Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg eva digital

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verschaffen müssen und den Massen klarmachen können, daß ein Erfolg gegen England nur dann möglich war, wenn Deutschland gegen Frankreich und Rußland Mäßigung zeigte. Ebenso hätte es von Anfang an klar sein müssen, daß Deutschland auch nach einem Sonderfrieden mit Rußland und Frankreich das Britische Reich und seine ungeheuere Seemacht nicht »niederzwingen« konnte, sondern daß nur ein Kompromiß zu erzielen war. Oder wenn die Regierung die entgegengesetzte Auffassung hatte, daß Deutschland zu schwach sei, um England auch nur zu einem Kompromiß zu zwingen, und daß man um jeden Preis zunächst eine Verständigung mit England brauchte, so hätte demgemäß die deutsche Außenpolitik geleitet werden müssen. Dann hätte die Regierung das Volk über diese Notwendigkeit aufklären und ihre ganze Politik auf diese Linie bringen müssen.

      Aber Wilhelm II. und Bethmann-Hollweg haben weder den einen noch den andern Weg eingeschlagen, denn sie hatten überhaupt keine Politik. Die grauenhafte Ziel- und Sinnlosigkeit der deutschen Außenpolitik von 1890 bis 1914 setzte sich im Kriege fort. Denn wenn die deutsche Regierung von Zeit zu Zeit erklärte, sie wolle »keine Eroberungen«, oder sie wolle durch den Frieden »Deutschlands Zukunft sichern«, so nutzten solche allgemeinen Reden für die deutsche Außenpolitik gar nichts. Im vertrauten Kreise hat Bethmann-Hollweg manchmal die Notwendigkeit eines Sonderfriedens mit Frankreich und Rußland betont14. Aber seine Handlungen und öffentlichen Erklärungen haben zumindest den Frieden mit Rußland unmöglich gemacht.

      Die politische Hilflosigkeit der Reichsregierung hätte vielleicht durch Vorschläge oder eine Initiative aus dem Volke heraus überwunden werden können. Aber dazu fehlte die wichtigste Voraussetzung: Dem Volke war die wirkliche Kriegslage unbekannt. Das lag nicht an den deutschen Heeresberichten. Über die seltsamen Heeresberichte der Periode Moltke-Stein ist schon das Nötige gesagt worden. Aber unter den folgenden Heeresleitungen, Falkenhayn und Ludendorff, von Ende September 1914 bis zum Ende des Krieges sind die Tagesberichte durchaus sorgfältig und zuverlässig gewesen. Sie enthielten das, was Berichte dieser Art bieten können, nämlich Angaben, wo die Front lief und was an wichtigsten Ereignissen geschehen war. Aber das eigentlich Entscheidende über die Kriegslage kann man in die Tagesberichte nicht hineinschreiben: Die eigene Truppenstärke im Verhältnis zum Feinde, die beiderseitigen Reserven und die strategische Gesamtlage. Über diese wirkliche Kriegssituation hat das deutsche Volk, einschließlich der Parlamentarier15, nichts erfahren. Die Kriegslage war bekannt: am Hof, bei der Obersten Heeresleitung und allenfalls beim Reichskanzler. Damit hörte der Kreis der Wissenden auf.

      Die Irreführung der deutschen Öffentlichkeit wurde durch den Umstand verstärkt, daß die deutschen Truppen überall in Feindesland standen und wichtige Gebiete besetzt hielten. Das Objekt der Kriegführung ist das feindliche Heer und nicht der feindliche Boden. Sieger ist, wer das feindliche Heer vernichtend schlägt. Wo die Schlacht stattfindet, ist militärisch gleichgültig. Es gab zum Beispiel einen Plan des alten Moltke für einen deutsch-französischen Krieg, wonach er die Franzosen nach Deutschland hereinlassen und bei Frankfurt am Main entscheidend schlagen wollte16. Der Zufall der militärischen Operationen hatte 1914 und 1915 das deutsche Heer nach Belgien und Polen geführt. Bei einem Umschwung der sehr zweifelhaften Kriegslage konnten die deutschen Truppen genötigt werden, diese Länder wieder zu räumen. Die Reichsregierung tat aber nichts, um das deutsche Volk auf den ganz unsicheren Charakter der sogenannten Eroberungen hinzuweisen. Weite Schichten des Volkes redeten sich ein, daß Deutschland nunmehr über die besetzten Gebiete verfügen könne.

      Diese Tauschung der Öffentlichkeit über die Kriegslage entsprang einer patriarchalischen Auf fassung des Verhältnisses von Regierung und Volk. In England herrschte während des Krieges rücksichtslose Offenheit über die Lage. Parlament, Presse und Volk erörterten die günstigen und die ungünstigen Momente völlig offen auf Grund klarer Informationen. Es wäre ebenso lächerlich gewesen, wenn das regierende englische Bürgertum vor sich selbst Geheimnisse gehabt hätte, wie wenn ein Kaufmann sich scheuen würde, Bilanz über seine Geschäftslage zu machen. Die deutsche Regierung dagegen hielt es für nötig, durch Schönfärbung die Stimmung ihrer Untertanen aufrechtzuerhalten. Sie fürchtete, daß beim Durchsickern der ungünstigen Tatsachen die staatliche Autorität leiden würde. Die deutsche Regierung benahm sich wie ein sorgenvoller Familienvater, der seiner Frau und den Kindern nicht erzählen will, wie unsicher seine geschäftliche Zukunft ist. Noch seltsamer als das Schönfärben der militärischen Lage ist es, daß das deutsche Volk auch über seine Gesundheitslage im Kriege nichts erfahren durfte17. Daß die Hungerblockade viele tausende Todesopfer in der Zivilbevölkerung kostete, wurde verschwiegen. Statt dessen wurde offiziös versichert, daß die knappe Kriegsnahrung gesundheitlich auch ihre Vorteile hätte. Eine volkstümliche, die Massenpsychologie verstehende Regierung hätte statt dessen die Totenzahlen der Hungerblockade an jeder Straßenecke anschlagen lassen, wenn sie die Erbitterung gegen den Feind und die verzweifelte Kampfesstimmung steigern wollte. Wie hat man in England die Zeppelinangriffe auf englische Städte ausgenutzt, um die Kriegsstimmung aufzupeitschen!

      Die Unkenntnis des deutschen Volkes von der wirklichen Kriegslage spiegelte sich in der Art und Weise wider, wie die einzelnen Schichten den Krieg beurteilten und wie sie ihn beendet wissen wollten. Die deutsche Industrie hoffte, daß ein guter Kriegsausgang ihre Rohstoffbasis verbreitern würde. Die Schwerindustrie insbesondere verfolgte den deutschen Vormarsch durch Belgien und Nordfrankreich mit ihren Hoffnungen. Die Kohle- und Eisengebiete von Luxemburg, von Belgien und von Longwy-Briey sollten unter deutsche Kontrolle kommen. So verlangte die Industrie in Eingaben und Anregungen an die Regierung die Annexion von Longwy-Briey und die Annexion, oder doch mindestens die wirtschaftliche Herrschaft Deutschlands über Belgien. Die deutschen Industriellen verfolgten also im Kriege dieselbe Taktik wie im Frieden. Vor 1914 hatten die einzelnen großen Firmen die deutsche Regierung gedrängt, ihre auswärtigen Unternehmungen mit der Macht des Reiches zu unterstützen. Jetzt drängte man die Regierung, möglichst viel von den industriellen Kriegswünschen zu verwirklichen. Hätte eine bürgerliche Industriepartei selbst die Regierung Deutschlands gebildet, so hätte sie auch die Verantwortung für die Verwirklichung ihrer Wunsche gehabt und hätte sich sehr sorgfältig gefragt, was von ihren Plänen durchführbar sei. Unter der kaiserlichen Verfassung jedoch konnten die industriellen Verbände, von keiner Verantwortung gehemmt, Eingaben schreiben. Die Erlangung dieser Objekte war Sache der Regierung.

      Während die Industrie im Westen ihre Basis erweitern wollte, hatte der preußische Grundbesitz ähnliche Pläne für sich im Osten. Man wollte in den dünnbevölkerten Agrarländern Kurland und Litauen Siedlungsland für die jüngeren Söhne der deutschen Landwirte gewinnen. Man suchte Verbindung mit dem deutschbaltischen Adel der russischen Ostseeprovinzen. So sollte durch eine Gebietserweiterung nach Nordosten hin die agrarisch-aristokratische Regierungsschicht Preußens Verstärkung bekommen. Ein Teil der preußischen Konservativen zog freilich den Sonderfrieden mit dem russischen Kaisertum solchen Projekten vor.

      Bei den politischen Machtverhältnissen in Deutschland war es besonders wichtig, welche Wünsche zur strategischen Sicherung der Generalstab und die Marineleitung hatten. Leitende Generale waren der Ansicht, daß vor allem die Industriegebiete Deutschlands im Westen bisher zu nah an der Grenze lagen. Zur besseren Sicherung des deutschlothringischen Industriebezirkes müsse ein Streifen französischen Landes erworben werden, und zur Deckung des Rheinlandes müsse mindestens Lüttich deutsch werden. Noch besser sei es, wenn ganz Belgien unter deutschem Einfluß bleibe. Im Osten wünschten die militärischen Stellen eine bessere Grenzsicherung für Oberschlesien, Ost- und Westpreußen, also die Abtretung von russisch-polnischem Gebiet an Deutschland. Man sieht, daß die militärischen Kriegsziele in weitem Umfang mit den industriellen übereinstimmten. In dem Gebietsstreifen, den die Generale zur Sicherung Lothringens forderten, lag gerade Longwy-Briey, und ebenso deckten sich die militärischen und die industriellen Forderungen in bezug auf Belgien. Auch die Marine drängte darauf, daß Deutschland die Kontrolle über Belgien behalte: Denn nur wenn Deutschland die Herrschaft über die flandrische Küste behaupte, könne es mit Hilfe von U-Booten usw. England in Schach halten.

      Durch Zusammenlegung all dieser Kriegsziele der Industrie, des Großgrundbesitzes, der militärischen und Marinesachverständigen entstand ein einheitliches

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