Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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1932 die Reparationen vollständig eingestellt werden mußten.

      Eine Zeitlang wurden zwar diese Transferschwierigkeiten durch Auslandsanleihen verschleiert, die aus Amerika und zum Teil auch aus England nach Deutschland hereinströmten. Im Grunde genommen wurde dadurch weiter nichts erreicht, als daß ein Teil dieser Anleihen in Gestalt von Reparationen in die Taschen französischer, belgischer und englischer Reparationsgläubiger zurückfloß. Als der Anleihestrom versiegte, hauptsächlich wegen der nach 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, geriet dieser Mechanismus bald ins Stocken.

      Wenn sich auch der Dawes-Plan, wie seine Nachfolger, 1924 mit einer an sich wohl unlösbaren Aufgabe befaßte und, rein wirtschaftlich gesehen, als unbefriedigend erwies, so waren seine politischen Folgen dafür um so nachhaltiger. Sie traten auf der im August des Jahres 1924 in London abgehaltenen Konferenz klar zutage. Denn der Dawes-Plan, der dort von den beteiligten Regierungen offiziell angenommen wurde, bildete den Hintergrund für politische Lösungen im Verhältnis Deutschland-Frankreich und gab damit der für die europäische Befriedung so wichtigen Verständigung dieser beiden Länder einen neuen Anstoß.

      Mehrere glückliche Umstände trugen ihr Teil dazu bei. Die Mißerfolge der starren Politik Poincarés wurden schließlich auch in Frankreich so stark empfunden, daß ein anderer Mann, Edouard Herriot, ans Ruder kam, der den Problemen erheblich aufgeschlossener gegenüberstand. Auch in England kam durch MacDonald ein frischerer Wind in die traditionelle englische Politik des engen Zusammengehens mit Frankreich.

      Wie sich Herriot, Stresemann und MacDonald in London zu einem ersten gemeinsamen europäischen Werk zusammenfanden, wie diese erste Annäherung nach dem Kriege von 1914 zustandekam, wie auf der Londoner Konferenz der erste Bruch mit der Methode bisheriger Konferenzen der Nachkriegszeit erfolgte und zum ersten Male die deutschen Vertreter, zum mindesten formell, wieder als Gleichberechtigte mit den Vertretern der anderen Länder am Verhandlungstische saßen, das sollte ich als direkter Augenzeuge und Dolmetscher Stresemanns in der Hauptstadt des englischen Weltreiches im August 1924 persönlich miterleben.

       3

      SILBERSTREIFEN IN LONDON (1924)

      Das Wort vom „Silberstreifen an dem sonst düsteren Horizont“, mit dem Stresemann im Frühjahr 1924 sehr vorsichtig seiner leisen Hoffnung Ausdruck gab, daß sich aus den Verhandlungen der Reparationssachverständigen eine günstige Wendung in der politischen Entwicklung ergeben werde, ist ihm von seinen Gegnern in Deutschland in der Folgezeit jedesmal höhnisch entgegengehalten worden, wenn ein Rückschlag in der Außenpolitik eintrat. Es wurde ihm eigentlich zu Unrecht zugeschrieben, denn es stammte von einem sehr nüchternen Beobachter der damaligen Entwicklung, dem Staatssekretär Bergmann, der die Reparationsverhandlungen im Auftrage der Reichsregierung führte. Es konnte daher wohl kaum einen Berufeneren geben, um ein derartiges Urteil auszusprechen.

      Wir übersetzten den Silberstreifen mit „silver lining“ und waren nicht nur aus sprachlichen Gründen froh, daß dieser Ausdruck auch in der englischen Presse allgemein Eingang fand. Denn auch in England hatte man das Gefühl, daß nun das Dunkel der Nacht allmählich zu weichen begann. An den französischen Ausdruck, der damals gebraucht wurde, entsinne ich mich heute nicht mehr; das mag daran liegen, daß in der französischen Presse bei der damaligen Lage natürlich davon nicht gesprochen wurde. Frankreich blieb zunächst weiter zurückhaltend.

      Auch die Londoner Konferenz kam keineswegs ohne mühevolle Vorarbeit zustande. Zwar wurde Poincaré durch den großzügigeren Herriot abgelöst, aber das Mißtrauen in Frankreich konnte auch dieser nicht von heute auf morgen überwinden. Das französische Parlament lag noch zum großen Teil auf der alten Linie Poincarés und wollte das „produktive“ Pfand nicht ohne weiteres aufgeben. Dazu kam, daß die alte Sorge um die Sicherheit als eine schwere Hypothek auf der neuen französischen Regierung lastete. Noch einmal, Gott sei Dank zum letzten Male, schien die Frage der Militärkontrolle ein Hindernis auf dem Wege von der reinen Machtpolitik zur Verständigungspolitik bilden zu sollen.

      Herriot hatte sich im Juni mit MacDonald auf dem amtlichen Landsitz der englischen Premierminister in Chequers bei London getroffen, um die Frage der Durchführung des Sachverständigengutachtens über die Reparationsregelung mit ihm zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit hatten beide in einem eindringlichen, fast beschwörenden Brief an den Reichskanzler Marx die deutsche Regierung aufgefordert, einer letzten Überprüfung der deutschen Abrüstung durch die alliierte Militärkontroll-kommission zuzustimmen. Das war in der damaligen Atmosphäre für die deutschen Politiker eine schwere Belastung; sie wurde aber trotz heftiger Widerstände im Reichstag übernommen, um der sich anbahnenden vernünftigeren Entwicklung nicht noch in letzter Minute Schwierigkeiten zu bereiten.

      So kam denn im August tatsächlich die Londoner Konferenz zustande. Ein schwerwiegender Schönheitsfehler, der in recht unangenehmer Weise an die früheren Verhandlungsmethoden der Alliierten mit Deutschland erinnerte, war dabei allerdings die Tatsache, daß sich die Alliierten zunächst untereinander besprachen und Deutschland erst danach zu den Verhandlungen einluden.

      Anfang August übersetzte der Sprachendienst die dem deutschen Botschafter in London von MacDonald übergebene Einladung, die insofern enttäuschte, als sie jede Erörterung der politischen Fragen auszuschließen schien. Sie beschränkte sich darauf, die deutsche Regierung zur Entsendung von Vertretern aufzufordern, „um mit der Konferenz die besten Methoden für die Inkraftsetzung des Dawes-Berichtes zu erörtern, den die alliierten Regierungen ihrerseits als Ganzes angenommen haben“. Aber es zeigte sich auch hier, wie ich dies in späteren Jahren immer wieder erlebt habe, daß die Verhältnisse stärker waren als die Absichten der Menschen. Denn tatsächlich kam es trotz dieser Beschränkung in London zu ausgiebigen politischen Erörterungen zwischen Frankreich und Deutschland, die das Wort vom Silberstreifen wohl rechtfertigten.

      Am 4. August um 9 Uhr früh reiste die deutsche Delegation unter Führung von Marx, Stresemann und Luther, dem damaligen Finanzminister, vom Bahnhof Friedrichstraße in einem Sonderzug nach London ab. Es war die erste offizielle Abreise von vielen, die ich von Berlin aus angetreten habe. Ich wurde zunächst unter den Dolmetschern lediglich als „junger Mann“ mitgenommen; Chefdolmetscher war natürlich der Veteran der Konferenzen, Dr. Michaelis. Der Zwischenfall im Haag, dem ich mein amtliches Dasein verdankte, hatte ihm nicht den geringsten Abbruch getan. Er war nach wie vor der große Sachverständige auf sprachlichem Gebiet. Als zweiter Dolmetscher fungierte Dr. Fritz Norden, ein Jurist mit umfassender Bildung, der vor dem Kriege als Rechtsanwalt in Brüssel tätig gewesen war und sich dort nicht nur eine hervorragende Kenntnis der französischen Rechtssprache, sondern auch ein umfassendes völkerrechtliches Wissen erworben hatte. Wieder legte ich mir die Frage vor, was ich, der Anfänger, in diesem Kreis erfahrener alter Beamter eigentlich zu suchen hatte. Ich kam mir in jeder Hinsicht als kleines „Schlußlicht“ dieser gewichtigen Delegation vor. Aber ich war diesmal doch nicht so bedrückt wie auf meiner ersten Reise nach dem Haag. Denn ich fühlte mich als Nummer 3 im Schlepptau der beiden großen Kollegen einigermaßen sicher. Die Hauptarbeit und die schwierigsten Proben würden ja wohl doch von den beiden anderen geleistet werden müssen.

      Außerdem wurde ich natürlich durch das Drum und Dran einer solchen Delegationsreise zu sehr in Anspruch genommen, als daß ich mir Sorgen wegen der unmittelbaren Zukunft hätte machen können. Der Bahnhof war von starken Polizeikräften geschützt, denn die Lage in Deutschland war damals innenpolitisch noch so gespannt und die Meinungen über das Dawes-Gutachten und die Londoner Konferenz waren so geteilt, daß man angesichts der ausgesprochenen Feindschaft, die die Rechtskreise Stresemann gegenüber an den Tag legten, mit Demonstrationen und Zwischenfällen, ja mit Attentaten wie im Falle Rathenau und Erzberger rechnete.

      Der Sonderzug selbst hatte natürlich nichts gemein mit den prunkhaften „Millionärszügen“, in denen derartige Delegationen in der Zeit nach 1933 zu reisen pflegten. Er bestand aus gewöhnlichen Personenwagen und führte

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