Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg eva digital

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ähnliche Tradition des deutschen Bürgertums fehlte. Die Ansätze dazu, die in den Jahren 1848 bis 1871 sich entwickelt hatten, gingen in der Bismarckzeit wieder zugrunde. Es ist kein Zufall, daß die bahnbrechenden Geister der deutschen Sozialdemokratie, Marx und Engels, Lassalle und Wilhelm Liebknecht, ohne die Bewegung von 1848 gar nicht denkbar wären. Im deutschen Kaiserreich lernte der Arbeiter in der Volksschule, im Heer und in der Fabrik zwar Schreiben und Lesen, Technik, Disziplin und Organisation. Aber er gewann nirgends ein politisches Weltbild. Er hatte keine Vorstellung davon, wie sich die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Revolution vollziehen würde, die er ersehnte, und auf welchem Wege man aus der traurigen Gegenwart in die bessere Zukunft kommen könne. Die Bildungsarbeit der Sozialdemokratischen Partei, so Achtbares sie im einzelnen leistete, konnte diese Lücke nicht ausfüllen.

      So erfüllte die sozialdemokratischen Massen ein etwas gehobener Zunftgeist: Anhänglichkeit an die Organisation mit starker Opferwilligkeit für sie, der Wille, die eigene wirtschaftliche Lage zu heben, unbedingte Abneigung gegen das herrschende preußische System. Diese Grundstimmung der Massen beherrschte auch die Funktionäre und den Parteivorstand. Man kritisierte das Bestehende und wartete ab; hatte aber keinen politischen Plan für die nächste Zukunft, abgesehen von der Vorbereitung der gerade fälligen Reichstagswahl.

      Die offizielle passive Politik des Parteivorstandes wurde von zwei Seiten angegriffen, von den Linksradikalen und von den Revisionisten. Die linksradikale Gruppe um Rosa Luxemburg10 und Franz Mehring erkannte, daß Europa ungeheuren Krisen entgegenging. Sie sah den Weltkrieg kommen und im Zusammenhang mit ihm die Revolutionen. Sie hielt die russische Revolution von 1905 für die Einleitung einer neuen krisenhaften Periode der Geschichte. In dieser Lage könne sich die deutsche Arbeiterschaft nicht auf die Wahlkampagnen beschränken, sondern sie müsse sich auf revolutionäre Kämpfe vorbereiten. Sie müsse sich an die Waffe des Generalstreiks gewöhnen, mit der das russische Proletariat gegen den Zarismus gekämpft habe.

      Eine andere Schule von Theoretikern, die Revisionisten um Eduard Bernstein, lehnte gleichfalls das passive Abwarten ab: Es sei eine abenteuerliche Idee, auf den baldigen Zusammenbruch des Kapitalismus zu spekulieren. Die Arbeiterschaft habe auch im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft bedeutende positive Aufgaben. Sie müsse noch stärker und planmäßiger als bisher für wirtschaftliche und politische Reformen kämpfen. Die Sozialdemokratie würde um so mehr erreichen, wenn sie Verbündete innerhalb des Bürgertums gewinnen könne. Im Bunde mit dem linksstehenden oppositionellen Bürgertum könne man die Mehrheit in den deutschen Parlamenten erreichen und das herrschende preußische Militärsystem erschüttern. Die Erkämpfung der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie in Deutschland wäre bereits ein großer Erfolg der Arbeiter.

      Wenn man heute rückblickend die Kämpfe innerhalb der Sozialdemokratie vor dem Krieg überprüft, so muß man zugeben, daß sowohl die Radikalen wie die Revisionisten in wichtigen Punkten die Entwicklung richtig beurteilt haben. Dagegen schneidet das offizielle Zentrum des Parteivorstandes am schlechtesten ab. Es hat nichts erkannt und nichts vorhergesehen. Es ließ sich vom Kriegsausbruch überraschen und auch während des Krieges von den Ereignissen treiben. Theoretisch wäre ein Block zwischen Radikalen und Revisionisten gegen den Parteivorstand möglich gewesen. Auch Rosa Luxemburg hat niemals die Bedeutung von Reformen für die Arbeiter verkannt, und ein Bündnis mit Teilen des Bürgertums, um zunächst den herrschenden militärischen Feudalismus zu schlagen, entsprach vollkommen der orthodoxen marxistischen Lehre. Die Radikalen hätten also vieles von den praktischen Losungen der Revisionisten übernehmen können.

      Aber eine unüberbrückbare Kluft tat sich zwischen beiden Gruppen in der Perspektive auf: Die Revisionisten lehnten die Katastrophenlehre der Radikalen ab. Sie wollten an das unmittelbare Bevorstehen eines Entscheidungskampfes zwischen Kapital und Arbeit nicht glauben. Auf der anderen Seite waren die Radikalen so stark von dem Nahen großer Entscheidungen überzeugt, daß sie die Tageserfolge und taktischen Manöver der Revisionisten als Lächerlichkeit ansahen. So kam es, daß auf den sozialdemokratischen Parteitagen die Kämpfe zwischen Radikalen und Revisionisten ausgefochten wurden, während der Parteivorstand die bequeme Rolle des Schiedsrichters hatte. Die zunftmäßig eingestellte Masse der Mitglieder, und ebenso der Gewerkschaftsapparat, stand hinter dem Parteivorstand.

      Die beiden aktiven Gruppen waren unter den geistig selbständigen und theoretisch interessierten Kreisen der Partei stark vertreten. Unter den Radikalen wie den Revisionisten war die Zahl der Intellektuellen erheblich. In den breiten Arbeitermassen war der Anhang der Radikalen ganz gering, die Revisionisten erlangten durch besondere Verhältnisse in den süddeutschen Staaten Einfluß. In Bayern, Württemberg, Baden und Hessen war ein Militäradel preußischer Art, der zugleich die Verwaltung beherrschte, nicht vorhanden. Es standen sich hier ein bäuerlicher Konservatismus und ein bürgerlicher Liberalismus, außer den Arbeitern, gegenüber. Die herrschende Bürokratie war viel mehr mit dem Bürgertum verwachsen als mit dem meist klerikalen Bauerntum. Das galt sogar für die regierenden Dynastien. Besonders das badische großherzogliche Haus hatte altliberale Traditionen, und ebensowenig bestand ein Gegensatz zwischen Bürgertum und Hof in München, Stuttgart und Darmstadt.

      Ein bürgerlich gestimmtes Regierungssystem kann sich, wie alle Erfahrungen beweisen, viel leichter mit der Arbeiterschaft verständigen als ein militärisch-aristokratisches. So tief der Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch empfunden wird, so wirkt er nie so provokatorisch wie die Kluft zwischen adligem Herrentum und der Volksmasse. Es kommt dabei gar nicht auf den Charakter des einzelnen an: Der einzelne Gutsbesitzer und Offizier kann an Wohlwollen für die arme Bevölkerung einen Fabrikanten leicht übertreffen. Trotzdem ist eine feudale Herrschaft für den Europäer des 20. Jahrhunderts einfach unerträglich, während das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit noch vielfach als naturgemäß empfunden wird.

      Aus dieser allgemeinen Situation erklärt sich das mehr gemäßigte Auftreten der süddeutschen Sozialdemokraten. Die Zustimmung zu den Etats der Einzelländer wurde erteilt, und das viel erörterte sozialdemokratische »Hofgängertum« zu den süddeutschen Landesherren begann. Am wichtigsten wurde die Entwicklung in Baden11. Hier wurde die traditionelle liberale Landtagsmehrheit durch das Zentrum bedroht. Da verbündeten sich die Liberalen mit den Sozialdemokraten, um das Zentrum in der Minderheit zu halten. Die großherzogliche Regierung arbeitete mit den Liberalen und Sozialdemokraten ohne wesentliche Hemmung zusammen. Die Sozialdemokraten erlangten einzelne Reformen im Rahmen der Landesgesetzgebung. Sie mußten dann selbstverständlich für den Etat stimmen, an dem sie mitgearbeitet hatten, und sie konnten auch den Großherzog nicht boykottieren. So wurde Baden eine Hochburg des sozialdemokratischen Revisionismus, und der badische »Großblock« der Linken, in dem Nationalliberale, Freisinnige und Sozialdemokraten zusammenwirkten, wurde ein Vorbild für die Opposition gegen Wilhelm II. im ganzen Reich.

      Das badische Experiment war die bewußte Durchbrechung des Bismarckschen Systems in einem wichtigen Bundesstaat. Bismarck hatte einen beispiellos sicheren Instinkt für alle Feinde seiner Schöpfung. So erkannte er die Gefahr, die für sein System in dem badischen Liberalismus lag12, obwohl zu Bismarcks Zeit noch kein Mensch an den badischen »Großblock« dachte. Die badische Entwicklung unter Wilhelm II. war zwar durchaus kein Schritt zum Sozialismus in Deutschland, aber es war ein Schlag gegen die herrschende preußische Aristokratie. Der sozialdemokratische Parteivorstand freilich mißbilligte die badische Taktik unter dem Beifall der Parteitagsmehrheiten, einschließlich der Radikalen, die beim Kampfe gegen die badischen »Disziplinbrecher« in erster Reihe standen.

      Für das Kaisertum und das herrschende System in Deutschland war es ohne große Bedeutung, ob die Sozialdemokratie etwas aktiver oder passiver war. Die bloße Existenz der sozialdemokratischen Millionenorganisation war die Gefahr. Zwar in Friedenszeiten war die preußische Staatsgewalt immer noch den Sozialdemokraten bei weitem überlegen. Das zeigte sich wieder bei den Straßendemonstrationen, die von der Partei, unter dem Eindruck der russischen Revolution, zur Erzwingung der preußischen Wahlreform organisiert wurden. Die preußische Polizei hielt die Demonstranten überall in Schach. Das Militär brauchte nirgends einzugreifen, und das preußische Wahlrecht blieb das alte. Aber was sollte

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