Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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ich in späteren Jahren bei mir trug, auch noch nicht der grüne Ministerialpaß, der in England wegen seines mißverstandenen Wörtchens „Ministerial“ manchmal zu den komischsten Empfangsfeierlichkeiten führte, es war ein einfacher Sonderausweis auf dickem Amtspapier, den ich durch die Türspalte hinausreichte, und sofort tönte es zurück: „Alles in Ordnung, danke sehr und gute Reise.“

      Beruhigt streckte ich mich wieder aus und setzte den unterbrochenen Schlaf bis tief in den Morgen hinein fort. Erst in Apeldoorn blickte ich zum Fenster hinaus. Ein blitzsauberer, gepflegter Bahnhof. Behäbige, alte Holländer und würdige Matronen schritten gemächlich auf einen gegenüber haltenden Zug mit einer Lokomotive zu, die aus einer alten Spielzeugschachtel zu stammen schien. Es war tatsächlich wie ein Traum.

      Aber allmählich kam auch das unvermeidliche Erwachen. Je mehr wir uns dem Haag näherten, um so beklommener wurde es mir ums Herz. Ich wurde mir nach der Freude über den ungewohnten Reisekomfort und das Wunder des fremden, friedlichen Landes allmählich immer stärker bewußt, auf was für ein gefahrvolles Abenteuer ich mich eigentlich eingelassen hatte. Ich war ja noch niemals im Ausland gewesen, ich hatte meine Sprachkenntnisse auf rein „synthetische“ Weise an der Berliner Universität erworben. Zwar wurde dort nach den neuesten Methoden unterrichtet, mit Mikrophon und Schallplattenaufnahmen, so daß man Satz für Satz die eigene Aufnahme mit der eines richtigen Engländers oder Franzosen vergleichen konnte. Ich war durch eine sehr strenge Schule gegangen, aber trotzdem … war es nicht fast eine Herausforderung an das Schicksal, daß ich ohne irgendwelche Erfahrungen nun vor dem höchsten Gericht der Welt, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag, in einem großen Prozeß als Dolmetscher auftreten wollte?

      So kam ich denn gegen Mittag etwas kleinlaut auf dem Haager Hauptbahnhof, der Station „Staatsspoorweg“, an, die mich ebenfalls an eine Spielzeugschachtel erinnerte. Ein Angestellter der Deutschen Gesandtschaft nahm mich in Empfang und fuhr mit mir in einem altväterlichen Taxi in das Hotel De Twee Steden im Buitenhof. Das war ein ehrwürdiges Gebäude, dem man von außen und von innen die jahrhundertealte Tradition anmerkte. Ich erfuhr später, daß es bereits seit dem Jahre 1665 Fremden Unterkunft gewährt hatte. Mit seinen schweren, eichenen Balken und Türen, seinen gemütlichen Salons und Gastzimmern, der alten, breit ausladenden, knarrenden Treppe und den wohnlichen, kleinen Zimmern erschien es mir damals als ein Urbild althergebrachter holländischer Gastfreundlichkeit. Der alte Portier, der grauhaarige Oberkellner und das matronenhafte Zimmermädchen paßten wunderbar in diesen gediegenen Rahmen. Das Ganze mutete mich wie ein Gemälde eines alten holländischen Meisters an. Hier atmete alles Ruhe, Gedämpftheit und Solidität. Welch ein Kontrast zu der nervösen, gespannten Aufgeregtheit des Nachkriegsdeutschlands, das ich soeben verlassen hatte, und das sich damals gerade auf dem Höhepunkt der Inflation und mitten im Ruhrkampf befand!

      Aus der Versponnenheit dieses Hotels wurde ich mit jäher Hand in die aufregende Gegenwart zurückgerissen. Als ich gerade meine Sachen auspackte, klopfte es plötzlich energisch an meiner Zimmertür, und auf mein „Herein“ erschien ein kleiner, blasser Herr mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und dunklen, vor Aufregung fast glühenden Augen. „Sind Sie Herr Schmidt, der neue Dolmetscher?“ fragte er mich nervös. Als ich bejahte, stellte er sich als Oberregierungsrat Georg Michaelis vor. Ich hatte ihn noch nie persönlich gesehen, aber schon sehr viel von ihm gehört. Er war eine international bekannte Persönlichkeit. Oft schon hatte ich sein Bild in den Zeitungen gefunden: er war der Chefdolmetscher der Reichsregierung, der Mann, der sich seine Sporen auf der Friedenskonferenz in Versailles verdient hatte, als der eigentliche Dolmetscher, ein zum Auswärtigen Amt gehörender Justizrat, unter den Deutschland auferlegten Friedensbedingungen zusammenbrach und vor Erregung nicht mehr weitersprechen konnte. Damals war Michaelis für ihn eingesprungen und hatte durch seine glänzenden Leistungen sogar Clemenceau und Lloyd George beeindruckt. Wilson hatte erklärt, der Mann müsse aus Chikago stammen, so gut war sein amerikanisches Englisch.

      Wenn es jemals ein Sprachgenie gegeben hat, dann war es Michaelis anerkanntermaßen. Er beherrschte elf Sprachen. Und zwar nicht nur „auf Krücken“ mit Hilfe von Wörterbüchern und Grammatiken, wie das bei vielen der sogenannten Sprachgenies der Fall ist, sondern er sprach fließend wie ein im Lande Geborener. Ich selbst konnte dies in bezug auf sein Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch bestätigen, und die Holländer erklärten mir, daß sein Holländisch von dem eines Amsterdamers nicht zu unterscheiden war.

      Aber Michaelis wußte auch, was er leistete. Er hatte die Allüren eines weltberühmten Stars. Das mag zwar berechtigt gewesen sein, aber es brachte ihm doch in dem nüchternen Behördenbetrieb immer wieder große Schwierigkeiten. Denn ein Dolmetscher ist nun einmal nicht die Hauptperson, wie Michaelis manchmal anzunehmen schien. Er steht zwar im Mittelpunkt des Geschehens und spricht für die Großen und Größten, aber er muß sich bewußt sein, daß er trotz allem äußerlichen Glanz nur ein kleines, wenn auch wesentliches Rädchen im großen Uhrwerk des internationalen Getriebes ist.

      Das vergaß Michaelis immer wieder, und so gab es ständig neue Schwierigkeiten mit den Delegationen, denen er angehörte. Auch jetzt wieder hatte er sich mit dem deutschen Vertreter in diesem Prozeß, dem ehemaligen Justizminister Schiffer, entzweit. Und diesem Zwist verdankte ich meine Reise nach Holland.

      „Können Sie stenographieren?“, „Haben Sie überhaupt schon jemals irgendwo gedolmetscht?“ so prasselten seine Fragen auf mich hernieder. Ich schüttelte nur jedesmal beklommener den Kopf, was ihn zu der wenig trostreichen Schlußfolgerung veranlaßte: „Dann werden Sie hier bestimmt Schiffbruch erleiden, was glauben Sie, welche Anforderungen vor diesem Gericht bei der komplizierten, juristischen Materie an den Dolmetscher gestellt werden!“ Und dann fügte er noch hinzu, gewissermaßen um mich völlig zu vernichten: „Aber ich reise auf jeden Fall ab, ich habe es nicht nötig, mich von einer Delegation so behandeln zu lassen, wie das hier geschehen ist. Die Herren können dann sehen, wie sie mit Ihnen fertig werden.“ Mit diesen in höchster Erregung hervorgestoßenen Worten verließ er das Zimmer ebenso plötzlich wieder, wie er gekommen war. Ich aber saß eine Weile sehr nachdenklich auf dem Bettrand. Trotz des warmen Sommerwetters – es war im Juli – hatte ich plötzlich kalte Füße.

      Aber Michaelis hatte mir auch gesagt, daß an diesem Sonnabendnachmittag keine Verhandlung mehr stattfinden würde und die nächste Sitzung erst für Montag früh anberaumt sei. So hatte ich denn noch eine Art Galgenfrist und atmete erleichtert auf – nun würde ich ja noch Zeit haben, mich mit der Materie bekannt zu machen.

      Die Kenntnis des Sachverhaltes ist für den Dolmetscher tatsächlich eine unerläßliche Vorbedingung. Im Laufe der Jahre bin ich auf Grund meiner Erfahrungen immer mehr zu der Überzeugung gelangt, daß ein guter diplomatischer Dolmetscher drei Eigenschaften besitzen muß: er muß in allererster Linie, so paradox es auch klingen mag, schweigen können, zweitens muß er selbst in gewissem Ausmaß Sachverständiger in den Fragen sein, um die es sich bei seinen Übersetzungen handelt, und erst an dritter Stelle kommt eigenartigerweise die Beherrschung der Sprache. Ohne Sachkenntnis genügen auch die besten Sprachkenntnisse nicht. Ein zweisprachiger Laie wird die Ausführungen eines Chemieprofessors niemals übersetzen können, aber ein Chemiestudent, der sich etwas eingehender mit fremden Sprachen befaßt hat, kann sich einem ausländischen Chemiker gegenüber ohne weiteres verständlich machen.

      Aus diesem Grunde meldete ich mich bei dem deutschenDelegationsführer, Exzellenz Schiffer, und bei dem Vertreter des Auswärtigen Amtes, dem späteren Gesandten Martius, und ließ mich von beiden Herren „einpauken“. Mit einem Stoß Akten unter dem Arm verließ ich sie und konnte so am Sonntag die Probleme, um die der Prozeß ging, in aller Ruhe studieren.

      Es handelte sich um den im Völkerrecht später zu einer ziemlichen Berühmtheit gelangten sogenannten Wimbledon-Fall, der in mehrfacher Hinsicht für die damalige Lage Deutschlands, wie sie sich aus dem Versailler Vertrag ergab, und für die Art und Weise charakteristisch war, wie dieser Vertrag in das geltende Völkerrecht eingriff. Deswegen lohnte es sich vielleicht, etwas näher auf den Tatbestand einzugehen, mit dem sich übrigens in der Folge jeder Examenskandidat

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