Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg eva digital

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nie war die Möglichkeit einer Reform der Bismarckschen Verfassung. Die Außenpolitik des Reichs mußte in die Hand eines dem Reichstag verantwortlichen Reichsaußenministers gelegt und darüber hinaus ein kollegiales, dem Parlament verantwortliches Reichsministerium geschaffen werden. Wenn Bülow und sein Block geschlossen vorgingen, war alles zu erreichen: Der Kaiser war so im Gedränge wie nie einer seiner Vorgänger seit 1848. Aber ohne die Konservativen war damals eine Aktion zur Parlamentarisierung und zur Einschränkung der kaiserlichen Macht nicht möglich. Die Konservativen hätten sich aufraffen müssen, freiwillig einen Teil ihrer Machtpositionen an das Bürgertum abzugeben. Es hätte ein konservativ-liberales Reichsministerium und eine konservativ-liberale preußische Regierung entstehen müssen. Wäre so der Bülow-Block aus einer parlamentarischen, taktischen Kombination zu einer organischen Zusammenfassung der Hauptkräfte des Reichs geworden, so war noch in elfter Stunde der Grundfehler der Bismarckschen Verfassung zu korrigieren.

      Englische Konservative haben in ähnlichen Situationen so gehandelt. Die preußischen Konservativen zeigten damals dieselbe Engherzigkeit, mit der sie gegen Bismarck gekämpft hatten. Von ihren historischen Privilegien wollten sie nichts, absolut nichts aufgeben. Der Fortbestand des Bülow-Blocks erfüllte sie mit wachsendem Unbehagen. Schon war die preußische Wahlrechtsfrage wieder aufgetaucht. Jede noch so maßvolle Änderung des preußischen Wahlrechts mußte auf Kosten der Agrarkonservativen gehen. Und wer bürgte dafür, daß die Liberalen nicht immer begehrlicher wurden, wenn sie sich als unentbehrlichen Bestandteil der Regierungsmehrheit empfanden? Die natürliche Stütze der Konservativen im Kampfe gegen die »Demokratie« und für das alte Preußen war aber trotz allem die ungeschwächte Königsmacht. So haben die Konservativen die Kritik Wilhelms II. in der »Daily-Telegraph«-Angelegenheit mit der Versicherung verbunden, daß sie eine Parlamentarisierung Deutschlands nach wie vor ablehnen15.

      So verpuffte die gewaltige Volksbewegung gegen den Kaiser ergebnislos. Denn eine Umgestaltung des Bismarckschen Deutschlands auf dem Wege der Reform und Evolution war nur mit den Konservativen möglich. Lehnten die Konservativen jede Verfassungsänderung ab, so blieb nur der Weg der Revolution. 1908 waren die psychologischen und objektiven Voraussetzungen für die Revolution noch nicht da. Aber die Unvermeidlichkeit der deutschen Revolution ist in dem schicksalsschweren Jahre 1908 festgestellt worden, wenn auch damals die Mitlebenden das noch nicht klar sahen.

      Die Konservativen sehnten sich aus der gefährlichen Block-Kombination wieder zu dem erprobten Bündnis mit dem Zentrum zurück. Im Zentrum hatte während der ganzen Krise die konservativ gestimmte Führergruppe die Macht behalten. Man war zwar im Wahlkampf 1907 taktisch an die Seite der Sozialdemokraten gedrängt worden. Bei Stichwahlen unterstützten sich die Oppositionsparteien gegen den Regierungsblock. Aber daraus war kein politisches Bündnis zwischen Zentrum und Sozialdemokraten geworden. Die Zentrumsführung wollte sich den Rückweg zur Regierung nicht versperren. Mit Befriedigung sah das Zentrum, wie sich Bülow sowohl mit dem Kaiser wie mit den Konservativen entzweite.

      Ein unbedeutender Anlaß führte 1909 zur Sprengung des Bülow-Blocks. Die Konservativen erklärten sich gegen die Regierungsvorlage einer Erbschaftssteuer. Das Zentrum schloß sich ihnen an. Bülow blieb in der Minderheit, und der Block war zerrissen. Entscheidend für die Haltung von Konservativen und Zentrum war nicht so sehr die Abneigung der Agrarier gegen eine finanzielle Mehrbelastung, sondern maßgebend waren die allgemein politischen Erwägungen, den Bülow-Block zu zerstören. Als seine Reichstagsmehrheit gesprengt war, nahm Bülow den Abschied.

      Wilhelm II. sah in dieser Entwicklung einen persönlichen Triumph16. Daß die Reichstagsmehrheit Bülow gestürzt hatte, war für den Kaiser der Beweis, daß das Parlament seine Stellungnahme in der »Daily-Telegraph« -Affäre bereue. Das Volk sei zwar vorübergehend durch Bülow getäuscht und seinem Kaiser entfremdet worden. Aber nun kehre es zum Kaiser zurück. Die Wirkung, die der Volkssturm von 1908 auf Wilhelm II. ausgeübt hatte, war damit ausgelöscht. Der Kaiser kehrte ohne Hemmung zu seinem alten persönlichen System zurück. Bülows Nachfolger wurde ein typischer Bürokrat, Bethmann-Hollweg, von dem nicht zu befürchten war, daß er jemals selbständige Gedanken haben oder die Autorität des Kaisers gefährden würde. Daß ein Bethmann-Hollweg im Juli 1914 deutscher Reichskanzler sein konnte, ist die schwerste Anklage, die sich gegen das alte System richten läßt.

      Fürst Bülow erhielt durch seinen Abgang ein Ansehen, das ihm nicht zukam. Er galt nun weiten Kreisen als Vertreter einer modernen deutschen Staatsauffassung, der dem autokratischen Willen Wilhelms II. im Bunde mit dem reaktionären Agrariertum erlegen war. In Wirklichkeit war Bülow in den Kampf mit dem Zentrum aus taktischen Opportunitätsgründen, ohne jeden weiteren politischen Plan, hineingeraten. Ebenso hat Bülow die »Daily-Telegraph«-Angelegenheit selbst mitverschuldet, und nur weil er sich die Kraft nicht zutraute, im November 1908 dem Volkssturm entgegenzutreten, hat er auf den Kaiser gedrückt. Aber die Autorität, mit der Bülow sein Amt verließ, führte noch 1917 dazu, daß eine einflußreiche Strömung ihn als Reichskanzler zur Rettung Deutschlands wünschte.

      Die Zerstörung des Bülow-Blocks hat im liberalen Bürgertum eine tiefe Verbitterung erregt. Man sah keine Möglichkeit mehr, die unhaltbaren politischen Verhältnisse Deutschlands zu reformieren. Im Besitze dieser Erkenntnis stieg das Bürgertum zwar nicht auf die Barrikade – das taten ja damals die Sozialdemokraten auch nicht –, aber es wuchs die Neigung der Liberalen, sich mit den Sozialdemokraten gegen das herrschende halbabsolutistische System und gegen die preußischen »Junker« zu verbünden.

      Bei den Reichstagswahlen von 1912 schlossen die Sozialdemokraten und die Fortschrittler ein formelles Wahlbündnis. Die Nationalliberalen gingen wieder mit den Fortschrittlern zusammen. Die Sozialdemokraten errangen viereinviertel Millionen Stimmen und 110 Mandate. Was die Liberalen an die Sozialdemokraten verloren, glichen sie größtenteils durch Gewinne auf Kosten der Konservativen und des Zentrums wieder aus. Die veränderte Lage zeigte sich bei der Präsidentenwahl im neuen Reichstag. Das war damals keine bloße parlamentarische Formalität. Denn das Reichstagspräsidium mußte mit dem Kaiser persönlich verkehren. Bei dem Verhältnis, das damals zwischen Wilhelm II. und den Sozialdemokraten bestand, war die Wahl eines Sozialdemokraten in das Reichstagspräsidium eine persönliche Beleidigung des Kaisers.

      Dennoch wurde bei der Wahl des 1. Präsidenten der Zentrumsführer Spahn nur mit knapper Mehrheit gewählt. Sein Gegenkandidat Bebel erhielt nicht nur alle fortschrittlichen, sondern auch 20 nationalliberale Stimmen. Und bei der Wahl zum 1. Vizepräsidenten kam der Sozialdemokrat Scheidemann, wieder mit Hilfe eines Teils der Nationalliberalen, durch17. Scheidemann mußte zwar ein paar Wochen später sein Amt niederlegen, weil er sich weigerte, zu Hofe zu gehen. Hätten ihn die Nationalliberalen noch weiter gestützt, so wäre das ein offenes Bekenntnis zur Republik gewesen. So weit war die Entwicklung noch nicht. Aber welche Wandlung hatte sich seit 1890 vollzogen! Wie mußte das deutsche Bürgertum gestimmt sein, wenn sich loyale, patriotische, von der Industrie gewählte Nationalliberale nicht anders helfen konnten, als daß sie für Bebel und Scheidemann eintraten! Aber Wilhelm II., Bethmann-Hollweg und der herrschende preußische Adel wollten von dem, was in Deutschland vor sich ging, nichts sehen und hören. Da kam im Winter 1913/14 eine neue Krise: Eine an sich unbedeutende Angelegenheit wuchs sich zu einem erbitterten Konflikt zwischen der herrschenden Gruppe und dem ganzen übrigen deutschen Volke aus.

      In der kleinen elsässischen Garnisonstadt Zabern war es zu Reibungen zwischen der Bevölkerung und einigen jungen Offizieren gekommen. Es folgten Straßenkundgebungen gegen das Militär. Der Oberst des in Zabern liegenden Regiments, von Reuter, war der Meinung, daß die Zivilbehörde seine Untergebenen nicht schütze. Deshalb ließ er einige Dutzend Demonstranten durch Soldaten festnehmen und eine Nacht im Kasernenkeller festhalten. Das war ohne Zweifel ein schwerer Übergriff des Obersten, weil das Militär auf keinen Fall befugt war, Zivilpersonen in Haft zu halten. Der Oberst konnte indessen zu seiner Entschuldigung anführen, daß er in einem Notstand und in gutem Glauben gehandelt habe.

      Unter anderen politischen Verhältnissen wären die Zaberner Vorfälle nur als bedauerliches Lokalereignis betrachtet worden. Aber in der politischen Hochspannung

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