Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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ersten Male als Dolmetscher für Stresemann auftrat, hatte Herriot noch persönlich darum gebeten, daß man keinen Versuch machen möge, eine Besprechung mit dem deutschen Reichskanzler oder dem Reichsaußenminister herbeizuführen. Aber bereits an einem der nächsten Tage hatte er durch einen Vertrauensmann seinen Wunsch übermitteln lassen, mit der deutschen Delegation in Fühlung zu kommen. Daraufhin waren zunächst formelle Höflichkeitsbesuche ausgetauscht worden, die nur von sehr kurzer Dauer waren und bei denen von allem anderen als von Politik gesprochen wurde. Ich hatte allerdings schon bei diesen kurzen Gelegenheiten den Eindruck, daß sich Herriot bemühte, Marx und Stresemann so freundlich wie möglich entgegenzukommen. Er hatte sogar versucht, mit ihnen etwas deutsch zu sprechen, und erschien beide Male aufgeräumt und zugänglich.

      Einige Tage später kam durch Vermittlung MacDonalds ein wirkliches politisches Gespräch, zwar nicht mit Marx, der ja als Reichskanzler der eigentliche Gesprächspartner des französischen Ministerpräsidenten gewesen wäre, sondern mit dem Reichsaußenminister Stresemann zustande. Aber da die außenpolitischen Probleme dem Reichskanzler fern lagen, war die Kombination Stresemann-Herriot natürlich die bei weitem günstigere.

      Bezeichnend für die Stimmung in Frankreich war es, daß diese Besprechung mit großer Sorgfalt vor der Öffentlichkeit geheimgehalten werden mußte. Es wurde uns gesagt, daß Herriot der öffentlichen Meinung seines Landes gegenüber eine persönliche Aussprache mit dem deutschen Außenminister nicht vertreten könne und daß ihm die Rechtsopposition in der Kammer und sogar innerhalb seines Kabinetts die größten Schwierigkeiten machen würde, wenn über das Zusammentreffen mit Stresemann auch nur das geringste verlaute. In Frankreich sei man natürlich argwöhnisch und werde aus dieser Begegnung den naheliegenden Schluß ziehen, daß in London eben doch nicht nur über die Reparationen verhandelt worden sei, sondern darüber hinaus die als tabu bezeichneten politischen Fragen, vor allen Dingen das Ruhrproblem, behandelt worden seien, entgegen den Zusicherungen, die Herriot vorher in Frankreich hatte abgeben müssen.

      So wurde denn diese Unterredung mit einem Geheimnis umgeben, das eines Detektivromanes würdig gewesen wäre. Die Hallen der Delegationshotels waren natürlich Tag und Nacht von der Presse der ganzen Welt belagert. Nicht einen Schritt konnten die Staatsmänner tun, ohne daß es mindestens einem Journalisten sofort auffiel. Wenn einer der Außenminister mit einem der großen Autos, die die englische Regierung ihnen zur Verfügung gestellt hatte, irgendwohin fuhr, folgte ihm meist ein ganzes Rudel von Journalistenwagen; mit einem Geschick, das man sonst nur auf Sechstagerennen im Berliner Sportpalast anzutreffen pflegte, hängten sie sich an das „Hinterrad“ des betreffenden Ministerwagens und verloren es auch im dichten Gewühl der Londoner Straßen nicht mehr.

      Um dieser „Verfolgung“ zu entgehen, verließen Stresemann und ich das Hotel zu Fuß durch einen Nebenausgang. Ich glaube, es war sogar die Lieferantentreppe. Wir schlenderten dann gemächlich Piccadilly entlang und blieben an einigen Schaufenstern stehen, um den Eindruck zu erwecken, daß wir nur einen Bummel durch die Straßen machen wollten, sollte uns doch einer der Journalisten aufgespürt haben und uns gefolgt sein. Es war alles genau so, wie es in den Detektivgeschichten beschrieben wird. Es spielten sogar richtige Detektive dabei mit. Das waren die beiden englischen „Inspectors“ von Scotland Yard, die für Stresemanns Sicherheit zu sorgen hatten; sie waren die einzigen, die über unser eigentliches Ziel Bescheid wußten. Sie folgten uns so „unauffällig“, wie das in ihren Dienstvorschriften vorgesehen ist, und wie sie es, besonders in England, durch lange Übung meisterhaft verstehen. Durch nichts unterschieden sich die beiden freundlichen englischen Gentlemen, die im eifrigen Gespräch miteinander scheinbar ihre Umgebung völlig vergessen hatten, von den übrigen Straßenpassanten, ganz im Gegensatz zu ihren kontinentalen Kollegen in Deutschland oder in Frankreich, denen man, damals jedenfalls, am Schlapphut und Regenmantel oder dem ungerollten Regenschirm, wenn nicht gar an einem wachtmeisterlichen Schnurrbart, den Beruf oft sofort ansah.

      Im dichtesten Gewühl des Piccadilly Circus erwartete uns ein englischer Wagen, den wir mit einiger Hast bestiegen, und in dem sich nach einigen hundert Metern unsere beiden „Inspectors“ zu uns gesellten. Wir fuhren einmal die große Straße bis zum Buckingham Palace entlang und bogen dann in die Mall ein, wo wir vor dem großen Gebäude des Royal Automobile Club hielten.

      Unsere beiden englischen Kriminalpolizisten gingen uns in das Gebäude voran, wechselten ein paar schnelle Worte mit dem uniformierten Portier und geleiteten uns dann zum Fahrstuhl, der sich sofort in Bewegung setzte, ohne auf noch andere gerade vom Eingang herkommende Fahrgäste zu warten. In einem Film hätte diese Szene auch nicht naturgetreuer dargestellt werden können.

      In einem der oberen Stockwerke gelangten wir dann nach einigem Hin und Her in ein Zimmer, an dessen Tür das Schild „Private“ hing. Wir gingen hinein, während unsere beiden englischen Begleiter plötzlich verschwunden waren.

      Auf unseren Gesprächspartner Herriot brauchten wir nicht lange zu warten. Er erschien schon ein paar Augenblicke nach unserem Eintreffen. Sicherlich war er auf ebenso geheimnisvolle Weise an den Ort unserer Zusammenkunft gelangt wie wir. Er hatte niemand mitgebracht, denn es sollte ja ein Gespräch von Mann zu Mann werden, abseits und außerhalb der diplomatischen Gepflogenheiten. Körperlich machte Herriot wieder den gleichen etwas unbeholfenen Eindruck auf mich wie das erstemal. Er war so ganz anders als das Bild, das ich mir von einem Franzosen gemacht hatte. Er hätte ebensogut ein pommerscher Landwirt sein können mit seinen breiten Schultern, seinem massigen Kopf und seinem riesigen Umfang. In diesem gewaltigen Körper aber steckte ein echt französischer Geist mit all seiner feingeschliffenen Formulierungskunst und seiner scharfen, verstandesmäßigen Durchdringung der Probleme. Herriot hatte ein gutmütiges, offenes Gesicht und richtete seine großen Augen fest und forschend auf Stresemann und mich. Wie bei der ersten Begegnung auf der Konferenz hatte ich auch diesmal den Eindruck, daß von Zeit zu Zeit ein gewisses Mißtrauen in seinen Blicken aufleuchtete. Das geschah zwar immer nur für ganz kurze Zeit, aber es war doch nicht zu verkennen.

      Mit einem halben Lächeln reichte Herriot Stresemann und mir die Hand und nickte dabei freundlich mit dem Kopf. Dann ließ er seinen schweren Körper in den dritten Sessel an dem kleinen runden Tisch sinken, streckte behaglich die Beine von sich, holte eine große Pfeife hervor und stopfte sie langsam und bedächtig aus einem noch größeren Tabaksbeutel. Was ich allgemein über Pfeifenraucher bemerkt habe, fiel mir auch hier wieder ein. „Er raucht die Friedenspfeife“, schoß es mir durch den Sinn.

      Ehe das Gespräch begann und meine Aufmerksamkeit durch die technische Seite meiner Aufgabe in Anspruch genommen wurde, hatte ich noch ein paar Augenblicke lang so deutlich wie selten das Gefühl, der Eröffnung eines neuen Kapitels, ja eines ganz neuen Buches in der Geschichte der beiden Nachbarvölker, der Deutschen und der Franzosen, beizuwohnen. Fast körperlich wurde mir bewußt, daß in diesem Augenblick von den beiden mir gegenübersitzenden Männern eine unsichtbare, aber trotzdem äußerst reale, scharf trennende Grenze überschritten wurde.

      Aus diesen Überlegungen wurde ich durch Stresemanns Stimme herausgerissen, der gleich zu Beginn der Unterhaltung ohne Umschweife auf die Kernpunkte des damaligen deutsch-französischen Verhältnisses zu sprechen kam.

      „Gerade Sie als alterfahrener Parlamentarier, Herr Herriot, werden verstehen“, erklärte Stresemann mit einer leicht näselnden, metallisch preußischen Stimme, „daß ich unmöglich vor den Reichstag hintreten kann, um ihm die Annahme des Dawes-Abkommens zu empfehlen, ohne daß über den Hauptpunkt, der die Gemüter in Deutschland seit Anfang des vergangenen Jahres bewegt, die Ruhrfrage und ihre Liquidation, etwas von mir gesagt wird.“

      Während ich Herriot diese Worte übersetzte und er mir sehr aufmerksam zuhörte, denn er verstand nur sehr wenig Deutsch, verfolgte ich voll innerer Spannung sein Mienenspiel. Ich war durchaus darauf gefaßt, daß er bei der Erwähnung des ominösen Wertes Ruhr wieder so erregt aufbrausen würde wie in der ersten großen Sitzung der Konferenz. Mit einer gewissen Überraschung stellte ich jedoch fest, daß er völlig ruhig blieb und daß sein Interesse auch bei den nachfolgenden Ausführungen Stresemanns nicht geringer

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