Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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die Themse-Insel Sheppey im Jahr 1974.

      In Cammin dagegen war die Atmosphäre eine andere. Die Kreisstadt lag näher am politischen Geschehen jener Tage. Hans Werner Richter erinnert sich im Etablissement der Schmetterlinge weiter:

      Einmal, lange vor Uwes Geburt, habe ich in dieser Stadt unter roten Fahnen demonstriert, drei Jahre vor Hitlers Machtantritt, doch es gab dort nur Deutschnationale und Nationalsozialisten, SA-Leute und Stahlhelmer, und so wurden wir durch die Stadt gejagt, mit Beschimpfungen, mit Gejohle und mit schrecklichen Wurfgeschossen, die aus allen Fenstern kamen. Seitdem haßte und fürchtete ich diese Stadt. Sie war für mich der Inbegriff der Reaktion und bornierten Rückständigkeit. (Richter, Etablissement der Schmetterlinge, S. 173)

      Gesellschaftliche Unterschiede mögen hinzugekommen sein, die Hans Werner Richter in die Überlegung gefaßt hat, daß

      Uwes Vater [...] Milchinspektor [war], und mein Vater war Fischer, ein kleiner, aber trotzdem gravierender Standesunterschied in der damaligen pommerschen Gesellschaft. Ein Milchinspektor gehörte dem kleinen Bürgertum an, ein Fischer aber nicht, der eine wurde bis zu einer bestimmten Grenze mehr von unten herauf angesehen, der andere von oben herab, ein Milchinspektor inspizierte die Milch eines ganzen Bezirks, er stand wahrscheinlich einer großen Molkerei vor, besaß also bedingte Macht und war ein geachteter Mann, ein Fischer aber fuhr Tag für Tag und oft jede halbe Nacht aufs Meer hinaus und mußte sehen, wie er seine Fische verhökern konnte. (ebd., S. 173 f.)

      In der Tat: Uwe Johnsons Vater zählte zu den Honoratioren, darin das Idol seiner eigenen Frau. Sie hat, wie bereits erwähnt, ihre Hochachtung vor dem obersten kontrollierenden Molkereiassistenten des Landkreises noch in die Lebensläufe des Sohnes hineinredigiert.

      Die soziale Stellung des Vaters mußte die Neigung der Eltern, an das »Dritte Reich« und seinen »Führer« zu glauben, bestärken. Der Sohn Uwe hat seine soziale Herkunft mit der ihm eigenen Sachlichkeit in Daten des Lebenslaufs (bislang unveröffentlicht) beschrieben:

      Mein Name ist Uwe Klaus Dietrich Johnson. Ich wurde geboren am 20. Juli 1934 in Kamien (Kammin/Pom.). Mein Vater Erich Johnson, Diplomlandwirt, starb 1946. Er war beschäftigt als Kontrollassistent und Tierzuchtwart von der Molkerei Anklam und vom Tierzuchtamt Greifswald. Meine Mutter Erna Johnson geborene Sträde (49), bis zum Tode meines Vaters Hausfrau, arbeitete danach als Heimerzieherin und Näherin, schliesslich als Schaffnerin der Reichsbahn; sie verliess die Demokratische Republik persönlicher Umstände wegen im Herbst 1956. Ich habe eine achtzehnjährige Schwester, die Stenotypistin ist und mit meiner Mutter die Republik verlassen hat.

      Der Vater Erich Ernst Wilhelm Johnson, 1900 geboren, war seit dem 6. November 1931 mit Erna Johanna Sträde, geboren den 15. März 1909, verheiratet. Beide kamen aus ländlichem Milieu. Beide nahmen, als ihre gemeinschaftliche Lebensaufgabe, den sozialen Aufstieg in Angriff. Uwe Johnson selbst hat dazu geschrieben, in seiner Vorstellung als neues Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (veröffentlicht in deren Jahrbuch 1977), er habe

      eine Bauerntochter aus Pommern zur Mutter [...], jedoch nicht aus jenem hinteren Landesteil, von dem es lateinisch heißt, er singe nicht, sondern aus dem Gebiet westlich der Oder, 1648 schwedisch und 1720 preußisch geworden, was einem 1934 Geborenen als Obrigkeit den Preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring einträgt. [...] Zum anderen, es gefällt Leuten, mich einen Mecklenburger zu nennen, als sei das ein verläßliches Kennzeichen. Dafür ist nachweisbar, daß mein Vater geboren wurde im Ritterschaftlichen Amte Crivitz und aufwuchs im Domanialamt Schwerin. [...] Dem bin ich verbunden nicht nur durch einen Vater, einen Absolventen des Landwirtschaftlichen Seminars Neukloster und Verwalter herrschaftlicher Güter, sondern auch durch eigene, ausgiebige Beschäftigung mit dem Boden dieses Landes, beim Kartoffelwracken, Rübenverziehen, Heuwenden, Einbringen von Raps und Roggen, des Umgangs mit Tieren auf diesem Boden nicht zu vergessen. (ebd., S. 159)

      Anklam gab im Lebensplan der Eltern die entscheidende Station ab. Bereits 1934 erscheint die Familie unter der Anklamer Adresse »Am Markt 23« als gemeldet. Alles spricht also dafür: Lediglich die Mutter war zur Geburt des Kindes nach Cammin, in das ihrem elterlichen Hof am nächsten gelegene Krankenhaus, zurückgegangen. Johnson selbst hat später in dem Interview mit Wilhelm Johannes Schwarz (S. 88 f.) ausgeführt, daß er »die ersten Jahre (s)eines Lebens« an einem Ort in Mecklenburg verbracht habe. Da sprach er von Anklam.

      Die Verbindung nach Cammin allerdings dauerte an. Sie war nun auch leichter aufrechtzuerhalten. Denn spätestens seit 1936 hatte das automobile Zeitalter im Haus der Johnsons eingesetzt. Das geschah in Form eines DKW-Kleinwagens, der ein Dienstwagen für Erich Johnson und ein willkommener Anlaß für seine Frau Erna war, sich der Führerscheinprüfung zu unterziehen. Auch darin setzte der Geist der Zeit sich durch. Keine zwei Jahre vor der Geburt des Uwe Klaus Dietrich war die erste der famosen Autobahnen des »Führers« eingeweiht worden, jene zwischen Köln und Bonn. Der Besitz eines Autos freilich war noch längst nicht an der Tagesordnung. Außergewöhnlich war erst recht, daß eine Frau den Führerschein erwarb. Die sozial erheblich ehrgeizige Erna Johnson absolvierte die praktische Prüfung ganz als Honoratiorenfrau. Sie erregte bei dieser Gelegenheit Aufsehen durch ihren ausladenden Sommerhut. Nach ihm muß sie sogar einmal gefaßt haben, als der mecklenburgische Sommerwind ihn entführen wollte. Das wiederum kostete die Aspirantin beinahe die Prüfung, ereignete der Vorgang sich doch am Volant. Doch Erna Johnson bestand. Nun fuhr sie oft und gern nach Wollin und Cammin und hatte den Knaben im Auto bei sich. Jetzt erblickt er, der später ein Reisender aus Leidenschaft sein wird (und dennoch nie den Führerschein machen wird), die schwarzen Wasser der Dievenow. Eine schillernd sich schlängelnde Schlange aus Wasser. Die Wegstrecke verlief mit Wasserblick auf beiden Seiten. Eine Straße, die sich dem Wasser anschmiegte, als ginge es unentwegt in die Ferien. Auf diese Weise, mit der Mutter zusammen im eigenen Wagen, die Mutter nun einmal ganz für sich allein, vermag einer zu lernen, das Reisen zu lieben für ein ganzes Leben.

      Nach 1945 gehörte die frühe Gegenwelt Wollin zu Polen. Uwe Johnson besuchte da bereits eine der »Neuen Schulen« der späteren DDR. Und fand historisch gerecht, was sich in seiner nahen Verwandtschaft abspielte. Vergaß dennoch nie die Geborgenheit, die er auf Wollin erfahren hatte. Im Gegenteil: Daß Wollin in der Konsequenz des verlorenen Eroberungskrieges an Polen fallen sollte, ließ die Insel in den Mutmassungen vollends zum Ort jener Heimaterfahrung und Heimaterinnerung werden, für die sich, paradox genug, als unabdingbar erweist, daß sie real unerreichbar zu sein hat.

      »Am Markt« in Anklam wohnten die Johnsons nur einige Jahre. Erkenntnisse über diese Zeit gehen einerseits auf Uwe Johnsons Leipziger Studienakte zurück, vor allem auf Berichte einer Nachbarin, die den Knaben Uwe in den zur Rede stehenden Kinderjahren erlebt hat. Im Sinne der Literatur als dem Gedächtnis der Menschheit erscheint als konsequent, daß diese Frau selbst Aufnahme in das Werk Uwe Johnsons gefunden hat. Im Abschlußband der Jahrestage, in dem Johnson zurückkehrt an die Stätten von Kindheit und Jugend, tritt der Schüler Lockenvitz auf. Dieser »freie deutsche Junge« erscheint als ein Alter ego wie eigentlich kein zweites in Uwe Johnsons Literatur. Es ist denn auch Lockenvitz, »der die Frau Knick aus der verlorenen Heimat kannte, eine vermögliche Bürgerstochter, keine Tochter von Arbeiter und Bauern«. (Jahrestage, S. 1814) Bei dieser Dame handelt es sich um die Ehefrau Anneliese des Englischlehrers von Uwe Johnson, Dr. Hansjürgen Klug. Dieser Pädagoge wurde von seinen Schülern in Güstrow »Clever« geheißen und von Johnson als »Hansgerhard Knick« nur unbedeutend verfremdet in die Jahrestage hineingenommen. Anneliese Klug, eine geborene Röhl vom Jahrgang 1923, kam in Anklam zur Welt, wuchs dort auch auf und machte 1942 ihr Abitur. Sie fungierte zeitweilig als eine Art Kindermädchen für den Knaben Johnson. Die 13- bis 14jährige Anneliese Röhl wohnte mit Johnsons im gleichen Haus. Das war »Am Markt 23«. Heute klafft dort eine große Lücke, Folge noch des Krieges. 1937 standen die Johnsons unter dieser Adresse im Anklamer Adreßbuch. Der zweijährige Uwe wurde von Anneliese viel in der Stadt herumgefahren, weil die Mutter meinte, die eher triste Umgebung des Mietshauses sei ihm wenig ersprießlich. Ein »reizendes« und stilles

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