Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg eva digital

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einschüchtern. Das war sicher, ganz gleich wie der Krieg ausging. Noch im Jahre 1914 tauchte die preußische Wahlrechtsfrage wieder auf. Aber der konservative preußische Grundbesitz war auch jetzt nicht bereit, etwas von seinen Privilegien zu opfern. In der preußischen Wahlrechtsfrage wurden allerlei Akten geschrieben, Projekte entworfen und Sitzungen abgehalten4. Die alte Mehrheit des preußischen Landtags hatte kein Interesse daran, sich selbst zum eigenen Schaden zu »reformieren«, und die regierende Bürokratie hatte erst recht keine Eile. So kam die Wakhlreform erst im Jahre 1917 stärker in Fluß. Auf jeden Fall fühlte sich der preußische Adel durch eine neue Zeit, deren Entwicklungsmöglichkeiten er nicht übersah, bedroht, und er sann auf Abwehr. Dabei traf er sich mit den Bestrebungen der Industrie.

      Auch die Industriellen rechneten unter der Neuorientierung zumindest mit einer Stärkung der Gewerkschaften und mit einer Erschwerung ihrer eigenen Position in den Wirtschaftskämpfen der Zukunft. Wenn das alte Preußen ins Wanken geriet, so war die starke Staatsgewalt gefährdet, die bisher dem Unternehmer Beistand gegen die Arbeiter geleistet hatte. So bekämpfte die preußische nationalliberale Landtagsfraktion, in der die Einflüsse der rheinisch-westfälischen Industrie überwogen, die Übertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen. In den Jahren vor Kriegsausbruch hatten sich die industriellen Kreise immer mehr von der agrar-konservativen Politik getrennt. Beim Sturze Bülows, bei den Reichstagswahlen 1912 und in der Zabern-Angelegenheit standen die Nationalliberalen gegen die Konservativen. Seit Kriegsbeginn setzte eine rückläufige Bewegung ein. Zwar erkannten einzelne nationalliberale Führer, wie Stresemann und von Richthofen, daß die neue Zeit eine Entwicklung Deutschlands zur Parlamentarisierung und damit die politische Stärkung des Bürgertums bringen müsse. Das hätte eine Fortsetzung der nationalliberalen Politik von 1912 bedeutet, eine Festigung des liberalen Bürgerblocks der Nationalliberalen und der Fortschrittler.

      In der Tat waren von 1906 bis 1914 die beiden liberalen Strömungen, die industrielle und die kaufmännische, fast ständig zusammengegangen. Hätte sich im Kriege diese bürgerlich-liberale Einheitsfront gestärkt, so hätte dies die bedeutendsten Folgen haben können. Das Bürgertum hätte seine Rechte auf Kosten der konservativen Aristokratie erweitert und dabei ein Zusammenwirken mit den Sozialdemokraten möglich gemacht. In Wirklichkeit ging die Entwicklung umgekehrt: Die Haltung der Nationalliberalen im Kriege wurde nicht von den Männern bestimmt, die den Weg vorwärts zur Parlamentarisierung suchten, sondern von solchen Industriellen, die im Bunde mit der militärischen Aristokratie ein Bollwerk gegen die Arbeiterforderungen aufrichten wollten. So sah das Bismarcksche Reich in seinem Untergang noch einmal das Wiederaufleben der alten Kartellidee Bismarcks. Die Vaterlandspartei von 1917 war weiter nichts als das Kartell von 1887, angepaßt den Verhältnissen des Weltkrieges.

      Während sich so unter dem Schleier des Burgfriedens die aristokratisch-industrielle Abwehrfront gegen die Arbeiter bildete, dachte auch die Arbeiterschaft über die neue politische Lage nach. Die Situation nach dem 4. August war für die Sozialdemokratie überaus eigenartig und schwierig. Der sozialdemokratische Arbeiter bekannte sich opferwillig zur Landesverteidigung. Aber er konnte nicht begreifen, daß seine alten Feinde, der preußische »Militarismus« und die Schwerindustrie, nun plötzlich nicht mehr bekämpft werden sollten. Der Arbeiter stellte fest, daß zwar jetzt seine Abgeordneten für die Regierung stimmten und daß die Soldaten jetzt auch den »Vorwärts« lesen durften. Aber das militärisch-polizeiliche Herrentum war eigentlich in Preußen dasselbe wie vor dem 4. August, und in der Fabrik war das Übergewicht des Unternehmers durch den Burgfrieden auch nicht verändert. Das konnte auch gar nicht anders sein, da der 4. August weder eine politische noch eine soziale Revolution gewesen war. Im Gegenteil, der Arbeiter hörte zwar von der kommenden »Neuorientierung«, aber er hatte den Eindruck, daß die Machtstellung des Proletariats als Klasse sich seit dem 4. August verschlechtert hatte. Im Frieden hatten die sozialdemokratischen Zeitungen und sozialdemokratischen Versammlungsredner offen ausgesprochen, was die Masse drückte. Jetzt stand man unter dem Druck des militärischen Belagerungszustandes und der Militärzensur. Presse, Vereins- und Versammlungsleben waren gleichmäßig gelähmt. Weiter hatte man den Eindruck, daß die Unternehmer im Dienste der Kriegsindustrie viel Geld verdienten, während die Arbeiter ihr altes Kampfmittel, den Streik, verloren hatten. Denn der Burgfrieden und die militärischen Erfordernisse ließen keinen Streik zu.

      So erfüllte schon im ersten Kriegswinter eine tiefe Unzufriedenheit die Massen. Die Stimmung der werktätigen Massen wäre nur zu heben gewesen, wenn man ihnen nachgewiesen hätte, daß sie jetzt in Deutschland mitregierten, daß sie als Subjekt und nicht als Objekt des Staatslebens den Krieg mitführten. In den Ländern der bürgerlichen Demokratie konnte das regierende Bürgertum in den Massen diese Stimmung erwecken. In England und Frankreich saßen Arbeiterführer in der Regierung und in den Verwaltungsbehörden. Da konnten auch die Massen der ärmeren Bevölkerung zu dem Glauben kommen, daß der Staatsapparat unter ihrer Kontrolle stehe und daß sie politisch keine »Herren« hätten. Das schuf sofort eine ganz andere Einstellung zum Staat und zum Krieg. In Deutschland unter der Bismarckschen Verfassung ließ sich eine solche Massenstimmung nicht erzeugen.

      In der Begeisterung der ersten Kriegswochen hatten die werktätigen Massen im Unterbewußtsein das Gefühl, als würde eine Welle der nationalen Brüderlichkeit die alten Gegensätze wegschwemmen« Als die Ernüchterung kam, sah man selbstverständlich, daß es auch im Kriege Arme und Reiche gab und daß die preußisch-deutschen Behörden von ihrem Autoritätsgefühl nichts eingebüßt hatten. Die militärischen Vorgesetzten und die Zivilbehörden waren wahrlich im Kriege im Verhältnis zu den breiten Volksschichten nicht schlechter als im Frieden, aber das Kriegserlebnis hatte den Massen eine neue An des Sehens gegeben, die alles viel schwerer empfand als früher5. So war schon an sich, etwa vom ersten Kriegswinter an, der Gegensatz zwischen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft und der herrschenden aristokratischindustriellen Schicht in Deutschland nicht milder, sondern schärfer als im Frieden.

      Dazu kamen in den Jahren 1915/16 die immer stärkeren wirtschaftlichen Auswirkungen der Blockade. Die Nahrungsmittel wurden so knapp, daß im steigenden Maße die Zwangswirtschaft an Stelle des freien Lebensmittelhandels trat. Für die breite Masse der städtischen Bevölkerung kam die Hungerzeit mit ihren Kohlrüben und dem Polonäsestehen vor den Läden. Trotz der gestiegenen Löhne, besonders der Munitionsarbeiter, konnte die Masse der Lohnempfänger sich nicht mehr satt essen. Daneben beobachtete man, wie der Schleichhandel blühte und wie die wohlhabenden Familien in der Lage waren, sich manches zu gönnen, was dem Armen versagt blieb. So nahm in Deutschland, ungeachtet des Burgfriedens, der Klassenkampf die furchtbarste Form an, die überhaupt möglich ist, nämlich des Kampfes buchstäblich um das Stück Brot. Auch wer die Überzeugung hat, daß der Klassenkampf eine notwendige Erscheinungsform der modernen Gesellschaft ist, kann nur mit Grauen an diese Zeit zurückdenken. Der Kampf ums Dasein ging um 500 Gramm Brot, um 100 Gramm Fett und um ein Ei. Einer machte dem andern diese elenden Grundlagen menschlicher Existenz streitig.

      Hunger und Verbitterung erfüllten die Arbeitermassen. Der Klassengegensatz zum Fabrikanten, zum reichen, mit Kriegsmaterial aller Art handelnden Geschäftsmann und zum kommandierenden Offizierskorps wurde immer stärker. Der Kampf ums Brot drang auch in die Armee ein. In normalen Verhältnissen nahm niemand daran Anstoß, daß die Offiziere besser und abgesondert von der Mannschaft aßen. Als die Lebensmittelnot einsetzte und auch die Mannschaftsverpflegung beeinträchtigte, richteten sich grollende und neidische Blicke auf die Offiziersmesse. Die Erbitterung kam dort weniger auf, wo die gemeinsame Lebensgefahr den Frontoffizier und den U-Boot-Kommandanten mit Soldaten und Matrosen vereinte. Um so tiefer war die Kluft in der Etappe, in den Garnisonen der Heimat und auf den großen Kampfschiffen, die fast den ganzen Krieg hindurch stillagen und wo kasernenartiger Dienstbetrieb bestand. Wer den Ursachen der militärischen Revolution Deutschlands nachspürt, stößt überall auf die Lebensmittelfrage6, auf die Erbitterung der Mannschaften, die glaubten, daß man sie ungerecht in der Verpflegung gegenüber den Offizieren zurücksetzte.

      So bilden sich allmählich in den Jahren 1915/16 zwei Kampffronten. Auf der einen Seite die militärisch, wirtschaftlich und politisch herrschende Schicht, Offiziere, Grundbesitzer, Industrielle, die überall das Kommando hatten und von denen die

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