Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов страница 18

Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

Скачать книгу

praxeologischen Theaterhistoriographie Modelle von historischer Theaterpraxis zu erzeugen, vielmehr interagiert sie mit aktuell vollzogener Praxis als eine mögliche historische Deutung unter vielen. In Bezug auf heutige Kunst und Kultur erkennen wir eine große Bandbreite an szenischen Ereignissen als theatrale Praxen an. Wenn wir aber zurückschauen in die Geschichte, dann tendieren wir dazu, ein ideales Modell zu suchen. Wir stellen etwa fest, barocke Theaterpraxis hat diese und jene Aspekte und Elemente. Wenn man dann aber genauer in die Aufführungspraxis hineinschaut und auch in die überlieferten Partituren und Quellen, dann stellt man fest: Vieles passt in die geprägte historiographische Formel vom Barocktheater gar nicht hinein. Es wäre nun möglich, dies als historische Abweichung zu denunzieren, vielleicht sogar ganz aus dem Definitionsbereich von barockem Theater herauszunehmen, um das Modell zu retten. Oder man geht den umgekehrten Weg und erkennt an, dass das Modell sich notwendig bis zur Unkenntlichkeit ausdifferenzieren muss. Dies erscheint adäquat, zumal gerade das 18. Jahrhundert keineswegs mit einer fixierten literarischen Werkkategorie operierte.

      Das praktische historisierende Theaterprojekt kann hier ein Angebot sein, mit der differenzierten historischen Praxis umzugehen und das Denken in Abweichung und Norm zugunsten von Vielfalt und Ausdifferenzierung abzulegen. Dennoch muss man sich bewusstmachen, dass auch die historisierende Aufführung in der Gefahr steht, wiederum ein Modell zu generieren. Die Theater-Produktion wird schnell als Modell aufgenommen und kommodifiziert. Das oben beschriebene Pygmalion-Projekt geht gerade diesen Weg. Die Produktion wird immer wieder als Lehrmittel und als Performance im Kontext von Studienprogrammen, Konferenzen, Early Music-Festivals u.ä. angefragt. Gerne sehen wir die Strahlkraft unserer Arbeit, die geteilte Faszination am historisierenden Experiment. Und dennoch dürfen wir nicht nachlassen, die diskursive Klammer zu setzen und dieses Produkt unserer praxeologischen Theaterhistoriographie durch Reflexion weiter permanent in Frage zu stellen und quasi durchzustreichen. Nur so kann eine Modell-Bildung unterlaufen werden.

      Ausblick

      Eine praxeologische Theaterhistoriographie kann in die Befragung historiographischen Textwissens investieren und durch praktische Workshops und Projekte die Zugangs-Möglichkeiten zu historischer Praxis erweitern. Die eigene Wissens- und Wissenschaftspraxis lässt sich mit performativen Formaten befragen und produktiv weiterentwickeln. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die Rekonstruktion historischer Aufführungen, sondern um die kritische Konstruktion/Produktion differenzierender historischer Narrative. Das kreative Zusammenwirken akademischer und künstlerischer Forschung ist dabei die notwendige Voraussetzung, so wie es exemplarisch im Forschungsprojekt Performing Premodernity zur historischen Theaterpraxis im späten 18. Jahrhundert durchgeführt wurde. Die performative und erfahrungsbasierte Verhandlung zwischen dem, was als Theater damals und heute praktiziert wird und wurde, ist als Initial neuer historischer Erzählungen grundsätzlich wertvoll und lässt sich denkbar auf weite Bereiche und Momente der Theatergeschichte ausdehnen.

      Transnationale Theatergeschichte(n): Der biographische Ansatz

      Berenika Szymanski-Düll

      Historisch betrachtet ist die Geschichte des professionellen Theaters auch eine Geschichte der Mobilität. Bereits seit der Antike ziehen Mimen, Gaukler, Artisten und Schauspieler1 mit ihrer Kunst von Ort zu Ort. Trotz der zunehmenden Etablierung ‚stabiler‘ bzw. ‚stehender‘ Bühnen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts blieb das Theater keineswegs ‚stehen‘; ganz im Gegenteil: Die Revolution auf dem Gebiet des Transportwesens und die Industrialisierung der Verkehrsmittel ermöglichten es Theaterschaffenden, insbesondere seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihren einschränkten Radius auszuweiten: Zogen die Wandertruppen bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch mit Eseln, Pferden und Karren mühsam von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt, so waren die Dimension als auch die Frequenz der Mobilität mit der Etablierung von Eisenbahnen und Dampfschiffen seit der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts eine andere. Sarah Bernhardt, Eleonora Duse, Tommaso Salvini – um einige prominente Beispiele zu nennen – spielten nicht nur in Europa, sie bereisten auch andere Kontinente und etablierten sich so zu weltweit gefeierten Stars. Doch auch solche Schauspieler, die nicht zu Stars aufstiegen, bereisten den Globus; so z.B. Daniel Bandmann, der in An Actor’s Tour or Seventy Thousand Miles with Shakespeare seine ausgedehnten Tourneen beschreibt, die ihn u.a. nach Singapur, Shanghai, Melbourne, Calcutta und Bombay führten.2 Mobilität kennzeichnete aber auch das Leben von Theatermenschen, die nicht direkt auf der Bühne standen: Theateragenten, Impresarios, Theaterdirektoren – auch sie waren oftmals in ständiger Bewegung, um neue Stars, spannende Produktionen oder angesagte Stücke aufzuspüren. Darüber hinaus muss in Betracht gezogen werden, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Migration eine bis dato ungekannte Größenordnung annahm und im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrhunderten mehrmals um das Zehnfache gestiegen war.3 Unter den zahlreichen Auswanderern, die innerhalb Europas migrierten oder in neue und ihnen fremde Kontinente aufbrachen, befanden sich auch viele Theaterschaffende.

      Auch das 20. und das 21. Jahrhundert ist durch Phänomene des Mobilen gekennzeichnet. Und während das Studium theaterhistorischer Quellen zeigt, wie vielfältig und rege die Mobilität im Verlauf der Theatergeschichte ist, wie viele kulturelle Kontakte auf diese Weise einhergingen, wie viele den nationalen Rahmen übersteigende theatrale Netzwerke geknüpft wurden und regen Austausch, multidirektionale Transfers und diverse Übersetzungen nach sich zogen, so muss festgehalten werden, dass in wissenschaftlichen Publikationen die beschriebenen Phänomene nur rudimentär und punktuell aufgegriffen werden, sich vor allem an prominenten Akteuren oder erfolgreichen Dramen und ihren Inszenierungen entlang hangeln. Dies liegt zum einen an der zentralen Rolle der ‚Nation‘ für die Geschichtsschreibung: „Seit der Spätaufklärung wurde sie [die Nation] zum wichtigsten Untersuchungsgegenstand der Historiker“, wie Kiran Klaus Patel festhält, denn „die Geschichtsschreibung hatte selbst wesentlichen Anteil an der Konstituierung und Stabilisierung der Nation als imaginierte Gemeinschaft, als Utopie und appellative Instanz, aber auch als Erfahrungsraum und Handlungsgröße.“4 So stellte in diesem Zusammenhang beispielsweise Marvin Carlson sogar noch im Jahr 2013 fest, dass wichtige Standartwerke der Theatergeschichte oft zwar den Anspruch erheben, universal zu sein, trotzdem jedoch die nationale Perspektive des jeweiligen Autors kaum überschreiten.5 In der geschichts- und sozialwissenschaftlichen Forschung hat sich hierfür der Begriff des ‚methodologischen Nationalismus‘ etabliert, der eine kritische Position einnimmt gegenüber einer auf den Nationalstaat als abgegrenzte und relativ homogene Einheit fokussierten Forschungsperspektive.6

      Zum anderen liegt die geringe Beschäftigung mit Phänomenen der Mobilität und ihren Auswirkungen auf das Theater an der Fokussierung der Sesshaftigkeit und dem damit einhergehenden Problem, dass die meisten Archive nach einem nationalstaatlich oder lokalstädtisch organisierten Prinzip strukturiert sind, weswegen mobile Akteure oftmals durchs Raster fallen bzw. selten umfassend erfasst werden. So hebt beispielsweise Peter Schmitt hervor, dass es nicht so sehr am fehlenden Material liege, dass mobile Künstler so selten von der Historiographie berücksichtigt werden, sondern vielmehr am „Selbstverständnis einer Theaterhistoriographie, die im theaterhistorischen Prozeß die Seßhaftigkeit des Darstellers zur zulässigen Norm erhoben hat.“7

      Hinzu kommt auch das starke Interesse der Theaterwissenschaft für die Aufführungsgeschichte bzw. Inszenierungsanalyse, in deren Kontext bestimmte Fragestellungen und Aspekte – wie vor allem solche, die außerhalb des Bühnengeschehens liegen und nach Infrastruktur oder den Auswirkungen der Mobilität fragen – oftmals unberücksichtigt bleiben oder lediglich marginal berührt werden.

      Da das Interesse der Theaterwissenschaft an kulturellen Verflechtungen und transnationalen Phänomenen in den letzten Jahren zunehmend steigt,8 möchte ich in dem vorliegenden Beitrag einen möglichen methodischen Zugriff thematisieren, der es erlaubt, die Mobilität und ihre Konsequenzen innerhalb der Theatergeschichte zu untersuchen und auf diese Weise transnationale Theatergeschichte(n) aufzudecken. Hierbei werde ich mich nicht auf Inszenierungen oder Theatertexte konzentrieren, sondern auf Individuen und ihre Aktivität selbst. Der von mir gewählte Zugang ist also ein biographischer.9 Hierbei geht

Скачать книгу