu finden. Auch sind Programmzettel, Verträge und vor allem Zeitschriften- und Zeitungsartikel hilfreiche Quellen, in denen sich Informationen über Aufenthaltsorte, Gastspiele, Engagements, Aufführungen und ihre Rezeption wie auch Hintergründe eruieren lassen. Eine der größten Herausforderungen ist hierbei – gemäß der geographischen Mobilität des jeweiligen Akteurs – die sprachliche Vielfalt der Quellen sowie ihre geographische Verteilung durch die Welt und auf verschiedene Archive, die vom Forschenden selbst eine beständige Mobilität verlangen wie auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Archivkulturen erfordern. Dank zahlreicher Digitalisierungsprojekte der letzten Jahrzehnte ist eine große Vielfalt an Dokumenten, insbesondere aus dem Bereich der Druckerzeugnisse, online zugänglich gemacht worden, so dass Datenbanken wie Readex, ANNO oder ancestry.com Recherche und Studium diverser Quellenbestände von zuhause aus erlauben und den Arbeitsprozess enorm erleichtern. Einige dieser Datenbanken sind kostenfrei bzw. über erworbene Lizenzen der Universitäten zugänglich, andere wiederum kostenpflichtig.

      Mobilität

      Bei der Beschäftigung mit mobilen Theaterschaffenden kommt man nicht umhin ihre Mobilität selbst in den Fokus zu stellen. Hierbei rücken insbesondere die Art und Weise, die Dauer als auch der geographische Aspekt ins Zentrum. Dadurch lassen sich beispielsweise beliebte und praktische Transportmittel in Erfahrung bringen: So waren seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere Züge wichtige Beförderungsmittel, die sowohl einzelnen Theaterschaffenden die Möglichkeit boten, schnell von A nach B zu kommen, als auch ganzen Truppen. In den Erinnerungen von P. Richards, der den Barnum & Bailey Zirkus begleiten durfte, können wir nachlesen, welches Ausmaß und welche Bedeutung ein solches Transportmittel für die Infrastruktur hatte:

      Um einen Begriff von den Dimensionen zu geben, die hier in Frage kommen, erwähne ich, daß der Barnum & Bailey-Zirkus, den ich von New York bis San Franzisko begleitete, nicht weniger als drei Eisenbahnzüge mit je 35 bis 40 Waggons zu seinem Transport benötigt. Der erste Train befördert die Artisten und das Bureaupersonal, der zweite die Tiere mit ihren Wärtern, der dritte die Requisiten, Kostüme, Zelte u.dgl. So geht’s von Stadt zu Stadt, so rasch, aber auch so angenehm und bequem als möglich. John Ringlings Privatwagen, der gleichzeitig als Empfangsraum für Gäste und Zeitungsleute dient, ist beispielsweise der kostbarste und geschmackvollste Luxuswaggon, der je auf Eisenbahnschienen rollte. (Anschaffungskosten: über eine Viertel Million Mark!)1

      In den USA handelten beispielsweise Eisenbahngesellschaften mit Theaterkünstlern besondere Sonderraten für die Beförderung aus und Theater-Eigner, die die Wichtigkeit dieser Transportmittel erkannten, siedelten ihre Spielhäuser entlang der Eisenbahnnetze an.2 Auch Schiffe gehörten in dieser Zeit, wie zahlreiche Quellen belegen, zu einem wichtigen Beförderungsmittel. Diesen Aspekt hebt Marlis Schweitzer in ihrem Transatlantic Broadway hervor, wo sie aufzeigt, dass durch den Einsatz von Dampfschiffen für viele Theaterschaffende nicht nur weite Distanzen in kurzer Zeit bewältigbar wurden, sondern, dass diese Art zu reisen auch mit erheblichen Kosten einherging; ein Aufenthalt über dem Atlantik rechnete sich für viele erst nach Monaten.3

      Ein biographischer Ansatz, der die Mobilität fokussiert, eröffnet zudem die Möglichkeit, das Mobilitätsverhalten selbst zu untersuchen. Dies möchte ich anhand einiger Beobachtungen der Mobilitätsanalyse von Migranten aus dem Theaterbereich, im Folgenden ‚Theatermigranten‘ genannt, zeigen:4 Betrachten wir die basale Bedeutung des Terminus Mobilität, so lässt sich dieser als „displacement – the act of moving between locations“ oder auch „getting from point A to point B“ mit dem Geographen Tim Cresswell auf den Punkt bringen.5 So weist im klassischen Verständnis auch jeder Akt der Migration einen Ausgangs- und einen Endpunkt auf. Everett S. Lee konstatiert: „every act of migration involves an origin, [and] a destination.“6 Unter einem Migranten wird demzufolge eine Person verstanden, die von einem Land A auswandert und in ein Land B, das Zielland, einwandert und in dieses zunächst den Lebensmittelunkt verlagert. Somit rücken bei einem biographischen Ansatz zwei wichtige Mobilitätsmomente ins Visier: die Auswanderung und die Einwanderung; Momente also, die für die Theatergeschichtsschreibung bis dato keine besondere Rolle spielten. Bei der Auswertung der Biographien von Theatermigranten konnte ich feststellen, dass innerhalb des Theaterbusiness zwischen 1850 und 1914 Theatermigranten auszumachen sind, die in dieses eindimensionale Transitschema (von Land A nach Land B bzw. vom Herkunftsland in das Aufnahmeland) der klassischen Definition eingeordnet werden können. So sind beispielsweise die Shubert Brüder Samuel, Lee und Jacob als Kinder 1882 aus Litauen in die USA eingewandert,7 wo sie als Erwachsene eines der bedeutendsten Theaterimperien ihrer Zeit aufbauten. Auch wenn die Brüder berufsbedingt stets mobil waren, um Stars, Theaterstücke oder Inszenierungen für ihre Theaterhäuser aufzuspüren, blieb ihr Lebensmittelpunkt in den USA. Beim Studium der Mobilität von Theatermigranten fällt jedoch auch auf, dass das eindimensionale Transitschema weiter ausdifferenziert werden muss: Fokussieren wir die Ausreise und die Einreise von Theatermigranten, so fällt ein weiterer Aspekt in Hinblick auf das Mobilitätsverhalten auf: nämlich, dass Theaterschaffende in vielen Fällen nicht einfach im Einreiseland blieben; das Einreiseland war also oftmals nur ein Übergangsland – je nach Engagement, politischer oder familiärer Situation. Dies veranschaulicht z. B. die Migrationsgeschichte des Dramatikers und Theaterdirektors Heinrich Börnstein, der im Verlauf seines Lebens in verschiedenen Ländern lebte. Sein ‚Von Ort-zu-Ort-Reisen‘ ist einerseits familiär bedingt: Geboren 1805 in Hamburg wanderte er im Alter von 8 Jahren mit seiner Familie nach Lemberg aus. Andererseits hat seine Migration professionelle und politische Gründe: So führte ihn sein beruflicher Weg beispielsweise nach Österreich und dort nach Wien, St. Pölten und Linz. Nach kürzeren Stationen in Kroatien, Italien und Deutschland ging er 1842 über Straßburg nach Paris, wo er als Übersetzer, Dramatiker, Theaterdirektor und Herausgeber der Zeitschrift Vorwärts. Pariser Signale aus Kunst, Wissenschaft, Theater, Musik und geselligem Leben war. Da sich das Blatt zum Sprachrohr der radikalen deutschen Oppositionsbewegung mit revolutionär-demokratischer Ausrichtung und antipreußischen

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