Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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von keinem Erfolg berichten. Kellogg fügte noch hinzu, er glaube nicht, daß Herriot formell unter die einjährige Räumungsfrist heruntergehen könne, nehme aber an, daß er nach einer Einigung über das Dawes-Abkommen die Räumung doch in Etappen durchführen werde. Es bestehe also Aussicht, daß sie noch in diesem Jahre beginne.

      In den nächsten Tagen überstürzten sich die Einzelbesprechungen zwischen den Delegationen Deutschlands, Frankreichs und Belgiens. Dabei wurde um die kleinsten Zugeständnisse in der nunmehr doch im Mittelpunkt der Londoner Konferenz stehenden Ruhrfrage gekämpft. So versuchte z. B. Stresemann, den Beginn der Räumungsfrist vom Tage der Unterzeichnung der Londoner Abmachungen auf den Zeitpunkt der Einigung zwischen den drei Delegationen vorzuverlegen, ein kleiner Unterschied, der aber doch zeigt, wie von deutscher Seite um jeden Fußbreit Gewinn gerungen wurde.

      Im Verlauf dieser Verhandlungen beschwor Stresemann mit der Erklärung, er müsse um eine Verschiebung der Konferenz bitten, da er ohne Zustimmung des Berliner Kabinetts und der deutschen Parteien keinesfalls die einjährige Räumungsfrist annehmen könne, eine Krise herauf. Besonders die Belgier schienen über die Entwicklung sehr besorgt zu sein und ließen durchblicken, daß Herriot doch in der Lage sei, mit einer Teilräumung früher zu beginnen. Selbst Nollet versuchte, eine Unterbrechung der Konferenz, die durch die in Aussicht genommene Rückkehr des Finanzministers Luther zur Berichterstattung nach Berlin hervorgerufen worden wäre, zu unterbinden.

      Diese „Dreiecksbesprechung“ fand im Garten der Amtswohnung Mac-Donalds hinter dem Hause Nr. 10 Downing Street statt, wo die Augusthitze Londons durch die leise Brise, die vom Green Park herüberwehte, gemildert wurde. Nach einiger Zeit kamen MacDonald und Kellogg hinzu und brachten auch ihrerseits ihre Bedenken gegen eine Vertagung zum Ausdruck. Als Stresemann aber beharrlich bei seinem Standpunkt blieb, daß angesichts der Unnachgiebigkeit der Franzosen eine Rücksprache in Berlin unumgänglich nötig sei, wolle man nicht den ganzen Vertrag in Gefahr bringen, stand Herriot auf, nahm Marx, Stresemann und mich beiseite und erklärte sich überraschenderweise bereit, doch eine Räumung in Etappen vorzunehmen. Er bat allerdings um absolute Diskretion, da er mit dieser Zusage über die ihm von Paris auferlegten Beschränkungen hinausgehe.

      Marx und Stresemann gaben erleichtert ihrer Zufriedenheit über diese Zusicherung Ausdruck, erklärten aber gleichzeitig, daß sie wegen des ihnen auferlegten Schweigegebotes im gegenwärtigen Augenblick nicht viel damit anfangen könnten, wo es sich darum handele, die Zustimmung des Berliner Kabinetts und der deutschen Parteien zur Unterzeichnung des Dawes-Abkommens zu erreichen.

      Herriot erwiderte nichts darauf, und die drei Staatsmänner kehrten mit mir wieder an den Gartentisch zurück, an dem die übrigen Teilnehmer der Besprechung mit gespannten Blicken auf uns gewartet hatten.

      Zu meiner großen Überraschung begann dann Herriot ganz offen von der Geste einer etappenweisen Räumung zu sprechen. Er holte sogar eine Karte hervor, auf der, soweit ich sehen konnte, die Räumung in Etappen schon eingezeichnet war. Nun wurden Marx und Stresemann von allen Seiten bestürmt, die Berliner Reise Luthers aufzugeben und die Zustimmung aus Berlin telegraphisch einzuholen. Sie erklärten sich jedoch lediglich bereit, diese Frage noch einmal zu prüfen. Hätte ich schon eine größere Konferenzerfahrung gehabt, so hätte ich gewußt, daß dies natürlich die Aufgabe des Reiseplanes bedeutete.

      Am Abend hörte ich dann aus einer Delegationssitzung, daß die Reise Luthers nun tatsächlich nicht stattfinden würde und daß ein langes Telegramm mit einer Darstellung der gesamten Konferenzlage und des Abkommens, so wie es sich aus den Beratungen bisher ergab, nach Berlin abgegangen sei.

      Am nächsten Tage schon antwortete das Auswärtige Amt, in einer unter Vorsitz des Reichspräsidenten Ebert abgehaltenen Kabinettssitzung sei der Delegation grundsätzlich die Genehmigung zur Annahme des Abkommens und der letzten Vorschläge Herriots erteilt worden. Damit war die Krise überwunden.

      Trotzdem machte Stresemann in einer weiteren Besprechung noch einen allerletzten Versuch, Herriot zur Verkürzung der ganzen Räumungsfrist zu bewegen. Er drang damit nicht durch, erhielt aber die allerdings recht wertvolle Zusage, daß der Dortmunder Bezirk und einige kleinere Gebietsteile sofort nach Unterzeichnung geräumt werden würden.

      Bei dieser Unterredung zeigte Herriot wieder eine starke Erregung. „Ich war stets gegen diese Ruhrbesetzung“, rief er mit erhobener Stimme Stresemann zu. „Als mein Vorgänger Poincaré einmarschierte, hat keiner der Alliierten zunächst Widerspruch erhoben. Jetzt aber, wo ich mich mit der Räumung einverstanden erklärt habe, werde ich von allen Seiten unter Druck gesetzt. Ich komme mir vor wie jemand, der eine steile Treppe hinabsteigt und ein kostbares Gut in den Händen trägt – das ist der Friede. Wenn mir jemand in den Rücken stößt, komme ich zu Fall. Auf mich kommt es nicht an, aber wenn ich stürze, geht auch jenes kostbare Gut in die Brüche: der Friede!“

      In den letzten Tagen der Konferenz wurden dann in stunden –, oft nächtelangen Sitzungen die technischen Fragen und die Vertragsformulierungen zum Abschluß gebracht. Meine Arbeit betraf dabei wieder hauptsächlich die französisch-sprachigen Verhandlungen, während Kiep weiter für die englischen Übersetzungen sorgte und Michaelis ausgeschaltet blieb. Eine Fülle von technischen Einzelheiten auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet wurde im Zusammenhang mit dem Dawès-Plan geregelt. Der Plan blieb, so wie wir ihn vor Monaten im Sprachendienst übersetzt hatten, die unveränderte Grundlage.

      Das Wesentliche an der Londoner Konferenz war „das, worüber eigentlich nicht gesprochen werden durfte“, die zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland getroffenen Sondervereinbarungen über die politischen Fragen, d. h. über die Liquidierung des Ruhrabenteuers. Sie wurden nicht in dem eigentlichen Vertrag niedergelegt, sondern fanden ihren Ausdruck in einem amtlichen Briefwechsel zwischen den beteiligten Delegationen. Als das Wichtigste aber erschien mir damals und erscheint mir heute noch das, worüber überhaupt keine schriftlichen Abmachungen getroffen wurden: die grundsätzliche Abkehr von der Methode des Diktates der Sieger über die Besiegten und die erstmalige Einführung eines neuen Verhandlungsverfahrens, indem sich sämtliche Beteiligten als Gleichberechtigte am Verhandlungstisch gegenübersaßen – wenn auch zunächst nur formell; aber auch das war schon ein großer Fortschritt und die unerläßliche Voraussetzung für die spätere Befriedung. – Nach der überreizten, kriegsähnlichen Atmosphäre, die der Ruhreinmarsch heraufbeschworen hatte, war damit trotz aller sachlichen Einschränkungen ein sehr bedeutender Schritt getan.

      Wesentlich ergänzt wurde dieses Verfahren durch die erstmalige Aufnahme des persönlichen Kontaktes in ungezwungener Aussprache zwischen den verantwortlichen Staatsmännern. Was ich dabei auf der französischen Seite erlebte, hatte sich gleichzeitig, zwar in weniger dramatischer Form, aber doch im selben Geist, auch auf der englischen Seite in den Gesprächen abgespielt, die MacDonald und Kellogg mit den Deutschen geführt hatten. Es war tatsächlich die Morgendämmerung einer besseren Zeit in den internationalen Beziehungen am Horizont sichtbar geworden. Der Silberstreifen war trotz aller späteren Rückschläge und Vorbehalte keine Illusion gewesen.

      Zu den Problemen, die damals in der Luft lagen, gehörte auch die Kriegsschuldfrage. Bekanntlich wurde Deutschland im Versailler Vertrage die alleinige Schuld am Ersten Weltkrieg aufgebürdet. Bald nach Versailles war in Deutschland und auch in der übrigen Welt Widerspruch gegen diese Schuld these erhoben worden, und zwar auf Grund von Dokumenten, die erst allmählich aus den geheimen Archiven der Kanzleien an die Öffentlichkeit gelangten. Die deutsche Regierung hatte ursprünglich die Annahme des Dawes-Planes dazu benutzen wollen, um gegen die Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkriege Stellung zu nehmen. Es bestand die Absicht, diese Erklärung in der Schlußsitzung der Londoner Konferenz abzugeben. Die Schlußrede des Reichskanzlers Marx, die wir vorher übersetzt hatten, enthielt auch einen entsprechenden Passus.

      Die deutsche Delegation, der wohl bekannt war, wie scharf die Reaktion der Alliierten auf eine amtliche deutsche Zurückweisung der Schuldthese sein würde, hielt es für erforderlich, zumindest MacDonald vorher zu informieren, um einen Zwischenfall

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