Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul Schmidt страница 22

Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

Скачать книгу

Persönlichkeiten und ausländischen Diplomaten, die sich zur Verabschiedung eingefunden hatten, dem unserer Abfahrt nach London im August des vergangenen Jahres. Nur bestand diesmal der Zug aus Schlafwagen, denn die Reise würde erst am nächsten Nachmittag südlich der Alpen enden.

      Die beiden Hauptdelegierten Deutschlands waren Stresemann und Luther, der inzwischen Reichskanzler geworden war. Unter den Dolmetschern fehlte Michaelis, dem man seine Entgleisung in London doch nicht verziehen hatte. Außer mir war für die Übersetzungen nur noch Dr. Norden mitgekommen, der mir unterwegs interessante Einzelheiten über die Entstehungsgeschichte dieser Konferenz zu berichten wußte. Er hatte überall im Auswärtigen Amt Freunde und Bekannte, betrieb das Dolmetschen mehr oder weniger zwangsweise nur als Nebentätigkeit und gehörte im übrigen zu einem Referat der Rechtsabteilung. Er war immer ausgezeichnet im Bilde.

      So erfuhr ich von ihm, daß zunächst auf die Februarnote überhaupt keine Reaktion erfolgt war. Norden erzählte mir, daß D’Abernon schon Ende Dezember in einem Gespräch mit dem Staatssekretär von Schubert von dem Plan einer deutschen Initiative erfahren und ihn sofort aufgegriffen habe und daß die erste Anregung zunächst Chamberlain unterbreitet worden sei. Dieser habe sie jedoch ziemlich brüsk abgelehnt, weil sie zu seinen eigenen Plänen im Widerspruch stand. Erst daraufhin habe man sich von deutscher Seite in aller Eile entschlossen, direkt an Frankreich heranzutreten, und habe am 9. Februar die Note übergeben, die damals durch meine Hände gegangen war. Herriot hatte die ganze Angelegenheit ruhen lassen, war inzwischen gestürzt worden, und erst sein Nachfolger Briand hatte die Frage wieder aufgenommen. Allerdings hatte sich Frankreich erst im Juni zu einer ausführlichen Gegenäußerung mit allerhand Abänderungsvorschlägen herbeigelassen. Erst so, erzählte mir Norden, sei es auf dem Wege über die Juristenbesprechung in London zur Konferenz von Locarno gekommen.

      In Deutschland herbstelte es im Oktober schon ziemlich stark, in den höheren Lagen der Alpen standen die Bäume völlig kahl da und die Landschaft sah so aus, als bereite sie sich auf den nahen Winter vor. Das änderte sich mit einem Schlage, als wir auf der anderen Seite des Gotthard-Tunnels in den Schweizer Tessin hineinfuhren. Hier hatte man den Eindruck, mitten im Hochsommer zu sein, und je weiter wir nach Süden kamen, desto stärker wurde das Gefühl, daß sich die Jahreszeit nach rückwärts bewegte.

      Über Bellinzona fuhr unser Zug auf einer kleinen Nebenstrecke bis nach Locarno. Die Hauptdelegierten waren von der letzten Station aus schon im Wagen vorausgefahren. So stießen wir auf dem kleinen Bahnhof von Locarno bei den Journalisten und den internationalen Schlachtenbummlern der großen Konferenzen, die sich in Massen auf dem Bahnsteig drängten, auf arg enttäuschte Gesichter.

      In dem etwas außerhalb von Locarno, in Minusio, gelegenen Hotel Esplanade war die ganze Delegation geschlossen untergebracht. Am nächsten Tage trat ich dann zum ersten Male in Gegenwart von Luther und Stresemann als Dolmetscher auf einem Empfang der ausländischen Presse im Esplanade Hotel in Aktion. Luther machte einige Ausführungen über Deutschlands Friedensbestrebungen, von denen mir heute wohl deshalb keine Einzelheiten mehr in Erinnerung sind, weil ich als Dolmetscher dabei nicht in Aktion zu treten brauchte. Das gleiche gilt für Luthers erste Unterhaltung mit Briand in Ascona, die von den Journalisten viel beachtet wurde. Um so deutlicher erinnere ich mich aber an das, was Stresemann der Presse sagte, und zwar weil es Sowjetrußland betraf, dessen Haltung gegenüber den Bemühungen der damaligen Westmächte, mit Deutschland in Locarno zu einer Einigung zu gelangen, sowie ganz allgemein gegenüber dem Völkerbund schon damals genau so argwöhnisch war wie heute gegenüber den Westmächten und den Vereinten Nationen.

      Wenige Tage vor der Abreise der deutschen Delegation nach Locarno hatte sich der sowjetische Volkskommissar für Auswärtiges, Tschitscherin, in Berlin eingefunden und eine damals viel beachtete Unterredung mit Stresemann gehabt, aus der sich allerlei sensationelle Kombinationen in der Presse ergaben. Seitdem die Welt durch den Abschluß des Vertrages von Rapallo zwischen Deutschland und Sowjetrußland am 17. April 1922 auf der Konferenz von Genua verblüfft worden war, wurde alles, was sich zwischen den Sowjets und der deutschen Republik abspielte, mit Aufmerksamkeit und Mißtrauen von den Westmächten verfolgt.

      Stresemann wies in dieser ersten Pressekonferenz von Locarno die sehr aufmerksam mitschreibenden Journalisten darauf hin, daß er sich mit Tschitscherin im wesentlichen über den Handelsvertrag zwischen Deutschland und Rußland unterhalten habe, und daß daran keinerlei Sensation zu suchen sei. Mit einer gewissen Betonung fügte er hinzu, daß man wohl in Rußland eine Zeitlang gefürchtet habe, Deutschland werde in Locarno eine vollkommene Umstellung seiner Politik vornehmen und sich ausschließlich nach Westen orientieren, „Für uns gibt es keine Option zwischen Ost- und Westpolitik. Wir wollen nach beiden Seiten gute Beziehungen unterhalten“, erklärte Stresemann in diesem Zusammenhang. Die Journalisten stürzten hinaus an die Telefone, und die erste große Meldung aus Locarno ging in die Welt, noch ehe die Konferenz eigentlich begonnen hatte.

      Am nächsten Vormittag, am 5. Oktober 1925, wurde dann die Konferenz bei herrlichem Sommerwetter in dem schmucklosen Sitzungssaal des kleinen Rathauses eröffnet. In diesem Raum stand in der Mitte ein großer viereckiger Tisch, um den herum sich die Hauptdelegierten zwanglos auf recht unbequemen Holzstühlen gruppierten. An jeder Seite des Tisches hatten 4 bis 5 Personen Platz, so daß nur die Hauptdelegierten am Tisch selbst sitzen konnten, alles andere aber sehen mußte, wo es auf einem Stühlchen im Hintergrund unterkam. Zu beiden Seiten dieses Tisches, der fast den ganzen Raum füllte, stand noch je ein schmaler, kleiner Tisch, an dem eigentlich nur zwei Personen Platz hatten, der aber immer von Sekretären und Sachverständigen, die ihre Akten ausbreiten wollten oder etwas zu schreiben hatten, belagert war. An dem kleinen Tisch hinter den deutschen Delegierten hatte auch ich mir einen Platz „erobert“. Es war, wie sich später zu meinem Leidwesen herausstellte, ein akustisch sehr ungünstiger Standort, da Stresemann und Luther, die ich zu übersetzen hatte, immer von mir weg sprachen und ich alle Mühe hatte, ihnen zu folgen, wenn etwa an dem gleichen Tisch noch jemand mit Papieren raschelte oder gar eine geflüsterte Unterhaltung stattfand. Links neben der deutschen Delegation saßen die Italiener; die Engländer nahmen unter Führung von Austen Chamberlain die noch an der linken Breitseite freien Plätze ein. Den Deutschen gegenüber saßen die Franzosen Briand, Berthelot und Fromageot. An der rechten Seite des Tisches hatten die Belgier Platz genommen, die von Außenminister Vandervelde geführt wurden. Auch Gaus und Staatssekretär Kempner von der Reichskanzlei hatten sich auf dieser Seite noch an den Tisch gezwängt, wodurch der Kreis zur deutschen Delegation wieder geschlossen wurde.

      In den Endphasen der Konferenz, als auch die Tschechoslowakei und Polen hinzugezogen wurden, war die Enge noch größer, denn der kleine, stets lächelnde Dr. Benesch und der immer mißmutig dreinblickende polnische Außenminister, Graf Skrzynski, wollten natürlich auch am Tisch der Großen sitzen. Es war also, technisch gesehen, eine sehr improvisierte Konferenz, die da im Rathaus von Locarno zusammentrat. Sie hielt keinen Vergleich mit der wohl vorbereiteten Veranstaltung vom Vorjahre in London aus, wo neben dem geräumigen Hauptsitzungssaal noch viele andere Räume zur Verfügung standen, wo die Dolmetscher ihre Plätze am großen Tisch unmittelbar neben ihren Delegierten hatten, wo die Sekretäre und Sachverständigen in Ruhe arbeiten konnten und sich der ganze technische Apparat einer solchen Zusammenkunft schon nach den ersten Stunden völlig eingespielt hatte.

      Hier in Locarno, das merkte man auf Schritt und Tritt, war man auf dem Lande. Es war fast rührend zu sehen, wie sich die Stadt, vom Bürgermeister bis zum geringsten Einwohner, bemühte, den Konferenzteilnehmern das Leben angenehm zu machen, und wie weit entfernt von diesem Ziele sie in den technischen Einrichtungen blieben.

      Rührend in seiner Einfachheit, aber gerade vielleicht deshalb um so überzeugender, wirkte inmitten dieser Versammlung der Großen Europas auch der Bürgermeister des kleinen Städtchens, der in wohlgesetzten Worten auf französisch die Teilnehmer begrüßte und sich dann unter vielem Lächeln und Händedrücken sichtlich voll Stolz über seine Teilnahme an dem historischen Augenblick zurückzog.

      Nun waren die Staatsmänner unter sich, denn die Besprechungen fanden unter Ausschluß der Öffentlichkeit

Скачать книгу