Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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heute wirklich verstanden werden.

      Und einzig die Biographie vermag zu rekonstruieren, wie dieser Autor sich der Realität angenähert hat, schrittweise und mit spannungsvoller Intensität. Gesine Cresspahl in New York: In der Ausgestaltung dieses literarischen Komplexes manifestiert sich – verflochten mit allen übrigen Topoi des Werkes – auch Uwe Johnsons poetologische Vorstellung von »Autobiographie«. Keinen anderen Ausgangsort konnte dieser literarischbiographische Anamneseprozeß haben als New York, »Heimat der Heimatlosen« und Zentrum der Modernität zugleich. Hier wird, wiederum nicht von ungefähr, unter dem Aspekt der »jüdischen Frage« die Figur Gesine Cresspahl zum »realen« Statthalter, ja: Auftraggeber ihres Autors. Hier nun, in der »jüdischen Stadt« New York, kann das Gespräch zwischen Gesine und dem »Genossen Schriftsteller« stattfinden, mit dem die beiden pragmatisch erkunden, was als existentielle Frage immer noch über allem steht: die Frage nach den Bedingungen eines Schreibens nach Auschwitz.

      Auf solche Weise wurde bei Uwe Johnson der immanente biographische Diskurs zu einem repräsentativ literarischen – und umgekehrt. Und alles dies: »Für wenn ich tot bin« – wie Gesine Cresspahl zu Marie, ihrer Tochter, sagt.

      Trondheim, im Juli 1994

      I.

       ÜBER DIE BALTISCHE SEE

       AN DIE NEBEL UND DIE MÜRITZ

      ERSTES KAPITEL

       SCHWEDISCHE VORVÄTER.

       AUS DEM SCHWEDISCHEN LJUDER

       NACH ANKLAM IN POMMERN.

       EIN VORSPIEL IM 19. JAHRHUNDERT

      _____________

      LEBENSDÄMMERUNG.

       WASSER ALS ANFANG UND ENDE

      »Die Biographie in ihrer gediegeneren Form, die sich auf das abgeschlossene Leben der Treuen und Tapferen beschränkt, darf wohl als der schönste Lohn für menschliche Tugend gelten, der ganz uneigennützig gegeben und empfangen wird: denn weder kann der Biograph auf den Dank seines Helden hoffen, noch vermag dieser selbst aus der ihm erwiesenen Auszeichnung Nutzen zu ziehen.« Diese Sätze stehen am Anfang des Israel Potter von Herman Melville. Uwe Johnson übersetzte sie im Jahr 1959 ins Deutsche. Der Text des Melvilleschen Seefahrerromans fährt fort: »Israel Potter verdient diese Ehrung durchaus.« Was dem Seefahrer Potter zustand, gebührt Uwe Johnson.

      Dessen Leben und Schreiben vollziehen sich in gewisser Weise unter der immerwährenden Dominanz von Flüssen und Meeren. In Mecklenburg aufgewachsen, stammte Uwe Johnson gleichwohl aus Pommern. Die Bezeichnung »Pommern« aber meint, der ursprünglichen wendischen Wortbedeutung nach: »die, die am Meer wohnen«. Das wiederum tat Uwe Johnson sein Leben lang – selbst in seinen Berliner Tagen.

      Anfang und Ende seines Lebens besitzen als unmittelbare Nähe ein sehr weites und sehr dunkles Wasser. Uwe Klaus Dietrich Johnson wurde am 20. Juli 1934 im Pommerschen Cammin an den Ufern der sich zum Bodden erweiternden Dievenow geboren. Er starb in der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1984 im englischen Sheerness-on-Sea an den Ufern der Themse, die sich dort bereits in die Weiten der Nordsee öffnet.

      Der außerordentliche Stellenwert des Wassers hilft zudem in diesem Fall, Biographie und literarisches Werk zusammen zu sehen. Johnson wird sich 1977, in einem Text mit der nicht von ihm gewählten, dennoch programmatischen Überschrift Ich über mich selbst definieren durch die Summe der Flüsse und Seen, die er bis dahin in seine Erfahrung gebracht hatte. Das Schwimmen als einen Akt der Selbstidentifikation hat der Autor Johnson mit der dominierenden Figur, mit der hauptsächlichen »Person« seiner Erzählwelt, Gesine Cresspahl, gemeinsam. In Jahrestage erinnert sie sich, schwimmend mit ihrer Tochter Marie, an all die Gewässer, die ihr Leben bestimmt haben.

      20. April, 1968 Sonnabend

       Das Wasser ist schwarz. Über dem See ist der Himmel niedrig zugezogen, morgendliche Kiefernfinsternis schließt ihn ein, aus dem Schlammgrund steigt Verdunkelung auf. [...] Die Stille macht den See düster. Die Fische, die Vögel zu Wasser und zu Lande mögen nicht wohnen in der ausgebaggerten Senke, in den kümmernden Bäumen, der chemisch behandelten Landschaft, hergerichtet für zahlende Menschen. [...] – Dein wievielter See ist dies, Gesine? sagt das Kind, sagt Marie, sagt der fremde Fisch, der aus langer Tauchfahrt hervorstößt. – How many lakes did you make in your life now ... In der Ostsee zum erstenmal schwamm das Kind das ich war, vor dem Fischland und in der Lübecker Bucht, an den Seegrenzen Mecklenburgs, ehemals Provinz des Deutschen Reiches, jetzt Küstenbereich des sozialistischen Staates deutscher Nation. Schwamm mit Kindern, die tot sind, mit Soldaten der geschlagenen Marine, die das große mächtige Ostseemeer die überschwemmte Wiese unter den Ozeanen nannten. Aber in den Geographiebüchern dieses Landes heißt sie Baltic Sea. (Jahrestage, S. 1017)

      Ob nun Ostsee oder Baltische See: Ihr Wasser stellt sich in Johnsons Werk stets als ein symbolisches Substrat der Kommunikation, aber auch als ein Medium der Liebe dar. Die ersten drei Bände der Jahrestage beginnen jeweils mit Wasser-Schilderungen. Den letzten Band – er setzt statt mit einer Wasser-Beschwörung mit einer Kriegs-Szene ein – schließt der Autor dann mit der anverwandelnden Perspektive auf die Ostsee ab. Das rund fünfzehn ereignisreiche Jahre dauernde Jahrestage-Unternehmen endet 1983 mit den inzwischen nachgerade berühmt gewordenen Sätzen:

      Beim Gehen an der See gerieten wir ins Wasser. Rasselnde Kiesel um die Knöchel. Wir hielten einander an den Händen: ein Kind; ein Mann unterwegs an den Ort wo die Toten sind; und sie, das Kind das ich war. (Jahrestage, S. 1891)

      Gesines Gang ins Ostsee-Wasser (auf Bornholm und gegenüber der schwedischen Küste) gerät zu erfüllter Erinnerung und Todes-Ahnung in einem. Der Autor sendet seine »Person« gleichsam zu den eigenen Ursprüngen zurück, in Richtung Großvaterland, nach Schweden.

      ANFÄNGE IN CAMMIN.

       SCHWEDISCHE ZUSTÄNDE UND SCHWEDISCHE URAHNEN

      Uwe Johnsons erste Bewußtseinseindrücke datieren aus dem Jahr 1934 und haben ihren Ort an den Rändern der Ostsee, wo diese sich um eine Reihe vorgelagerter Inseln im Oderhaff schlängelt: in Cammin an der Dievenow, heute Kamień Pomorski. Runde fünfzig Jahre später wird der Mecklenburger im Angesicht der Themsemündung sterben.

      Die Orte des Aufwachsens aus dem Gedächtnis verlieren, das hiesse ja die Dievenow vergessen, die für das Kind zu breite Schlange Wassers mit ihren niedrigen schwarzen Booten, den glucksenden Fischkästen, dem wildwüchsigen Bruch und den federnden Wiesen an ihren Ufern. Sie bleibt, wie die Peene, die bei Karnin weissen Sand auswäscht, fein wie für Sanduhren, wie die Nebel, die an der güstrower Bahnhofsbrükke den Blättersträhnen der Trauerweiden zu trinken gibt. Unverzichtbar und jeweils aufs Neue zu leben ist der Tag, der aufwachte an der bützower Schleuse, seinen Mittag hielt inmitten der Ebenen vor Schwaan und den Abend beging auf den wiegenden Querwellen des alten Hafens von Rostock. Alle Flüsse sind aufgehoben in ihrer Zeit, und alle nach ihnen, vom badischen Rhein bis zum Hudson der Walfänger, wozu sind sie denn da? zu erinnern an die Flüsse von ehemals. Die spätere Vertrautheit mit anderen Flüssen war also nur dazu da, an die Wasser der Vergangenheit zu erinnern.

      Der am 29. November 1979 die letztzitierten Sätze an Rolf Italiaander schrieb, fand zu einem stilistischen Glanz, der selbst bei diesem Autor nicht tagtäglich anzutreffen war. Er beschwor die Erinnerung an einen pommerschen Fluß als die Rückerinnerung an eigene Lebensanfänge. Schwarzes, vexatorisch sich spiegelndes Wasser der Morgenfrühe, über dem bereits der Geist jenes Erzählwerks schwebte, das Johnson

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