Uwe Johnson. Bernd Neumann
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Als absehbar wurde, daß er sein Werk vollenden würde, schrieb Uwe Johnson von Sheerness aus in Briefen an seinen Verleger sogar Prinzipielles über die Wünschbarkeit von Biographien.
»Dabei fiel mir auf, dass sie für die deutschsprachige Gegend fehlen, diese umfangreichen Biographien angelsächsischer Art, in denen das Nachweisbare stimmt und das Zweifelhafte dem Entschluss des Lesers überlassen wird. Du hast mir einmal ein Muster für diese Art des Lebensberichtes geschenkt: das Buch von Ellmann über Joyce.
Etwas von dieser Art wünschte ich mir im Grunde auch über Benn, Brecht, Hesse, Musil, Rilke, Schmidt. Es ist wahr, noch versteht sich im Deutschen kaum jemand auf solche positivistische Biographie. Aber vielleicht kann man sie bei uns vorbereiten, indem man zunächst solche Bücher in deutscher Sprache vorstellt wie das von Bair über Beckett, Turnbull über Fitzgerald, Blotner über Faulkner, Baker über Hemingway.«
Biographien also akzeptierte, ja wünschte Uwe Johnson bei Erfüllung ganz bestimmter Voraussetzungen nicht zuletzt formal-ästhetischer Art.
Im Vorfeld des letzten Paradigmenwechsels, »Postmoderne« genannt, hat sich biographisch und autobiographisch durchgesetzt, was in Ansätzen und bedingt durch den Zerfall einer großen, als trügerisch anerkannten Ideologie bereits seit dem verlorenen Krieg zu erkennen war: ein Erzählen, das »existentialistisch« zurückfiel auf das eigene Leben als die letzte, die einzige Gewißheit. Einen Höhepunkt hat diese Entwicklung im Lebens-Schreiben des bedeutendsten Schriftsteller-Freundes, den Uwe Johnson besessen hat: im Werk Max Frischs.
Wie die traditionelle, widerspiegelnde Selbstbiographie nach dem Muster von Goethes Dichtung und Wahrheit von der modernen, sich Leben überhaupt erst erschreibenden Selbstbiographie abgelöst wurde, so setzt sich diese Form des Romans durch: nicht als Spiegelung gelebten Lebens, sondern als dessen Korrektiv, als dessen Umschreibung in durchaus prometheischem Sinn, als – wie Jean Paul es genannt hat – »Konjektural-Biographie« faktisch gelebten Lebens.
Wer schreibt, verbirgt sich. Schreiben gerät darin zur verweigerten Biographie und die Biographie zum eigentlichen Thema des Schreibens: daß dies streckenweise auch für Uwe Johnson gilt, ist eine der überraschenden Entdeckungen, die macht, wer sich biographisch mit ihm befaßt. Auch in seinem Lehen blieb nach dem Zerfall der Ideologien und Utopien nur das eigene Lehen übrig. Generell: Der Diskurs zwischen Leben und Literatur, wie er im Text erkaltet und sich objektiviert, wird erneut in Gang gesetzt, nun aber mit dem Ausgangspunkt in der Literatur. Immer gilt: Das Spiel darf nicht enden. Auch die »authentische« Biographie schreibt in diesem Sinn keine letzte Wahrheit fest.
Die »Authentizität« der Biographie: ein besonderes Kapitel. – Als der Gradmesser für Authentizität kann nur die möglichst uneingeschränkte Kenntnis allen Materials, auch solchen, das aus Gründen der Diskretion gar nicht veröffentlicht wird, gelten. Daneben steht die Integrität des Verfassers, der sich konsequent zu weigern hat, sein Objekt in eine ideologische Schablone zu pressen, wie immer diese aussehen mag.
Johnson war ein Vertreter jenes melancholischen Erinnerungsverfahrens, das sozusagen unter dem »biographischen Syndrom« leidet: Alles Erlebte erscheint von Anfang an als das imaginierte, vorweggenommene Denk-Mal seiner selbst. Solches prägt bereits das Mecklenburg-Bild der Ingrid Babendererde, die, wie die Biographie nachweisen wird, ihrerseits unter dem Einfluß des Tonio Kröger entstand. Sieht man noch näher hin, entdeckt man, daß die Fragen für einen biographischen Bildnis-Entwurf durchgehend verhandelt werden in Johnsons Werk. Das Dritte Buch über Achim als die »Beschreibung einer Beschreibung« birgt in sich nichts anderes als eine Diskussion der Möglichkeiten von Biographie. Kybernetisches (und marxistisches) Regelkreisdenken wird gegen den Faktor Zufall gestellt. Ähnliches hat später Max Frisch in seinem Stück Biografie unternommen.
»Es machte Spaß, einer bewußten Vergangenheit die tatsächliche zu finden, die Erinnerung einer Person mitzunehmen ins Vergessene, auch sie überrascht zu finden vor sich selbst.« – So in der Reise wegwohin. Und in der Tat war auch Uwe Johnson selbst die Faszination des Biographen alles andere als fremd. Johnson selbst war Biograph, hat, sonst die Höflichkeit in Person, bei der Abfassung der Biographie Margret Boveris, in den Gesprächen mit ihr das inquisitorische Wissen-Wollen und Hinterfragen bis zu aggressiver Unhöflichkeit vorangetrieben. Das Max-Frisch-Lesebuch Stich-Worte geriet ihm zu einer biographischen Skizze dieses für ihn so wichtigen Autors und Freundes – weshalb dieser sich lange gewehrt hat gegen Johnsons Konzept. Auch wollte Uwe Johnson die Biographie des Verlagsgründers Peter Suhrkamp schreiben, da allerdings stand Siegfried Unseld vor. In der Reise nach Klagenfurt reagierte Uwe Johnson auf den Tod der ihm nahestehenden Ingeborg Bachmann mit einer Art Jugend-Biographie der Dichterin, gestützt auf Briefe und Recherchen in Klagenfurt selbst, die geradezu handstreichartig ins Werk gesetzt wurden.
»Für wenn ich tot bin« erzählt Gesine Cresspahl ihrer Tochter Marie ihre eigene und die Geschichte der Familie, ihre eigene und die Geschichte Deutschlands.
Der Tod ist der letzte Anlaß für alles Erzählen – und der erste. Biographie, denkt man über sie nach im Rahmen der lebensphilosophischen Poetik Max Frischs, »besiegelt« das Schicksal eines Menschen. Sie mag sein Leben und Werk haltbar machen, sie schneidet dennoch die Wahl anderer Existenz-Varianten ab. Sie macht, nolens volens, eindeutig; stiftet »Sinn«; versperrt Möglichkeiten und stellt das Leben selbst still. Die Biographie modifiziert notwendig ihren Gegenstand, indem sie das Leben erblickt, wie es nur vom Tode her überblickt werden kann. Der Tod ist unumgänglich der Standpunkt, von dem her der Biograph das Leben angeht – um es unsterblich zu machen. Das macht das Paradoxon des Genres aus.
Nach erfolgter staatlicher Vereinigung der Deutschen und dem nachfolgenden, jüngsten »deutsch-deutschen Literaturstreit«: Uwe Johnson als der exemplarische und recht eigentlich einzige Autor beider deutscher Staaten? Ein »Sozialist«, wie manche gerade in neuester Zeit zu erkennen meinen, oder nicht doch eher ein marxistisch gebildeter Verfechter liberaler Modernität, wie sie in den Jahrestagen als Resultat auch von Johnsons Liebe zum multikulturellen Leben in New York zum Ausdruck kommt? Uwe Johnson jedenfalls als einer der wenigen Vertreter der DDR-Literatur, der diesem Staat seine diktatorischen Strukturen nicht in der Hoffnung auf die Verwirklichung sozialistischer Utopien nachgesehen hat. Uwe Johnson als einer, der, in seinem Leben wie in seiner Literatur, die Verspätung des »tiefen« (nord)deutschen Gemüts diagnostizierte, der sie schreibend korrigierte, darin ein sich emanzipierender Adept Thomas Manns. Einer aus Güstrow, der Heimatliteratur als Weltliteratur schrieb und der zugleich als einziger deutscher Nachkriegsautor die »westlichen« und die »östlichen« Literaturkonzepte diskursiv verschränkte aus gelebter Sicht. – Der Autor, der wohl unter allen, die seit 1945 geschrieben haben, die gültigste »Archäologie« des deutschen Stalinismus geliefert hat, gehalten im Geist der Hannah Arendtschen Totalitarismustheorie. – Nicht von ungefähr hat in den Jahrestagen die »Gesellschaft zum Studium der DDR« die reale Adresse der jüdischen Philosophin zugeschrieben bekommen.
Uwe Johnson wäre also ein Exempel, an dem die nun wieder neu zu begründende »Nationalliteratur« der Deutschen eine Art Orientierungshilfe finden könnte; um so mehr, als deren wohl erster Auftrag in der Diagnose und der Überwindung einer post festum eingetretenen Spaltung zwischen »Wessis« und »Ossis« liegen muß. Der zu seinen Lebzeiten in beiden Teilen exemplarisch Fremde letztlich als der Sachwalter eines »gemeinsam Nationalen«: in diesem Sinne Uwe Johnson redivivus?
Johnson meinte 1968 in der Realität New Yorks die zukünftige seines Heimatlandes wahrzunehmen – die heutige Entwicklung mit ihrer zentralen Fragestellung nach