Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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einer Familie verdiente.

      Daß für mich persönlich außerdem noch ein starker Kontakt zu den Dolmetschern bestand, insbesondere später zu den hervorragenden Könnern des Völkerbundes in Genf, ist selbstverständlich. Aber auch hier fiel mir besonders angenehm das freundliche Entgegenkommen meiner ausländischen Kollegen auf, die mich, den Neuling und den Jüngsten in ihrem Kreise, unterstützten und mir in manchen beruflich schwierigen Augenblicken, an denen es nicht fehlen sollte, Mut zusprachen.

      Als damals in London bei solch einer „Familienunterhaltung“ einer der Sekretäre der französischen Delegation so ganz leichthin, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, erklärte: „Wer weiß, ob Herriot überhaupt aus Paris wieder zurückkommt“, konnte ich wegen meines Schweigegebotes das Gespräch natürlich nicht vertiefen und nach dem Warum fragen. Aber ich fürchtete, daß die pessimistische Voraussage von Herriot sich nun doch bewahrheiten würde. Mit Stresemann sprach ich in den ganzen Tagen nicht über die politische Lage oder den Verlauf der Konferenz. Er hatte den Kopf mit anderen Dingen zu voll, und ich war ja auch schließlich nur der Dolmetscher, mit dem er keine tiefgründigen Gespräche führen würde.

      Um so erfreuter war ich, als an einem der nächsten Tage ein Kommuniqué über die kritische Sitzung des französischen Ministerrates in Paris herauskam, in dem es hieß, daß das Kabinett dem Ministerpräsidenten Herriot „einmütig seine volle Zustimmung“ erteilt habe, und daß dieser sich bereits auf dem Rückweg nach London befinde.

      Die Konferenz hatte inzwischen mehrere Unterausschüsse gebildet, in denen die einzelnen technischen Fragen über die Durchführung des Dawes-Planes beraten wurden. Interessant erschien mir insbesondere der Einfluß, der sich von außenher, von seiten der Bankiers, geltend machte; sie sollten die Gelder für die Deutschland zu gewährende Anleihe aufbringen, welche zur Ingangsetzung des Dawes-Planes notwendig war. Diese nüchternen, unsentimentalen Rechner stellten dafür eine Reihe von Bedingungen auf, die lediglich von wirtschaftlichen und finanziellen Überlegungen diktiert waren und sich in vielen Punkten mit den deutschen Forderungen deckten.

      Auch die Bankiers hielten eine völlige Wiederherstellung der Souveränität des Reiches über das Ruhrgebiet für unumgänglich. Sie glaubten, das Risiko einer Anleihe nur dann übernehmen zu können, wenn die Ruhrindustrie wieder völlig frei und ungehindert arbeite und die Wirtschafts- und Finanzlage des Reiches wieder so weit stabilisiert würde, daß auch nach rein wirtschaftlichen Erwägungen eine Hergabe von Kapital vertretbar sei.

      Aber gerade diese Außerachtlassung der Imponderabilien schaffte wieder neue Schwierigkeiten. MacDonald erklärte einmal auf einer Sitzung, er werde als Führer einer Arbeiterregierung bei seiner Partei schwer in Mißkredit geraten, wenn sich herausstelle, daß er sich seine Handlungen von Kapitalisten habe vorschreiben lassen, und die Franzosen waren damals über die entgegengesetzte Auffassung dieser nüchternen Finanziers und Wirtschaftler hell empört, ähnlich wie im Jahre 1948 über die Entscheidungen der anglo-amerikanischen Wirtschaftssachverständigen in der Frage des Industrieniveaus und der großzügigeren Behandlung der gleichen Ruhrindustrie, um die es schon 1924 in London ging.

      Kurze Zeit nach der Rückkehr Herriots aus Paris kam es zu einer zweiten Unterredung zwischen ihm und Stresemann. Diesmal fand sie im Rahmen der Konferenz ohne große Geheimnistuerei in einem Zimmer des englischen Auswärtigen Amtes statt. Herriot verbreitete sich dabei erneut über die innerpolitischen Schwierigkeiten, die er in Frankreich bei seiner letzten Anwesenheit gehabt habe. Aber er hatte sein Versprechen gehalten. Der Ministerrat hatte ihn ermächtigt, über die Ruhrräumung zu sprechen und sogar feste Abmachungen darüber zu treffen! Es sei nicht leicht gewesen, die französische Regierung und die Vertreter der Parteien zu diesem Zugeständnis zu bewegen. Er habe es mit der Verpflichtung erkaufen müssen, darauf zu bestehen, daß die Räumung erst … in einem Jahr durchgeführt würde.

      Das war für Stresemann natürlich ein schwerer Schlag. „Ich muß Ihnen, Herr Herriot, zwar für Ihre Bemühungen in Paris danken. Sie haben das, was Sie mir vor einigen Tagen zusagten, gehalten, aber leider sehe ich keine Möglichkeit, mit Ihnen auf dieser Grundlage weiterzuverhandeln.“ Er erkenne die Schwierigkeiten der französischen Parlamentslage durchaus an. Aber wenn er sich vorstelle, daß er mit dieser Räumungsfrist vor den deutschen Reichstag treten solle, so sei er sicher, daß das ganze Londoner Abkommen abgelehnt werden würde. Die Folgen für Deutschland würden katastrophal sein, aber die Rückwirkungen würde auch Frankreich, ja ganz Europa zu spüren bekommen, Stresemann wurde bei diesen Ausführungen genau so temperamentvoll wie Herriot, wenn er von den Schwierigkeiten im eigenen Lande sprach. Seine Worte überstürzten sich, seine helle Stimme klang laut durch den Raum.

      Herriot erwiderte ebenso heftig, daß er gar nicht daran denken könne, kürzere Räumungsfristen zuzugestehen. Er habe ohnehin schon mit Nollet und Foch in Paris die heftigsten Zusammenstöße gehabt; man habe ihm vorgeworfen, seine eigenen Ministerkollegen hintergangen zu haben. Er sei überhaupt nur nach Paris gefahren, weil er eingesehen habe, daß in der Räumungsfrage etwas geschehen müsse. Auch MacDonald habe ihn übrigens genau so wegen der Ruhr bedrängt, aber es sei jetzt, nachdem er mit so vieler Mühe in Paris ein einigermaßen befriedigendes Ergebnis erzielt habe, für ihn eine große Enttäuschung, wenn Stresemann nun erkläre, er könne sich damit nicht zufriedengeben.

      Trotzdem versuchte Stresemann noch mehrmals, bei Herriot eine Verkürzung der Räumungsfrist durchzudrücken. Es dürfe sich nicht um Monate, sondern nur um Wochen handeln. Eine andere Lösung könne er gegenüber dem deutschen Parlament nicht vertreten.

      Mit einem fast gequälten Gesichtsausdruck wiederholte Herriot seine Einwendungen, und man schien völlig festgefahren zu sein. In dieser Situation kam Stresemann auf einen Ausweg. Er sagte, in Deutschland würde nicht nur der Abschluß der Räumung, sondern auch deren Beginn von großer Bedeutung sein. Er frage daher Herriot, ob die Räumung wenigstens unverzüglich beginnen könne.

      Diesen Gedanken griff Herriot sofort mit einer gewissen Erleichterung auf. Er meinte in erheblich ruhigerem Ton, daß sich darüber natürlich reden lasse und erwähnte dabei etwas von einem Räumungsplan, zu dessen Ausarbeitung er bereits Auftrag gegeben habe. Er würde ihn Strese mann in den nächsten Tagen vorlegen.

      So hatte denn die beiderseitige Erregung doch ein gewisses Ergebnis gezeitigt. Stresemann konnte jedenfalls für sich buchen, daß er zwei Schritte vorwärtsgekommen war. Er hatte erreicht, daß die französische Weigerung, überhaupt Abmachungen über die Räumung zu treffen, nicht mehr aufrechterhalten wurde und hatte darüber hinaus eine gewisse Aussicht auf einen baldigen Räumungsbeginn gewonnen. Denn es war klar, daß Herriot in diesem Punkt mit sich reden lassen würde.

      Als dann die Anleihefrage erörtert wurde und Stresemann von den Schwierigkeiten sprach, die von den Bankiers gemacht würden, brauste Herriot sofort wieder auf. Besonders ärgerlich schien er auf die Amerikaner, zu sein. Ein amerikanischer Bankier, erfuhren wir bei dieser Gelegenheit, habe ihm eine Liste von 25 Bedingungen überreicht, darunter eine ganze Reihe von politischen Forderungen, von denen die Bankiers die Gewährung der Anleihe abhängig machten. Wenn von den Banken der Versuch gemacht werde, sich in die Politik einzumischen, so verzichte er lieber auf den ganzen Dawes-Plan, rief er erregt Stresemann zu.

      Über die Räumungsfrage wurde dann noch tagelang verhandelt. Langsam wurden Fortschritte gemacht. Der Kreis der Teilnehmer erweiterte sich. Marx und Luther begleiteten Stresemann. Der Reichsfinanzminister Luther beteiligte sich äußerst aktiv an den Verhandlungen, und zwar nicht nur auf seinem eigentlichen Sachgebiet, sondern auch in den politischen Fragen. Herriot brachte zu den vorerwähnten erweiterten Verhandlungen den belgischen Ministerpräsidenten Theunis und dessen Außenminister, Hymans, mit. Man trat zu sogenannten „Dreiecksbesprechungen“ zusammen. Die Engländer beteiligten sich nicht unmittelbar, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, daß auf der Konferenz selbst nur vom Dawes-Plan gesprochen würde.

      Aber indirekt versuchte Stresemann auch über MacDonald

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