Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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ihn auf eine Eliteschule der Nazis gegeben hatten. Johnsons Blick auf die eigene Biographie war daher auch notwendigerweise bestimmt vom Registrieren der Brüche. Das ist bereits an den Lebensläufen ablesbar, erst recht an der Literatur, die er verfassen wird.

      Es gibt Lebensläufe Uwe Johnsons, die beginnen überhaupt erst mit dem Jahr 1945. Zu diesem Zeitpunkt kam er aus Hitlers »Deutscher Heimschule« frei, die siegreiche Rote Armee stand vor den Schultoren. Uwe Johnson mußte seine Anstalt nicht mit der Panzerfaust in der Hand verteidigen, war dafür noch um ein weniges zu jung. Noch die Reflexionen der Begleitumstände, verfaßt 1979, fünf Jahre vor seinem Tod, setzen erst mit dem Jahr 1945 ein. Wiederum einen anderen Lebenslauf beginnt der bereits Erwachsene im März 1958 wie folgt:

      Mein Name ist Uwe (Klaus Dietrich) Johnson. Ich wurde geboren am 20. Juli 1934 in Kammin.

      Die Klammer, die die beiden zusätzlichen Vornamen einschließt, kann man sie verstehen als die ironische Distanzierung eines, der kein »Dietrich von Bern« zu sein wünschte, als die zeichenhafte Abgrenzung des Sohnes gegen eine elterliche Namensgebung, die er als Teil des Programms auch verstehen mußte, das ihn auf die »Heimschule« brachte? Anderes tritt eindeutiger in Erscheinung in zwei Lebensläufen, die im Leipziger Universitätsarchiv lagen. Im jüngeren der beiden parodiert der Sohn die Titelsucht seiner Mutter, der folgend er im ersten den Vater als »Oberkontrollassistent« und »Obertierzuchtwart« zu apostrophieren wohl angehalten war. – Mit brillantem Spott wird er später, im Abschlußband der Jahrestage, solch autobiographische Herkunftsbeschönigung noch einmal vorführen:

      Soziale Herkunft, Beruf des Vaters: Landwirt. Im Fragebogen von 1949: Diplomwirt. 1950: Direktor der städtischen Gärten, Parks und Friedhofsbepflanzung von (sei unbesorgt. Ich verschweige den Namen der Stadt. Überdies hast du ihn ja regelmäßig ausgesprochen, wie er nun auf polnisch lautet. Besten Falls Anita hat ihn verstanden) eines größeren Gemeinwesens im heutigen Volkspolen. Bürgerlich. (Jahrestage, S. 1722)

      Der »Obertierzuchtwart« Erich Johnson schwingt sich in der Literatur des Sohnes zum »Direktor der städtischen Gärten« auf.

      In seinen Lebensläufen hat Uwe Johnson also schon früh Distanz zwischen sich und seine Herkunft gelegt. Er hat andererseits Erich Wünderich, als dieser an seiner Johnson-Monographie arbeitete, den Namen der oben ausgesparten Stadt durchaus wissen lassen. Das geschah am 20. September 1972, mit einer für den in persönlichen Angelegenheiten recht Verschlossenen beispiellosen Offenheit:

      Geboren am 20. Juli 1934 in dem heutigen Kamien Pomorski (mit Akzentzeichen auf dem n), daher später als Pommer reklamiert. Tatsächlich war die Mutter eine Bauerntochter aus dem Dorf Darsewitz auf dem Westufer der Dievenow, sie ging zur Geburt des ersten Kindes aus Anklam zurück auf den Hof der Eltern, also in das Krankenhaus Kammin auf dem Ostufer, und ist da wohl zehn Tage geblieben. Der Vater jedoch war aus Kladow in Mecklenburg, Absolvent des landwirtschaftlichen Seminars Neukloster, Gutsverwalter und Inspektor auf meist mecklenburgischen Gütern, seit ungefähr 1930 Angestellter des Tierzuchtamtes Greifswald und Oberkontrollassistent der Molkerei Anklam; auch die Gegend, in der das zehnjährige Kind entscheidend auf eine Zukunft vorbereitet wurde, war mecklenburgisch: das Dorf Recknitz, die Stadt Güstrow.

      Im Krankenhaus von Cammin (oder auch: Kammin; Johnson gebraucht beide Schreibweisen), an der Dievenow also, dem heutigen Kamień Pomorski an der Dziwna, kam Uwe Johnson am 20. Juli 1934 zur Welt. Die Kreisstadt, im Verwaltungsbezirk Stettin gelegen, beheimatete in den dreißiger Jahren rund 6000 Einwohner. Als »verlorene Heimat« sah Uwe Johnson Cammin auch später nicht, wenn er den Ort anläßlich von Besuchen bei seinen Großeltern auf Wollin wiedergesehen hat. Cammin besaß bereits alle Ingredienzen, um zu einem »Wendisch Burg«, dem Spielort des Erstlings Ingrid Babendererde, zu werden. Sein Dom, errichtet im Jahr 1176, stammt noch aus der Hansezeit der Stadt und gehört der Backsteingotik an. Einer, der die Gegend ebenso gut kannte wie Uwe Johnson selbst: der Chef der Gruppe 47, Hans Werner Richter, hat anschaulich, weil auf eigene lebensgeschichtliche Erfahrung gestützt, im Etablissement der Schmetterlinge geschrieben:

      Die Stadt heißt Cammin. Es ist eine Kleinstadt, eine Landstadt, halb bäuerlich, halb proletarisch, sehr arm, aber sie besitzt einen Dom, den ich schon in meiner Kindheit als den Camminer Dom kannte. Cammin liegt an der Dievenow. Hier, zwischen den beiden Inseln Usedom und Wollin, läuft die Oder mit drei Mündungsarmen ins Meer, mit der Peene, der Swine und der Dievenow. Bevor die Oder mit ihren drei Armen ins Meer kommt, muß sie noch durch das große Haff und durch das Achterwasser, große, fast riesige Wasserbecken. Da auch die beiden Inseln von Seen durchzogen sind, muß man von einer Wasserlandschaft sprechen, einer Landschaft des Meeres. Die Dievenow ist der östlichste der drei Mündungsarme, und hier an der Dievenow, in der kleinen Stadt Cammin, wurde Uwe Johnson geboren. (Richter, Etablissement der Schmetterlinge, S. 173)

      Richter spricht auch an, was für das Kind Uwe Johnson noch wichtiger gewesen sein wird als die Geburtsstadt Cammin: nämlich die Insel Wollin – von der Ostsee durch das Stettiner Haff, von Usedom durch die Swine und vom Festland durch die Dievenow getrennt. Auf Wollin verbrachte der Knabe glückliche und lebenslang unvergeßliche Ferien auf dem Hof der Großeltern mütterlicherseits. Was sich im Lied der Pommern eher einfach artikuliert: »Blaue Wälder krönen/Weisser Dünen Sand./Pommernland, mein Sehnen/Ist dir zugewandt« – für Uwe Johnson galt es seit frühen Kindertagen: Die Insel geriet ihm zu einem Ort der Sehnsucht, zu einem Refugium vollends vor den politischen Forderungen des Schulalltags. Zeitlebens gedachte er der Stunden an diesem Ort, in den Mutmassungen hat er ihnen ein erstes Denkmal gesetzt:

      Oder war er es selbst, der glücklich gewesen war in dem weiten Land am Wasser auf dem grossen Hof, wo unzählig nebeneinander die Leiterwagen standen in der Sonne und die Luft der blühenden Linden gewichtig vor den kühlen Zimmern stand, über dem klaren Spiegel des frühen Flusses, in dem fügsamen Knistern des Schilfs an der schweren Biegung des Kahns?

      Die Erinnerung, wie sie in den zitierten Zeilen aufblitzt, galt dem, was man Uwe Johnsons allererste Heimat nennen könnte und was vor ihm bereits den Malern Caspar David Friedrich (geboren in Greifswald) und Philipp Otto Runge (geboren in Wolgast) Heimat und Inspiration gewesen war. In beider Landschaftsbilder ist die Ostsee-Küsten-Landschaft eingegangen, findet dort ihren Ausdruck im Sehnsuchtsblick übers Wasser. Das Wasser, auf das der Betrachter dieser Bilder blickt – und diesen Tatbestand haben Caspar David Friedrichs und Philipp Otto Runges Gemälde mit Uwe Johnsons literarischem Werk gemein – ist immer die Ostsee. Dabei gilt, was wiederum Hans Werner Richter in seinem Buch über Pommern geschrieben hat: »Meer, Steilküste, Kreidefelsen, Seen, das Haff, das Achterwasser, Flüsse, Meeresarme und Häfen – und die Landschaft ist romantisch. Auch ein Realist kann sie nicht anders sehen.« Auch der Landschaftsepiker Johnson wurde in diesem Zusammenhang zu einem Romantiker aus Realismus.

      Erste Heimat auf Wollin also, wie sie ein Leben lang in der Erinnerung eines Menschen als Vorschein unablässig gesuchten Lebens präsent sein kann. Doch wirkliche Heimat muß erträgliches Leben auch für den anderen, den Fremden zumal, bedeuten. Diese Wahrheit hat sich im Fall des Uwe Johnson bestätigt, eingebettet in die Verhältnisse der Familie Sträde, der Vorfahren mütterlicherseits. Bei den Eltern Uwe Johnsons wurde der damalige »Führer und Reichskanzler« Adolf Hitler durchaus geschätzt. »Noch als Briefmarke kam er ins Haus; was nützte die Faust, die ihm heimlich aufs Gesicht schlug.« Auf Wollin war das anders; besser; gerechter. Da nämlich »schwoll« Hitler zur Gefahr an, »wenn bei den Grosseltern die Kriegsgefangenen am Tisch essen durften, und er grinste, wenn sie vor dem Besuch des Ortsbauernführers in die Küche gebeten werden mussten«, so hat Johnson selbst in Begleitumstände sich dieser Ferientage entsonnen (S. 26). Im »fügsamen Knistern des Schilfs« auf Wollin blitzte dem Autor der Mutmassungen also die heilsame Erinnerung an die selbstverständliche Humanität gemeinsamen Essens mit den Fremden auf, wie sie bei den Großeltern praktiziert wurde. Auch politisch stellte dieses Wollin also eine Insel dar in Hitlers gleichgeschaltetem Reich. Auch deshalb liebte der Knabe sie so sehr. Inseln als Orte imaginierten Friedens

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