Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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„Wimbledon“ war ein englischer Dampfer, der von einer französischen Gesellschaft gechartert worden war, um Kriegsgerät und Artilleriematerial von Saloniki nach dem polnischen Marinedepot in der Freien Stadt Danzig zu transportieren. Die deutschen Behörden hatten dem Schiff den Zugang zum Kieler Kanal mit der Begründung verwehrt, daß das Deutsche Reich in dem zu jener Zeit noch nicht beendeten polnisch-russischen Kriege neutral sei und daher die Verpflichtung habe, kein Kriegsmaterial für eine der beiden kriegführenden Parteien durch deutsches Hoheitsgebiet transportieren zu lassen.

      Der französische Botschafter in Berlin hatte einige Tage nach dem Zwischenfall, am 23. März 1923, von der deutschen Regierung die Aufhebung des Durchfahrtverbotes auf Grund des Artikels 380 des Versailler Vertrages gefordert. Dieser Artikel schien allerdings seinem Wortlaut nach der französischen Forderung recht zu geben, denn er besagte, daß der Kieler Kanal „den Kriegs- und Handelsschiffen aller mit Deutschland im Frieden lebenden Länder jederzeit samt seinen Zufahrtswegen zur Durchfahrt offenstehen solle.“

      Das Deutsche Reich hatte sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß die im Völkerrecht begründete Neutralitätsverpflichtung vor den vertraglichen Bestimmungen eines Einzelvertrages den Vorrang habe, besonders auch, weil der Versailler Vertrag von einem der beiden Kriegführenden, nämlich Sowjetrußland, nicht unterzeichnet worden sei und diesem Lande gegenüber daher nicht als Entschuldigung für die Nichtbeachtung einer völkerrechtlichen Verpflichtung angegeben werden könne.

      Dieser verhältnismäßig einfache, aber doch für die damaligen Verhältnisse sehr bezeichnende Tatbestand war nun von beiden Parteien mit einer Fülle von komplizierten, völkerrechtlichen Argumenten ausgestattet worden. Mir brummte förmlich der Kopf, nachdem ich mich mühsam durch die vielen Schriftsätze und Gegenäußerungen hindurchgearbeitet hatte. Aber ich wußte nun wenigstens einigermaßen, worum es ging.

      Am Montag früh fuhr ich im feierlichen Tagesgewand der Diplomaten, dem Cut und den gestreiften Beinkleidern, dem Anzug, der nach 1933 SO verpönt war und mir noch manche Schwierigkeit bringen sollte, ziemlich beklommen mit der Delegation zum Gericht.

      Der Ständige Internationale Gerichtshof, la Cour Permanente de Justice Internationale, wie er in den amtlichen Schriftsätzen eindrucksvoll genannt wurde, hatte seinen Sitz in dem etwas außerhalb der Stadt gelegenen Friedenspalast, der nach den Plänen eines französischen Architekten in fünfjähriger Arbeit 1913 fertiggestellt worden war. Der Bau erinnerte mich mit seinen roten Backsteinen etwas an die Steinbaukästen, die in meiner Jugend in Deutschland üblich waren. Zu ihm hatten viele Völker der Welt Beiträge geleistet. So sahen wir gleich bei der Einfahrt das aus Deutschland stammende, große kunstgeschmiedete Gartentor. Später erfuhr ich, daß Österreich die Bronzekandelaber geschenkt hatte, die große Uhr am Turm eine Gabe der Schweiz war, die Marmorverkleidung der Vorhalle aus Italien stammte und eine Marmorgruppe „Friede durch Recht“ von den Vereinigten Staaten gestiftet worden war. Den tiefsten Eindruck machte mir damals aber eine riesige Vase aus Jaspis, die Nikolaus II. von Rußland geschenkt hatte.

      In diesem großen, feierlichen Gebäude mit seinen weiten Hallen eilten die Gerichtsdiener lautlos in tadellos geschnittenen Uniformen dahin ; in drei Sprachen unterhielten sie sich mühelos mit den Besuchern, während sie miteinander holländisch sprachen. Breite Marmortreppen und Säulengänge verbanden die mir unendlich hoch erscheinenden Wartezimmer und Sitzungssäle. Der Fuß versank in schwellenden Teppichen, und der ganzen Atmosphäre haftete etwas geisterhaft Lautloses an. Daß ich mir um so bemitleidenswerter vorkam, je länger ich mich in diesem Friedenspalast aufhielt, ist angesichts der Neuartigkeit all dieser Eindrücke und des Bewußtseins meiner eigenen Unerfahrenheit kaum verwunderlich.

      Durch einen Zufall mußte ich vor Beginn der Sitzung in einem Nebenzimmer eine Zeitlang warten. Während ich darüber nachdachte, was mir nun wohl bevorstehen würde, tat sich plötzlich lautlos die hohe Tür auf, die zu einem Nebenraum führte, und herein trat wie eine Schicksalsgestalt der im Dämmerlicht dieses Raumes noch bleicher und unheimlicher wirkende Michaelis. Der hatte mir noch gefehlt, um mich völlig zu verwirren! Er öffnete gerade den Mund, als draußen eine Glocke ertönte. Es war das Zeichen zum Beginn der Sitzung. Ich erhob mich schnell, froh, daß die Ungewißheit des Wartens nun zu Ende war. Beim Hinausgehen trat Michaelis dicht an mich heran, blickte mich durchdringend an und sagte weiter nichts als: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.“

      Mit diesem Trost versehen betrat ich den Sitzungssaal. Es war einer jener übergroßen hellen, respekteinflößenden Gerichtssäle, wie ich sie sonst nur im Theater oder auf Gemälden gesehen hatte. Die hohe Richterbank war noch leer, aber die Parteien waren schon anwesend. Auf der linken Seite saßen wir Deutsche als die Beklagten, Schiffer, Martius und ich, wahrlich ein kleines Häufchen gegenüber der stattlichen Zahl der Kläger, unter denen sich der berühmte Rechtsberater der englischen Regierung, Sir Gecil Hurst, befand. Mit seinem scharf geschnittenen Gesicht und den intelligenten Augen fiel er mir sofort auf. Ich sollte ihn später noch bei vielen anderen Konferenzen treffen, auf denen er zusammen mit dem Völkerrechtler im Auswärtigen Amt, Friedrich Gaus, und dessen französischen Kollegen, Fromageot, ein international berühmtes Dreigestirn bildete. Gleich neben ihm saß der jedem Juristen durch seine zahlreichen Schriften bekannte Professor Basdevant von der juristischen Fakultät der Pariser Universität. Man sah ihm den Franzosen sofort an, wie er mit lebhaften Gesten auf den immer etwas gelangweilt dreinblickenden Sir Cecil Hurst einsprach. Der kleine Italiener Pilotti, ein hoher Richter aus Rom, war der nächste in der Reihe unserer Ankläger. Auch ihn habe ich später noch oft als Rechtsberater seiner Regierung angetroffen. Den Schluß bildete ein japanischer Diplomat namens Ito, der damals Geschäftsträger im Haag war. Etwas gedrückt im Hintergrunde saß dann noch der polnische Vertreter Olechowski, ebenfalls ein Diplomat aus dem polnischen Auswärtigen Amt, der vorübergehend der polnischen Gesandtschaft im Haag zugeteilt worden war. Im Gegensatz zu uns hatten die Alliierten einen zahlreichen Mitarbeiterstab um sich versammelt, so daß das Ganze eher an eine Konferenz als an eine Gerichtsverhandlung erinnerte.

      Aus dieser Zusammensetzung der Anklägergruppe wurde sofort deutlich, daß die Gegenseite für diesen ersten Waffengang mit dem Deutschen Reich nach dem Kriege vor den Schranken dieses höchsten Gerichtes ihre allerstärksten Geschütze aufgefahren hatte. Ich kannte natürlich niemand, es war ja mein erstes Auftreten auf der internationalen Bühne. Die ausländischen Akteure wurden mir von Martius im Flüsterton benannt, der wohl meine Aufregung bemerkt hatte und mich auf diese Weise etwas ablenken wollte. Die Namen dieser Koryphäen waren mir aus meiner Pressetätigkeit wohl vertraut und beeindruckten mich fast noch mehr als die feierliche Atmosphäre, die bei der halblauten Unterhaltung vor dem Erscheinen des hohen Gerichtshofes im Saale herrschte.

      Die Tribünen waren bis auf den letzten Platz besetzt, da dieser erste Streitfall zwischen den Alliierten und Deutschland vor dem Haager Gericht in der durch die Ruhrbesetzung gespannten internationalen Lage beim breiten Publikum als eine wahre Sensation empfunden wurde. Nach wenigen Minuten kündigte ein Gerichtsdiener mit einer imposanten silbernen Kette das Erscheinen des Gerichtes an: „La Cour“. Alles erhob sich, während die Richter langsam und gemessen einzeln durch eine kleine Seitentür den Saal betraten und sich auf ihre Plätze an dem erhöhten Richtertisch gegenüber den Bänken der Parteien begaben.

      Die einzelnen Gestalten, die ich in ihren langen Talaren wie auf einer Bühne dem Richtertisch zuschreiten sah, wirkten mit ihren markanten Gesichtern und den weißen Haaren, die viele von ihnen schmückten, wie Gemälde aus einer alten Galerie. Als erster kam der Schweizer Loder herein, der den Vorsitz führte. Seinen Namen flüsterte mir Martius noch schnell zu. Nur den deutschen Richter, den bekannten Völkerrechtler Professor Schücking, kannte ich schon von Bildern her.

      Dies also war das später so berühmte Gericht, das der Völkerbund im Jahre 1922 für derartige Streitfälle geschaffen hatte.

      Unmittelbar nach Eröffnung der Sitzung erteilte Präsident Loder dem deutschen Vertreter das Wort. Justizminister Schiffer trat an das vor dem Richtertisch aufgestellte

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