Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman. Toni Waidacher
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»Stephan…, ich kann dir alles erklären…«
»Das wirst’ auch müssen«, erwiderte er und setzte sich zu ihnen.
Geduldig hörte er zu, wie seine Mutter ihre ›Beichte‹ ablegte, die Pfisters sagten gar nichts, nickten nur hin und wieder bestätigend.
»Soso«, meinte Stephan schließlich. »Da habt ihr euch ja was Feines ausgedacht. Aber ihr könnt’ beruhigt sein?–?ich bin euch net bös’. Im Gegenteil, dankbar muß ich sein, weil ich sonst nie erfahren hätt’, was für eine wundervolle Frau die Angela ist.«
Seine Mutter und das Ehepaar atmeten erleichtert auf.
»Dann… ist also alles in Ordnung?« vergewisserte sich Ewald.
Stephan nickte.
»Wenn ich die Angela net so lieb haben würd’, dann wär’ ich schon bös’, weil sie bei dieser Scharade mitgespielt hat«, sagte er.
Die anderen sahen sich bestürzt an.
»Angela weiß nix davon«, erklärte seine Mutter.
»Nicht?« fragte Stephan überrascht. »Aber dann…«
»Wo ist Angela überhaupt?« fragte Hannelore Pfister. »Du hast gemeint, sie müsse auf ihrem Zimmer sein… Warum?«
Stephan holte tief Luft und erzählte, wie er hinter die ganze Geschichte gekommen war, und daß er sich eine kleine Rache ausgedacht hatte. Auch die Rolle, die Marion Brockmann dabei gespielt hatte, ließ er nicht unerwähnt.
»Da hab’ ich ihr Unrecht getan«, bekannte er jetzt. »Hoffentlich verzeiht sie mir.«
Er stand entschlossen auf.
»Ich muß sofort mit ihr reden«, sagte er. »Hoffentlich ist sie mir net allzu böse.«
Rasch lief er die Treppe hinauf und eilte über den Flur. Als er vor ihrer Tür stand, wußte er nicht, ob sein Herz so klopfte, weil er die Treppe hinaufgelaufen war oder vor Aufregung.
Er klopfte an und wartete ungeduldig.
»Angela«, rief er verhalten. »Ich bin’s. Bitte, ich muß mit dir reden. Es tut mir leid, was da gescheh’n ist. Wirklich, es ist alles ganz anders, als es ausschaut. Angela, bitte, mach’ auf.«
Er klopfte erneut, doch drinnen blieb alles still.
Stephan zuckte die Schultern und wollte in sein eigenes Zimmer gehen, mußte aber feststellen, daß er den Schlüssel noch gar nicht an der Rezeption abgeholt hatte.
Er lief wieder nach unten. Die anderen waren inzwischen aufgestanden und sahen ihn erwartungsvoll an. Stephan stellte sich zu ihnen und schaute auf das Brett.
»Na, da kann ich ja lang’ klopfen«, sagte er. »Angela ist gar net in ihrem Zimmer.«
»Nicht?« fragte Hannelore Pfister verwundert.
Stephan deutete auf das Brett.
»Der Schlüssel hängt doch da, neben meinem.«
»Wahrscheinlich macht sie einen Spaziergang«, meinte Ewald.
»Jetzt noch?« fragte seine Frau zurück. »Bei dem Wetter?«
Draußen hatte der Regen eingesetzt. Dann und wann zuckte ein Blitz, und rollender Donner entlud sich über dem Dorf.
»Bestimmt hat sie sich irgendwo untergestellt«, beruhigte ihr Mann sie. »Oder sie kommt jeden Moment.«
Hannelore Pfister schaute durch die Glastür nach draußen.
»Na, hoffentlich…«, flüsterte sie.
*
Das Gewitter war schneller heran, als sie geglaubt hatte. Blitze zuckten um sie herum, und die darauffolgenden Donner rollten als schauriges Echo von den Bergwänden wider.
Angela Pfister schaute sich suchend um. Sie mußte einen Unterschlupf finden. Ein Gewitter in den Bergen, das wußte sie, konnte ungleich gefährlicher sein als in der Stadt.
Der Regen war inzwischen so stark geworden, daß sie kaum noch etwas sehen konnte, und ihre Kleidung war bis auf die Haut durchnäßt. Eisiger Wind fuhr durch ihre Glieder und ließ sie frösteln.
Längst schon schalt Angela sich eine Närrin, weil sie ohne jegliche Vorbereitung zu dieser Wanderung aufgebrochen war. Es war ein kleines Glück, daß sie wenigstens vernünftiges Schuhwerk trug.
Die junge Frau preßte sich eng an den Fels. Vergeblich suchte sie nach Schutz, und ihre klammen Finger tasteten über den nassen Stein, glitten immer wieder ab und bekamen schmerzhafte Risse, wenn sie sich in den Stein krallten.
Angela versuchte langsamer zu atmen und sich zu beruhigen. Es hatte keinen Sinn, wenn sie jetzt in Panik geriet. Sie mußte Ruhe bewahren und darauf hoffen, daß man sich auf die Suche nach ihr machte, wenn sie nicht im Hotel auftauchte.
Doch wie lange konnte es dauern, bis man ihr Verschwinden bemerkte. Und wie lange, bis sich ein Suchtrupp auf den Weg machte?
Ganz abgesehen davon, daß niemand wußte, wohin sie gegangen war. Wenn sie wenigstens ihr Handy dabei gehabt hätte! Aber vor Antritt des Urlaubs hatte sie mit den Eltern verabredet, daß die Mobiltelefone zwar mitgenommen würden, aber ausgeschaltet bleiben sollten. Ihres lag jetzt auf dem Tisch des Hotelzimmers…
Auch wenn der Regen immer stärker wurde, sie mußte versuchen, den Weg zurück ins Tal zu finden. Es hatte keinen Zweck, hier auszuharren, das Unwetter wurde immer stärker, und Angela hatte nicht den Eindruck, daß es bald weiterziehen würde.
Langsam tastete sie sich vorwärts. Noch immer fegte der Wind heftig um sie herum und zerrte an der nassen Jacke und der Hose. Angela ließ sich auf den Boden sinken und rutschte ein gutes Stück talwärts. Als sie vorhin in aller Hast nach einem Unterschlupf suchte, war sie einer ersten Eingebung folgend auf den Fels zugelaufen. Vielleicht, so hatte sie gehofft, gab es dort eine Höhle, in der sie sich verkriechen konnte. Dem war allerdings nicht so. Eine Höhle hatte sie nicht gefunden, dafür wußte sie nicht mehr, wo sich der Weg befand, auf dem sie heraufgekommen war.
Angela duckte sich unwillkürlich zusammen, als direkt vor ihr ein Blitz in den Fels schlug. Funken sprühten auf, und ein entsetzter Schrei entrang sich ihren Lippen.
Ihre Bewegung war so heftig gewesen, daß sie ausrutschte und mit dem Kopf auf den Boden schlug. Sie fühlte den dumpfen Schmerz, und Tränen traten ihr in die Augen. Keuchend versuchte sie, sich aufzurichten, doch rote Nebelschleier und tanzende Sterne ließen sie wieder zusammensinken.
Jetzt bloß net ohnmächtig werden, dachte sie verzweifelt. Bei diesem Wetter hier draußen liegen – das bedeutete den sicheren Tod, wenn sie nicht rechtzeitig gefunden wurde.
Mit aller Kraft richtete sie sich endlich auf und schüttelte benommen den Kopf. Dann versuchte sie vorsichtig auf die Füße zu kommen. Der Untergrund, auf dem sie sich bewegte,