Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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zusammen im DKW die Großeltern besuchen fuhr, in Momenten außerordentlichen Glücks. Der Widerschein eines ganz frühen Glücks mag zur Intensität der Erinnerung beigetragen haben, die das Werk Johnsons zusammenhält und mannigfaltig in sich verwebt.

      Zunächst ist ein ausgedehnter »Besuch beim vernünftigen verantwortbaren praktischen Leben« (Mutmassungen, S. 242) angebracht. Die Fakten schauen folgendermaßen aus: In der New Yorker Phase, in der er sein Lebens-Buch Jahrestage konzipierte, in das auch seine und seiner Frau Elisabeth mecklenburgische Familienerinnerungen eingehen würden, kümmerte der Güstrower sich eingehend um die eigene Vorgeschichte. Seine Bemühungen führten dazu, daß er am 15. Juni 1967 einen handschriftlichen Brief von Hanne-Lore Johnson, einer noch in Mecklenburg lebenden Tante, auf seiner Maschine abtippte. Für derart wichtig erachtete er den. Dieser Brief. unter dem 19. Mai 1967 abgeschrieben, enthielt das Wesentliche, was Uwe Johnson zu seinen Lebzeiten über sein Geschlecht in Erfahrung gebracht hat. Was also am 20. Juli 1934 in Cammin am Wasser der Dievenow mit Uwe Johnsons Geburt begann, erscheint seinerseits durch Besonderheiten der Johnsonschen Geschlechtergeschichte vorbereitet. In dieser nahmen nämlich die Überquerung der Baltischen See und das anschließende Leben in einer seenreichen Fremde die Rolle eines entscheidenden Einschnitts an. Wer das Individuum in seinen Phantasieproduktionen verstehen will, muß sich der Geschichte von dessen Familie und deren Lebenswelt eingehend versichern. Das Geschlecht der Johnsons kam jedenfalls aus Schweden. Hieß da auch noch gar nicht Johnson, sondern Mård. Uwe Johnson selbst verstand sich bewußt als Nachfahr dieser schwedischen Ahnen. Sprach seinen Namen mit skandinavisch gelängtem »o« aus und korrigierte deshalb einmal den Göttinger Germanisten Albrecht Schöne, dieser hatte Johnsons Namen mit englisch kurzen Vokalen artikuliert. Mehrfach hat sich vor allem der junge Autor als der Abkömmling eines schwedischen Soldatengeschlechts gleichsam selbst identifiziert. Nur in einer einzigen brieflichen Bemerkung anläßlich des Todes seiner Mutter sah er sich in der Abfolge des mütterlichen Geschlechts, und da drehte es sich um sein bereits spärlich werdendes Haar, also um eine Mangelerscheinung. Vor allem seine schwedische Abkunft erschien dem Mecklenburger wichtig. Die psychische Gegenwart des Großvaters als des Repräsentanten der väterlichen Abkunftslinie überstrahlte alle anderen Ahnen in Uwe Johnsons Bewußtsein.

      Wie geriet ein auswandernder Schwede im vergangenen Jahrhundert ausgerechnet nach Mecklenburg? Hanne-Lore Johnsons Brief und das Archiv des mittelschwedischen Städtchens Vadstena geben näheren Aufschluß. Weiterhin: Wie haben wir uns Mecklenburg damals vorzustellen? Wie mußte es einem ins Bewußtsein treten, der es wandernd, ein-wandernd in seine Erfahrung brachte? Johnsons Versuch, einen Vater zu finden aus dem Jahr 1975 bietet erste Antworten. Seine Anfangspassagen vergegenwärtigen, was der »Urahn« August Nikolaus Mård im Mecklenburg seiner Zeit erblickt haben wird. Dem entspricht, daß Uwe Johnson für den Versuch, einen Vater zu finden auch auf die Lebenserinnerungen seines alten, verehrten Güstrower Englischlehrers Wilhelm Müller zurückgriff, die dieser auf des Schülers dringenden Wunsch in langen Briefen niedergeschrieben hatte und die zurückreichen in das Mecklenburg der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Uwe Johnson erblickt also im Versuch, einen Vater zu finden das Land Mecklenburg gleichsam mit den Augen seines Großvaters, wenn er die Situation beschreibt, in der Gesines Vater Heinrich Cresspahl aufwächst:

      Es war ein Land, daraus liefen die Arbeiter fort, an die Hunderttausend in fünfzig Jahren, ein Sechstel des Staatsvolkes, da hatte der Mecklenburgische Patriotische Verein schon 1856 vergeblich John Brinckmans »Fastelabendsprärig« als Flugblatt verteilen lassen. [...] Mecklenburger vom Gesinde durften nicht ohne Erlaubnis der Dienstherrschaft aus dem Haus, vom Hof. (Versuch, einen Vater zu finden, S. 9)

      Um das Jahr 1865 verließ Johnsons Urahn August Nikolaus Mård, von Zukunftslosigkeit und Arbeitslosigkeit vertrieben, das schwedische Småland. Er wollte das Geld für eine geplante Australien-Passage in Mecklenburg verdienen, wo, sein Enkel wird es beschreiben, die Arbeitskräfte fehlten. Vom nahegelegenen Hamburg aus gingen die Auswanderertransporte in die Neue Welt.

      Die schwedische Familie Mård stellte seit Generationen eine Soldatenfamilie dar, was Johnson seinerseits wußte, der am 5. August 1959 an Walter Boehlich geschrieben hat: »Und mein Grossvater war noch schwedischer Staatsbürger und Soldat.« Nach der Mitteilung des schwedischen »Arkivet för Ordbok över Sveriges Medeltida Personnamn« in Uppsala läßt sich keinerlei landschaftliche Etymologie mit dem Namen »Mård« (deutsch »Marder«) konnotieren. Der Name habe jedoch eine Verbindung mit dem gleichnamigen kleinen Raubtier, auf deutsch eben »Marder«, und sei wahrscheinlich als ein Soldatenname anzusehen. Der Name mag daraus entstanden sein, daß Schwedens Bürger und Bauern die einquartierten Soldaten als unerwünschte Kostgänger empfunden haben. Als eine Bedrohung des eigenen Lebensunterhalts insgesamt und ganz konkret für ihre Hühnerställe. In Hanne-Lore Johnsons Brief heißt es:

      August Nikolaus Mård ist unser Urahn hier in Deutschland. Er ist als Waise bei fremden Leuten aufgewachsen. Nun setzte in Mecklenburg die Auswanderung nach Amerika vor 100 Jahren ein. Es waren hier keine Arbeitskräfte und in Schweden eine grosse Arbeitslosigkeit.

      Diese Sätze beschreiben eine historische Realität, die für Schwedens Geschichte erhebliche Prägekraft besaß. In der Periode von 1815 bis 1900 wuchs Schwedens Bevölkerung von 2,1 auf 5,1 Millionen an – wiewohl 825000 Schweden zwischen 1840 und 1900 aus dem Land emigrierten, wesentlich in die USA. Die Mårds, die im 18. Jahrhundert ihr Auskommen noch als Soldaten genossen hatten, gerieten im Zuge zunehmender Modernisierung zu landlosen Landarbeitern. Wurden zu Angehörigen eines ländlichen Proletariats (schwedisch »statare«), dessen Entstehung seinerseits die schwedische Landwirtschaft seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts geprägt und zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte autark werden lassen.

      Seit Generationen waren die Mårds im småländischen Ljuder in Mittelschweden zu Hause, einem Zentrum der Auswanderung im 19. Jahrhundert. August Nikolaus’ Vater mit fast gleichem Namen: August Nils Mård, also Johnsons Urgroßvater, verehelichte sich am 24. März 1840 mit Christina Abrahamsdotter (geboren am 2. Mai 1811) im gleichen Kirchspiel Ljuder. Er war am 18. Dezember 1794 geboren und hatte in erster Ehe eine Maria Petersdotter zur Frau gehabt, mit der er vier Kinder hatte. Die zweite Eheschließung erfolgte, weil Christina schwanger war. Eine lange Verlobung war in dieser Zeit und bei der sozialen Zugehörigkeit des Soldaten Mård nicht ungewöhnlich. Man zögerte mit der Hochzeit, war diese doch teuer. Wir wissen nicht genau, wann das Kind, das Johnsons Großvater werden sollte, geboren wurde. Es wird aber wohl noch im Jahr 1840 gewesen sein. Auf den Knaben folgten die Schwester Eva, am 4. Juli 1841 geboren, später der Bruder Alfrid (am 16. März 1847) und als letzte die jüngste Schwester Caroline, die am 10. Juni 1850 zur Welt kam. Nur wenig später, am 18. September 1850, starb der Vater der Kinder, Johnsons Urgroßvater August Nils Mård, acht Jahre später, am 10. Februar 1858, die Mutter Christina. August Nils war noch Soldat gewesen, was für seinen ältesten Sohn aus zweiter Ehe nicht mehr bezeugt ist. Bereits vor dem Tod seiner Mutter kam dieser zu fremden Leuten, da die Mutter ihre Kinder nicht mehr allein versorgen konnte. Auch die Schwester Eva kam, neunjährig erst, als Dienstmädchen auf den Hof Sødregård bei Alvestad. Der Bruder Alfrid zog am 13. Oktober 1861 nach Vissefjærda. Caroline schließlich war 1862 urkundlich bei einem Sven Johannson, dem Besitzer einer Hufe in Bøkvara im Kirchspiel Algutsboda, in Diensten. Alle diese Höfe und Orte liegen im Radius von wenigen Kilometern um den Ort Ljuder und gehören zum Kirchsprengel gleichen Namens.

      Der Sprengel Ljuder maß ungefähr 20 Kilometer in der Länge und fünf Kilometer in der Breite, wurde von zwei Flüssen durchflossen und aufgelockert durch vier kleine Seen. Am 1. Januar 1846 zählte Ljuder 1925 Einwohner, verteilt auf 254 kleinere Höfe und eine Handvoll Herrengüter. Die Bevölkerungszahl hatte sich seit 1750 nahezu verdreifacht. Verfünffacht hatte sich im gleichen Zeitraum die Zahl der Landlosen. Schließlich waren die Kornpreise so gering, daß die Bauern das Korn häufig zu Branntwein veredelten, was zum ohnehin bestehenden Alkoholproblem das seine beitrug.

      Um das Jahr 1865 wanderte Johnsons Großvater August Nikolaus Mård aus. Er wird seinen Weg auf Schusters Rappen zurückgelegt haben, aus Kostengründen zuallererst. Über Vissefjærda,

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