Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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Wie viele politische Exilanten dieser Zeit emigrierte er – gemeinsam mit seiner Familie – in die USA. Mit dem Dreimaster Espindola brach er am 4. Februar 1849 von Le Havre auf und erreichte nach 62 Tagen in New Orleans amerikanischen Boden. In den USA ließ er sich zuletzt in St. Louis nieder, wo er neben journalistischen Arbeiten seine Tätigkeit am Theater fortsetze und sich auch im Bürgerkrieg engagierte. Schließlich wurde er 1862 von Lincoln als Konsul nach Bremen geschickt, wo er allerdings nur ein paar Jahre blieb. 1869 zog er weiter nach Wien, wo er wieder am Theater zu arbeiten begann.8

      Heinrich Börnsteins Lebensweg veranschaulicht ein ausgeprägtes Migrationsverhalten sowie unterschiedliche Motivationen für die Ortswechsel. Keinesfalls handelt es sich um einen Sonderfall. Aufgrund einer politisch turbulenten Zeit, aber auch der Strukturen und Arbeitsbedingungen am Theater, die einen häufigen Wechsel der Engagements erforderten, wurden viele Theaterschaffende dieser Zeit zu Migranten. Am Beispiel Börnsteins wird jedoch ein weiterer Aspekt sichtbar, nämlich der der Rückkehr. Für viele Emigranten, insbesondere politische Exilanten wie auch Arbeitsmigranten, beinhaltete die Auswanderung auch eine Option zur Rückkehr.9 Die Gründe waren vielfältig, so z.B., weil sich die politische Lage in der Heimat stabilisiert hatte, sie genügend Geld verdient oder weil sich ihre Vorstellungen nicht erfüllt hatten.

      Ein biographischer Ansatz, der die jeweiligen Aufenthaltsstationen berücksichtigt und untersucht, erlaubt zudem beliebte und starkfrequentierte Reise-, Handels- und Migrationsrouten zu identifizieren. So konstatieren Christopher Balme und Nic Leonhardt:

      The focus on ‚routes‘ directs our attention to connections between nodal points. […] these nodal points emanated from metropolitan centres, especially those that functioned as imperial capital cities. We know from research into shipping routes, submarine telegraph trajectories, and later telephone lines, that very specific lins of communication were established and maintained primarily to service either the lines themselves or colonial towns and cities. One working hypothesis is that the theatrical trade made use of these existing routes and provided a kind of cultural superstructure to enhance living conditions in what were often entirely commercial, administrative and military centres. But it is equally important to track less obvious trajectories and routes, which probably established themselves between colonial centres, and not just between the metropolitan centre and the periphery.10

      Bei einer solchen Analyse der Routen sind Verfahren und Werkzeuge aus dem Bereich der Digital Humanites äußerst hilfreich. Einerseits um die Fülle an gesammelten Daten verwalten zu können, aber auch um diese in Relation zu bringen und die Ergebnisse mittels digitaler tools zu analysieren und zu visualisieren. Erste Schritte in diese Richtung veranschaulichen Projekte wie „Digital Yddish Theatre“ von Debra Caplan und Joel Berkowitz11, „Theatrescapes“ von Nic Leonhardt12 oder „Moving Bodies, Moving Culture“ von Kate Elswit13.

      Verknüpfung und Vernetzung

      Der bereits zitierte Tim Cresswell betont in Hinblick auf Mobilität, dass diese mehr ist als nur der Weg von A nach B.1 Mobilität ist vielmehr als eine soziale und damit relationale Dimension zu verstehen. Dies wird auch in dem gerade angeführten Zitat von Balme und Leonhardt deutlich, bei dem die durch Mobilität entstehenden Verbindungen hervorgehoben werden. Betrachtet man nämlich Auswanderung und Einwanderung – um bei dem Beispiel von Theatermigration zu bleiben – nicht als zwei voneinander getrennte Momente, sondern vielmehr als einen dynamischen, sich gegenseitig bedingenden Prozess, der im biographischen Kontinuum zusammenfällt, da der Aus- und der Einwanderer ein und dieselbe Person sind,2 so wird deutlich, dass Biographien von Theatermigranten grenzüberschreitende Verknüpfungen und Vernetzungen offenlegen. Schließlich, so argumentiert auch Volker Depkat, sind transnationale Biographien in mehreren Räumen angesiedelt und entfalten sich im komplexen Neben- und Miteinander von Herkunfts- und Niederlassungsländern. Sie überschreiten deshalb nationale Grenzen nicht nur, sie verknüpfen vielmehr auch verschiedene Gesellschaften und Kulturen miteinander, die durch diese Grenzen vermeintlich getrennt sind.3

      Auf diese Weise regen Migranten nicht nur Verbindungen über geographische Grenzen hinweg, sondern auch multidirektionale Transfer- und Austauschprozesse an und sind an der Bildung von personalen und institutionellen Netzwerken beteiligt. Betrachten wir z.B. den 1844 in Prag geborenen Gustav Amberg, der im Alter von 20 Jahren in die USA auswanderte, so fällt auf, dass dieser als ein solcher wichtiger Vermittler und Netzwerker fungierte. Er managte deutschsprachige Theatergruppen und Theater in Detroit, St. Paul, Cincinnati und seit 1876 in New York. Hier ließ er deutschsprachige Operetten, wie beispielsweise Die Fledermaus von Johann Strauß, deutschsprachige Dramen, aber auch zahlreiche in Europa bekannte Theaterstücke des Naturalismus in ihrer deutschen Übersetzung spielen. Damit jedoch nicht alles; Amberg hat eine Vielzahl an Schauspielern aus dem deutschsprachigen Gebiet in die USA für Gastauftritte engagiert und so das Tourneetheaterbusiness befördert. Sie sowie die Programmauswahl in vom Amberg geführten Häusern waren ein Zuschauermagnet, der schließlich Publika verschiedener Nationalitäten ins Theater lockte, wie Hermann Rothfuss hervorhebt:

      It must have been a glorious time for German theatre goers in New York – and not only for them, for it was estimated that thirty to forty percent of the people attending Amberg’s offerings were of non-German background.4

      Amberg schaffte es also, nicht nur Verbindungen zwischen den deutschsprachigen Ländern in Europa und den in den USA lebenden deutschen Emigranten herzustellen. Indem sein Theater auch von Zuschauern anderer Nationalitäten besucht wurde, indem US-Amerikanische Zeitschriften über die Aufführungen in Ambergs Theatern berichteten, erschuf er einerseits einen transnationalen sozialen Raum und eine kulturelle Kontaktzone, ermöglichte andererseits aber die Popularisierung deutscher Kunst und deutscher Künstler über dem Atlantik. Seine Theater waren oftmals ein Sprungbrett für deutschsprachige Schauspieler, die durch ihre Erfolge am New Yorker Thalia oder am Amberg Theater Einladungen von anderen Häusern in den USA erhielten und größere Gastspielreisen machten. Rekonstruiert man die Verbindungen, die Amberg erschuf, so kommt ein ausgedehntes transnationales Netzwerk zum Vorschein. Ein Netzwerk, dessen Wert die berühmten Shubert Brüder erkannten, als sie Amberg – nach der Aufgabe seiner Tätigkeit als Theatermanager – als Agenten engagierten.5 Für sie zog er zurück nach Europa, wo er den Theatermarkt nach Kassenschlagern für die USA studierte und mit Verlegern Rechte und Verträge aushandelte, wie die folgende Korrespondenz veranschaulicht:

      Abb. 1:

      Korrespondenz Shubert-Amberg, Shubert Archive New York.

      Der biographische Ansatz ermöglicht es also, Prozesse der Verknüpfungen und Vernetzungen auf einer Mikroebene aufzudecken und so Funktionsweisen der Theaterpraxis wie auch ihre Netzwerke freizulegen. So beschreibt Marlies Schweitzer, die Auswirkungen der Mobilität um den Jahrhundertwechsel resümierend, als die Etablierung einer transnationalen Theaterkultur:

      By 1910, many of the plays, performers, songs, and costumes that filled commercial theatres in New York were similar to if not identical to those filling commercial theatres in London, Paris, Berlin, Budapest, Vienna, Leipzig, Sydney, Melbourne, Cape Town, and Calcutta.6

      Individuelle Perspektive

      Wichtig erscheint es in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass es nicht ausreicht, lediglich die Reise- und Migrationswege sowie die hierdurch erschaffenen Verknüpfungen und Netzwerke zu studieren bzw. zu rekonstruieren, um einer transnationalen Geschichtsschreibung gerecht zu werden. Gerade ein biographischer Ansatz, der nach individuellen Erfahrungen der Mobilität und ihren Folgen fragt, bietet die Möglichkeit, auch die individuelle Perspektive mit in die Analyse zu bringen. Hierdurch offenbart sich die Vielschichtigkeit von Mobilitätsprozessen und ihren Auswirkungen auf das Theater. Hierdurch bekommen wir auch einen sonst im Verborgenen gebliebenen Einblick in Hintergründe von Handlungen und Entscheidungen.

      Auf

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