Zeit zählt. Andrew Abbott

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Zeit zählt - Andrew Abbott Positionen – Sozialforschung weiter denken

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Verbindlichkeiten aus der von ihr ebenso gemachten wie erlittenen Geschichte in den Ruhestand mit. Da überdies der Ruhestand zu jedem beliebigen Zeitpunkt mehrere Kohorten potenzieller Ruheständler einschließt, kann selbst ein Periodenansatz dem Umstand nicht gerecht werden, dass die diversen vom Ruhestand betroffenen Kohorten jederzeit eine systematisch verschiedenartige Reihe eingeschriebener Erfahrungen in ihn einbringen, eine Verschiedenartigkeit, die selbst die Rentenpolitik in diesem Moment bestimmen wird.

      Was für den Moment der Verrentung zutrifft, gilt auch allgemeiner. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt kennzeichnen Ereignisse und sozialer Wandel die Erfahrung der verschiedenen Kohorten. Langfristige Trends, lokale Schwankungen, idiosynkratische Veränderungen: All dies kennzeichnet Kohorten unauslöschlich – mit charakteristischen Berufsbiografien, mit bestimmten Fähigkeiten und Erfahrungen, mit finanziellen Mitteln, mit beruflichen und beschäftigungsspezifischen Vorteilen und Nachteilen –, und all diese Kennzeichen werden durch die simple Historizität von Individuen in die Zukunft überführt.

      Bis hier scheint meine Argumentation – um es mal ganz nüchtern zu formulieren – womöglich einfach darauf hinauszulaufen, dass die historische Demografie zu wichtig ist, um sie den Demografen zu überlassen. Ich möchte aber zumindest die Anfänge zweier weiterer Argumente andeuten, die damit verwandt sind, das eine im Sinne direkter Abstammung, das andere im Sinne einer ehelichen Verbindung, die mit einer gewaltigen und imposanten Mitgift einhergeht.

      Mein zweites verwandtes Argument – das »angeheiratete« – ist weniger leicht zu fassen. Es geht um Folgendes: Sobald wir den Begriff der Einschreibung (encoding) dazu genutzt haben, zu erkennen, wie große Mengen vergangener Geschichte in die Gegenwart gebracht werden – nämlich als Aktivposten und Verbindlichkeiten und Einschränkungen in der Gegenwart, die in Erscheinung treten, wenn wir uns der Historizität von massenhaften Individuen erinnern –, müssen wir im Anschluss einen weiteren Schritt machen, um zu sehen, wie sich die strukturelle Neuordnung im gegenwärtigen Moment vollzieht. Wir müssen also nachvollziehen, wie die Kodierung von einem Moment zum nächsten voranschreitet und dabei potenziell die gesamte soziale Struktur neu ordnet.

      Zusammengefasst habe ich also ein Hauptargument und zwei Ableger. Das Hauptargument besagt, dass die historische Demografie in der Tat zu wichtig ist, um sie den Demografen zu überlassen, weil niemand von uns die Folgen der Historizität von Individuen ignorieren kann. Die beständigen Massen biologischer Individuen sind eine der größten »sozialen« Kräfte, die es gibt. Das erste daraus abgeleitete Argument besagt, dass es noch schwieriger wird, die Historizität ernst zu nehmen, wenn wir intermediäre soziale Gruppen wie Berufe, soziale Bewegungen usw. in den Blick nehmen. Der zweite argumentative Ableger besagt, dass es uns unweigerlich dazu bringen wird, sowohl über kulturelle als auch über verhaltensbezogene Determination zu reflektieren, wenn wir der Frage nachgehen, wie die Historizität von Individuen und sozialen Gruppen effektiv von Moment zu Moment eingeschrieben wird. Mit diesen drei Argumenten habe ich die theoretischen und empirischen Hauptlinien des prozessualen Ansatzes dargestellt.

      1Diesen Text habe ich 2003 als Presidential Lecture vor der Social Science History Association vorgetragen. Er erschien anschließend mit kleineren Änderungen in Social Science History (29/1, S. 1–13) unter dem Titel »The Historicality of Individuals«. Ich habe ihn hier noch einmal leicht überarbeitet, ohne ihm jedoch seinen Charakter als mündlichem Vortrag zu nehmen.

      

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