Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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nicht mehr, wie frühere Reparationsgremien, kritiklos eine Reparationssumme festsetzen zu wollen, ohne sich um die Zahlungsfähigkeit Deutschlands zu kümmern. Im Gegenteil, ich hörte von ihnen immer wieder, daß sich alle ihre Erwägungen auf der Leistungsfähigkeit Deutschlands aufbauten. Das führte dazu, daß sie die Erhöhung der Reparationszahlungen durch eine Steigerung der deutschen Leistungsfähigkeit und nicht, wie früher, durch einen verstärkten Druck auf das Reich zu erzielen suchten.

      So hatte ich denn bereits nach den wenigen Sitzungen, an denen ich teilnahm, das Gefühl, daß die leidige Reparationsfrage nun zum ersten Male von der rein politisehen, unrealistischen Grundlage in eine unsentimentale, sachliche Atmosphäre gebracht worden war. Das erschien mir als ein außerordentlicher Fortschritt und stand in einem so scharfen Gegensatz zu allem, was ich vorher erfahren hatte, daß ich voller Hoffnung auf den Abschluß dieser Arbeiten wartete und glaubte, es müsse sich nun alles zum Besseren wenden.

      Diese Erwartungen erfüllten sich jedoch leider nicht. Im Februar verließen die Sachverständigen Berlin, um ihren Bericht in Paris fertigzustellen. Inzwischen aber wurden wir im Auswärtigen Amt daran erinnert, daß die Politik einen anderen Geist hatte als diese nüchternen Wirtschaftssachverständigen. Poincaré beherrschte nach wie vor das Feld. Das von ihm nicht eingestandene, aber auch in Frankreich immer stärker empfundene Fehlschlagen seiner Ruhrpolitik, das sich u. a. in einem erheblichen Sinken des Franc-Kurses ausdrückte, hatte ihn offensichtlich nachdenklicher gestimmt. Es bedeutete für einen Mann wie ihn zweifellos schon viel, daß er sich überhaupt mit der Ernennung der Sachverständigenausschüsse und einer objektiven Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit einverstanden erklärt hatte. Aber in den eigentlichen Fragen der deutsch-französischen Politik, insbesondere in der Ruhr-Angelegenheit, war er so unnachgiebig wie immer.

      Die konservative englische Regierung Baldwin war im Januar gestürzt worden. An ihre Stelle trat das Labour-Kabinett MacDonald, auf das man in Deutschland große Hoffnungen setzte, das aber zunächst nur wenig von sich hören ließ.

      Im April hatten wir dann plötzlich wieder sehr viel zu tun. Der Dawes-Bericht war fertig und wurde von uns ins Deutsche übersetzt. Es waren wieder Großkampftage, bei denen jede nur verfügbare Hilfskraft eingesetzt wurde, denn die beteiligten inneren Ressorts wollten natürlich so schnell wie möglich den genauen Wortlaut kennenlernen. Wir gaben ein dreisprachiges Exemplar heraus, in dem auf der einen Seite der englische und französische Text erschien, während der deutsche Text auf der gegenüberliegenden Seite abgedruckt wurde. Hier, wie bei vielen späteren Gelegenheiten, leistete besonders die Reichsdruckerei auch im Setzen fremdsprachiger Texte Erstaunliches.

      Nach meinen verhältnismäßig günstigen Eindrücken von den Berliner Verhandlungen fand ich den Bericht ziemlich enttäuschend. Ich hatte das deutliche Gefühl, daß er in Paris unter starken politischen Einwirkungen zustande gekommen war.

      Die Erinnerung an meine Erlebnisse in der Zeit von 1923 und 1924 steht mir gerade jetzt wieder in allen Einzelheiten so deutlich vor Augen, weil sich heute wie damals die Welt um die wirtschaftliche Liquidierung der unheilvollen Folgen eines großen Krieges bemüht und sich mir rückschauend gewisse Parallelen bei aller Verschiedenheit der Situationen auf Schritt und Tritt in oft geradezu frappierender Weise aufdrängen.

      Der Gewinn für Deutschland schien mir seinerzeit vor allem darin zu liegen, daß der Dawes-Pan davon ausging, die deutsche Wirtschaft in den Stand zu setzen, ein Höchstmaß an Leistungen hervorzubringen. Auf diese Weise sollte die Erfüllung der Reparationsverpflichtungen ermöglicht werden, ohne daß die Stabilität der deutschen Währung dabei in Gefahr geriete. In dem Bericht hieß es auch, daß die deutsche Steuerlast ebenso hoch sein müsse wie die der anderen europäischen Länder, die in der Reparationskommission vertreten waren. Das bedeutete, daß der einzelne Deutsche keine größere Steuerlast zu tragen haben würde als die übrigen Europäer. Das Wichtigste aber schien mir die Feststellung, die im Mittelpunkt der Darlegungen stand, daß das Programm nur verwirklicht werden könne, wenn die Einheit Deutschlands in wirtschaftlicher und fiskalischer Hinsicht wiederhergestellt würde. Dies aber schließe die Beseitigung aller seit dem Beginn des Ruhrkampfes auferlegten Beschränkungen in sich, nämlich die Wiedereinsetzung der deutschen Behörden in der finanziellen und wirtschaftlichen Verwaltung, die Rückgabe der in alliierter Regie geführten industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe, besonders auch der Bergwerke und der Schiffahrtsunternehmungen sowie die Aufhebung der Beschränkungen des Personen- und Güterverkehrs. Diese Vorschläge deckten sich mit der deutschen Forderung nach Räumung des Ruhrgebietes als Vorbedingung für die Wiederaufnahme der Zahlungen voll und ganz.

      Andererseits waren die vorgesehenen Zahlungen zweifellos sehr hoch. Wichtige Zweige der deutschen Wirtschaft, wie z. B. die Reichsbahn, wurden mit schweren Sonderlasten belegt, und eine Gesamtsumme für die deutsche Reparationsschuld war immer noch nicht festgesetzt worden. Es waren lediglich Jahresleistungen in Aussicht genommen, die Deutschland auf unbestimmte Zeit aufzubringen hatte.

      Die Industrie mußte 5 Milliarden Goldmark an Obligationen übernehmen, die als erste Hypothek eingetragen wurden. Die Reparationszahlungen bestanden in deren Verzinsung zu 5% und ihrer Tilgung zu 1%.

      Die deutsche Eisenbahn wurde in eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 15 Milliarden Goldmark umgewandelt. Als erste Hypothek wurden davon 11 Milliarden Goldmark Reparationsschuldverschreibungen eingetragen, die auch wieder mit 5% zu verzinsen und mit 1% zu tilgen waren.

      Die Einnahmen des Reiches aus der Beförderungssteuer, ebenso wie aus Zöllen auf Alkohol, Tabak, Bier und Zucker wurden als Sicherheit für die Reparationszahlungen an die internationale Reparationskommission verpfändet.

      Die Reichsbank wurde zu einer von der Reichsregierung unabhängigen deutschen Notenbank umgestaltet, um auf diese Weise die Stabilität der Währung durch Ausschaltung einer Einwirkungsmöglichkeit der Regierung zu sichern.

      Das Normaljahr für die Reparationsbelastungen sollte nach einer Atempause am 1. September 1928 beginnen und brachte dem deutschen Volk eine Belastung von 2 Milliarden 500 Millionen Mark. Deutschland brauchte diese Beträge lediglich in Reichsmark an den Reparationsagenten zu überweisen. Für die Umwechselung dieser Summe in fremde Währung war der sogenannte Transfer-Ausschuß aus Vertretern der Gläubigerländer verantwortlich, der jedoch die Auflage erhielt, die Umwechselung nur in einem Ausmaße vorzunehmen, das die deutsche Währung nicht gefährde.

      In dem Dawes-Plan war zum ersten Male nach 1919 das Reparationsproblem von der Wirtschafts- und Finanzseite her angepackt worden. Wegen der Aussichtslosigkeit, die auch damals hinsichtlich einer Einigung der Alliierten über eine endgültige Gesamtreparationssumme bestand, und wegen der Unmöglichkeit, angesichts der völlig unübersichtlichen Zukunftsentwicklung der Wirtschaftsverhältnisse in Deutschland und in der Welt eine wirtschaftlich realisierbare Gesamtsumme schon zum damaligen Zeitpunkt festzusetzen, hatte man im Sachverständigenbericht jeden Versuch zu einer Fixierung des Betrages unterlassen. Das war natürlich für Deutschland eine schwere Belastung angesichts der Ungewißheit, die dadurch über die Dauer des Reparationsregimes mit allen seinen Souveränitätsbeschränkungen bestehen blieb.

      Noch nie war vorher in der Geschichte eine Wertübertragung von einem Lande zum anderen in solchem Ausmaße erfolgt; die sachverständigen Nationalökonomen befanden sich daher auf völligem Neuland. So wurde denn diese Lösung, wie sich dies aus dem Bericht selbst und vor allem auch aus Äußerungen einzelner Ausschußmitglieder später ergab, als ein Provisorium betrachtet. Man erwartete allgemein, daß in einigen Jahren die ganze Frage erneut aufgegriffen werden müsse.

      Dabei war das Problem der Aufbringung dieser riesigen Jahresleistungen noch verhältnismäßig leichter zu übersehen als die Frage, auf welche Weise und in welchem Ausmaße diese Summen aus der deutschen Volkswirtschaft ohne Gegenleistung in die fremden Volkswirtschaften übertragen werden könnten. So ist letzten Endes die Lösung der Reparationsfrage auch bei dem zweiten Versuch, der im Jahre 1930 mit dem Young-Plan gemacht wurde,

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