Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов

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Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов Forum Modernes Theater

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auf performative Experimente einzulassen, bedeutet ein Risiko für die gepflegten wissenschaftlichen Glaubenssätze und methodologischen Traditionen. Und – es verlangt von einem, den Genuss des Performance-Erlebnisses ständig mit dem Bestreben nach neuer Erkenntnis und einem besseren Verständnis dessen, was gerade vor sich geht, auszubalancieren.

      In meinem Beitrag werde ich mich zwar auf die Theaterpraxis des 18. Jahrhunderts beziehen, im Vordergrund steht jedoch eine grundsätzliche Diskussion der Potentiale und auch der Probleme einer praxeologischen Theaterhistoriographie. Ich möchte hier voranstellen, dass die methodischen Überlegungen in engem Zusammenhang stehen mit dem Forschungsprojekt „Performing Pre-Modernity. Exploring Cultural Heritage through the Drottningholm Court Theatre“2 (2013-2017, gefördert vom schwedischen Riksbankens Jubileumsfond) und den Theaterprojekten, die in diesem Rahmen entstanden sind. Während der Projektlaufzeit wurden akademische und künstlerische Forschung eng aufeinander bezogen, um in einem erweiterten Zugriff auf historische Theaterpraxis eine bessere Vorstellung von der konkreten Theaterperformance in historischen Theatern zu gewinnen. In spezifischen Workshops wurden, vorbereitet durch Forschung an Text- und Bildquellen, einzelne Aspekte wie etwa Klangqualitäten, energetische Prozesse des Raumes, Bewegungsmöglichkeiten, Kostüm und Licht, Beziehungen zwischen Musikperformance und Deklamation/Gesang, exploriert. Hier kam die Expertise der beteiligten Musiker und Theaterforscher zusammen und führte in den jeweiligen Bereichen der Aufführungspraxis und der akademischen Praxis (Lehre, Konferenzen, Textproduktion) durch einen Feedback Loop zu weiteren Erkenntnissen.

      Abb. 1:

      Feedback Loop zwischen Theorie und Praxis. Graphik: Meike Wagner.

      Ich werde mich zuerst mit dem Konzept der ‚Praxeologie‘ auseinandersetzen und einige grundlegende Fragen zum Verhältnis von Praxis und Theorie in der historischen Forschung diskutieren. Anschließend werde ich in einem zweiten Schritt anhand von Praxis-Beispielen aus dem Forschungsprojekt Einzelaspekte eingehender diskutieren. Die Methodik steht mit der Projektarbeit in einer deduktiven Beziehung, d.h. zunächst haben wir auf der Grundlage von diskursiver, dramaturgischer und quellenbasierter Forschung mit den praktischen Projekten begonnen. Die damit verbundenen Problemkomplexe führten zu einer intensiven Reflexion über die Methodik. Dieser Prozess ist jedoch keinesfalls abgeschlossen, die ‚Praxeologie der Theaterhistoriographie‘ stellt eine Versuchsanordnung dar.

      Praxistheorie in der Theaterwissenschaft

      Das Verhältnis von Praxis und Theorie zur Generierung von Wissen auszuloten, ist in den Geisteswissenschaften kein neues Verfahren. Auch in der Historiographie gibt es schon seit den ersten Versuchen einer disziplinären Ausdifferenzierung der ‚Geschichtswissenschaften‘ immer wieder Bemühungen, durch praktisches Tun Erkenntnisse über frühere Zeiten zu gewinnen. Rückblickend erscheinen uns diese Ansätze in der Theatergeschichte eher rührend und naiv – wenn man etwa die historischen Forschungen der Meininger anschaut oder die studentischen Re-Inszenierungen von antiken Dramen in diversen Fachbereichen zu allen Zeiten etc. Bei der Betrachtung solcher Projekte stellt sich eine gewisse Faszination ein, gleichzeitig aber auch ein gewisses historiographisches Unbehagen. Weil wir vom heutigen Standpunkt aus, diese historiographische Herangehensweise nur als positivistisch bezeichnen können – nämlich als Versuch, eine historische Wissenslücke durch Evidenzschaffung zu schließen: „Seht her, so ist es gewesen!“. Und auch, weil in der Regel diese Art von historischer Rekonstruktion nicht von einer historiographisch-methodischen Reflexion durchdrungen ist. Das Ergebnis muss für sich sprechen und setzt seine Effekte, die eigene historiographische Methodik wird nicht umfassend reflektiert und problematisiert.

      Wie soll man nun einen Weg beschreiten, der sich historiographisch auf der Höhe der Zeit bewegt und dennoch das reiche Wissensangebot durch Praxis schöpfen kann? Leichter wird es dadurch, dass die gesamte Geisteswissenschaft und auch die Theaterwissenschaft nun seit mehr als 30 Jahre vom Diskurs des practice turn und des performative turn geprägt ist. Diese Entwicklungen haben neue Reflexionen über das Verhältnis von Theorie und Praxis in Lehre und Forschung angestoßen und befördert. Der britische Theaterwissenschaftler Baz Kershaw, der schon früh den produktiven Austausch zwischen Theorie und Praxis ins Zentrum seiner Lehre und Forschung setzte, bezeichnet dies als eine „Schwindel erregende Durchkreuzung“ der Disziplinen in der Folge des ‚practice turn‘:

      A key component in the ‘practice turn’ in the disciplines has been a vertiginous traverse between discursive and embodied ways of becoming/being, doing epistemologies and creating ontologies. [Practice as Research] in theatre/performance studies increasingly has aimed to rest, as it were, on the point of that turning. One major sign of the criticality of that conundrum is the ‘foundational problem of where knowledges are located’ (Piccini and Rye, in Allegue et al. 2009:36 ). And that indicates a profound principle of practice as research in theatre and performance: that its methods always involve the dislocation of knowledge itself.1

      Seit den 1990er Jahren entwickelten sich im Feld der ‚Practice as Research‘ (PaR) in den anglophonen Ländern viele diverse Ansätze, die Praxis und Theorie in Theaterwissenschaft und Performance Studies verbinden. Beides, PaR-Forschung und -Lehre, sind heute weitgehend in den Universitäten und Theaterhochschulen anerkannt. Dennoch fällt es PaR-Forschern und -Lehrenden bis heute schwer, ihre Forschungsstrategien und Forschungsmethoden theoretisch umfassend zu formulieren. Eine Reflexion über die Rolle des Forschers, Lehrers, Künstlers, die phänomenologische und epistemologische Ebenen umfänglich berücksichtigt, steht noch weitgehend aus. Und, obgleich historische Ereignisse und Epochen durch PaR-Projekte bearbeitet wurden, steht die Theaterhistoriographie an sich hier nicht zur Debatte. Aber PaR kann, wie ich meine, wichtige Impulse für eine praxeologische Theaterhistoriographie geben, wenn man sich die zentralen Elemente und Konzepte des Feldes einmal genau anschaut.

      Für eine Übersicht des stark expandierenden Feldes macht es Sinn, Linda Candy’s methodologischer Unterscheidung zwischen einer practice-based research und einer practice-led research zu folgen. Dann ist ersteres eine „original investigation undertaken in order to gain new knowledge partly by means of practice and the outcomes of that practice.“ Für eine vollständige Vermittlung dieser Forschung ist es notwendig zumindest teilweise die Ergebnisse mit kreativen Formen zu repräsentieren. Letzteres ist „concerned with the nature of practice and leads to new knowledge that has operational significance for that practice. The main focus of the research is to advance knowledge about practice, or to advance knowledge within practice.“2

      In diesem zweigeteilten Feld situiert sich das Projekt einer praxeologischen Theaterhistoriographie eher im Bereich der practice-led research. Das Hauptziel der Forschung ist der Gewinn von Erkenntnissen zu historischen Theaterpraxen durch experimentelle Praxis zu gewinnen – indem in eine produktive Aushandlung zwischen ästhetischer Erfahrung, Wissensexpertise und praktischen Epistemen in Gang gesetzt wird. Auch spielen Aspekte von practice-based research eine Rolle, wenn historische Theaterwerke auf der Basis von erweitertem Wissen aufgeführt werden. Wenn man als Theaterhistorikerin im Feld der künstlerischen Praxis ‚wildert‘, so muss notwendig eigene akademische Forschungspraxis reflektiert werden. Kanonisierte Methoden und akademische Fertigkeiten in Frage zu stellen, ist ein Teil der Unternehmung – Praktiker und PaR-Lehrende sprechen hier von Prozessen der Wissens-Verlagerung („dislocating knowledge“3), dem kulturellen Verlernen/Entlernen („cultural unlearning“4), und der Generierung von anderem Wissen.

      Beide, die kritische Verlagerung und die kreative Produktion von Wissen sind mit zwei Diskursfeldern der akademischen Forschung verknüpft. Das erste basiert auf der These, das praktische/künstlerische Forschung eine Provokation des akademischen Wissens- und Methoden-Kanons darstellt, die Modi des Denkens und Tuns über Lesen und Schreiben hin erweitert und etablierte Formen von wissenschaftlicher Sozialisierung und akademischem Habitus in Frage stellt. Das zweite hängt mit einem neuen Verständnis von embodied knowledge zusammen und diskutiert die Aneignung und Vermittlung

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