Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg eva digital

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jeder Einzelverfügung eines jeden Kommandierenden Generals einverstanden gewesen sein wird, alle wesentlichen politischen Entscheidungen hatte der Reichskanzler dennoch in der Hand. Das zeigte sich besonders klar im Jahre 1916 beim Streit um den unbeschränkten U-Boot-Krieg10. Die Marine, an der Spitze der Staatssekretär von Tirpitz, war für die unbeschränkte Einsetzung der U-Boote. Der Generalstabschef von Falkenhayn schloß sich mit militärischen Gründen der Forderung der Marine an. Bethmann-Hollweg war entgegengesetzter Meinung, aus Rücksicht auf Amerika. Wilhelm II entschied zugunsten des Reichskanzlers, und Tirpitz nahm seinen Abschied. Die Erschütterung der Stellung Bethmann-Hollwegs kam erst im Gefolge der einschneidenden Veränderungen, als die Oberste Heeresleitung Hindenburgs und Ludendorffs ihr Amt antrat.

      Innerpolitisch war Bethmann-Hollweg davon überzeugt, daß er den Krieg ohne und gegen die organisierte Arbeiterschaft nicht führen könne. So suchte er im Reichstag die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten aufrechtzuerhalten. Die sozialdemokratischen Führer hatten beim Reichskanzler jetzt eine ähnliche Vertrauensstellung wie die Zentrumsführung im Frieden. Wie vor 1914 die Zustimmung von Spahn notwendig war, damit die Reichsmaschine ohne äußere Reibung funktionierte, so suchte Bethmann-Hollweg jetzt die Fühlung mit Scheidemann11. Zwar hat die Sozialdemokratie von Bethmann-Hollweg nichts weiter als wohlwollende Worte und Versprechungen für die Zukunft erhalten. Aber schon dies genügte, um das Mißtrauen der militärischen Aristokratie und der Industrie zu erwecken, die sich um so unsicherer fühlten, je länger der Krieg dauerte. Bald nach Kriegsausbruch zeigte sich eine gewisse Mißstimmung der Konservativen und Nationalliberalen gegen Bethmann-Hollweg. Als dazu der Streit um die Kriegsziele kam, verwandelte sich das Mißtrauen in erbitterte Feindschaft.

      Alle Klassengegensätze, wie sie an sich im modernen Europa vorhanden sind und wie sie in Deutschland die besondere Verfassungsund Kriegslage verschärfte, brachen in dem Streit um die Kriegsziele hervor. So ist die Frage der Kriegsziele die zentrale Frage der deutschen Innen- und Verfassungspolitik im Kriege geworden. Wilhelm II. und Bethmann-Hollweg hatten den Krieg nicht gewollt und nicht vorbereitet. Deshalb gingen sie ohne ein klares politisches Ziel in den Krieg hinein, und sie haben im Verlauf der langen Kriegsjahre sich auch kein klares Kriegsziel gebildet. Das Urteil über den Krieg und seinen Zweck hing davon ab, wie sich Deutschland zu den drei feindlichen Großmächten in Europa künftig stellen würde.

      Über das Ziel eines kommenden deutsch-französischen Krieges hatte sich Bismarck in den achtziger Jahren dahin geäußert, daß eine weitere Schwächung Frankreichs nicht im Interesse Deutschlands liege. Er, Bismarck, würde den Franzosen nach der ersten gewonnenen Schlacht den Frieden anbieten, und zwar einen Frieden, wie ihn Preußen mit Österreich 1866 geschlossen hat, das heißt einen Frieden ohne Schädigung Frankreichs und ohne Verlangen nach Landabtretung (s.o.S.32). Hätte Bethmann-Hollweg im Geist Bismarcks gehandelt, so hätte er um den 1. September 1914 den Franzosen einen solchen Frieden angeboten. Ob Frankreich darauf eingegangen wäre, ist heute mit Sicherheit nicht festzustellen. Immerhin hätte vor der Marneschlacht ein solcher großzügiger deutscher Vorschlag gewisse Aussichten gehabt. Denn die Stimmung in Frankreich war damals, infolge der Niederlagen und des Vormarsches der Deutschen auf Paris, sehr gedrückt, und die Hilfe des kleinen englischen Landheeres fiel in jenen Tagen nur wenig ins Gewicht. Die Aussichten auf einen deutsch-französischen Sonderfrieden sanken, als die Marneschlacht die Wendung in der Kriegslage brachte und als das englische Millionenheer in Frankreich aufmarschierte, wodurch Frankreich auch in seinen Kriegszielen in größere Abhängigkeit von England geriet.

      Friedrich Engels empfahl ebenfalls den deutschen Sozialdemokraten, darauf zu dringen, daß Deutschland nach den ersten militärischen Siegen den Franzosen den Frieden anbiete. Bei dieser Gelegenheit solle Deutschland, um sich endgültig mit Frankreich zu verständigen, den Franzosen eine Lösung der elsaß-lothringischen Frage vorschlagen, entweder durch Volksabstimmung in Elsaß-Lothringen, oder durch Rückgabe von Metz und seiner französisch sprechenden Umgebung an Frankreich12. Es ist wichtig, daß Engels diese Konzession nach einem deutschen Sieg vorschlägt, als ein ohne Zwang gemachtes Zugeständnis im Interesse der internationalen Stellung Deutschlands. Was das deutsche Kriegsziel gegenüber Frankreich betrifft, sind in der Grundidee Bismarck und Engels, also die beiden stärksten politischen Köpfe Deutschlands seit 1870, einig. Das gibt ihrer Auffassung eine nicht unwesentliche Autorität.

      Um so stärker weichen voneinander, wenigstens scheinbar, Bismarck und Engels in den Kriegszielen nach Osten ab. Bismarck hat immer wieder die Ansicht vertreten, daß Deutschland das große russische Reich, auch bei einem vollständigen militärischen Sieg, nicht vernichten könne. Es sei absurd, wenn Deutschland einen Landgewinn auf Kosten Rußlands suche. Deutschland müsse vermeiden, daß aus Rußland ebenso ein revanchelüsterner Gegner würde, wie es Frankreich seit 1871 sei. Aus solchen Erwägungen heraus hätte Bismarck sich unbedingt bemüht, aus dem deutsch-russischen Krieg so schnell wie möglich auf der Grundlage des Status quo herauszukommen. Engels dagegen empfahl den deutschen Sozialdemokraten, den Krieg mit Rußland »revolutionär«, mit dem Endziel der russischen Revolution zu führen. Deutschland solle sofort nach Kriegsausbruch an die Wiederherstellung Polens gehen. Das neue Polen müsse aber, neben Russisch-Polen, auch Galizien und ein Stück von Preußisch-Polen erhalten, etwa einen Teil der Provinz Posen. Deutschland solle für die nationale Befreiung aller vom Zarismus unterdrückten Völker Westrußlands eintreten13.

      Wie man sieht, ist der Unterschied in der Ostpolitik von Bismarck und von Engels ungeheuer. Er beruht darauf, daß die beiden Staatsmänner sich ein ganz verschiedenes Deutschland denken. Für das kaiserliche Deutschland war die Wiederherstellung Polens ein ungeheuerer Fehler; denn dadurch wurde jede Verständigung mit dem zaristischen Rußland unmöglich. Wenn dagegen ein von der sozialistischen Arbeiterschaft geleitetes Deutschland die Revolution nach dem Osten trug, und im Verlaufe der Revolution lösten sich die Westprovinzen von Rußland los, so konnte deswegen ein neues »rotes« Rußland den deutschen Arbeitern keinen Vorwurf machen. Der Weltkrieg brachte nun aber die phantastische Situation, daß Bethmann-Hollweg und Wilhelm II. anscheinend das rote Barrikaden-Programm von Engels gegenüber dem Zarismus durchführten.

      Das reale Interesse Deutschlands hätte von 1914 bis 1916 erfordert, daß man so schnell wie möglich einen Status-quo-Frieden mit Rußland und Frankreich herbeiführte. Die Auseinandersetzung mit England war um so schwieriger. Denn das englische Bürgertum hatte den Krieg zum Anlaß genommen, um den deutschen Konkurrenten in den überseeischen Ländern restlos auszuschalten. Diesem Zweck sollte nicht nur die Besetzung der deutschen Kolonien dienen, sondern auch die Beschlagnahme des deutschen Eigentums im Ausland, die Liquidation der deutschen auswärtigen Firmen und die Zerschneidung aller deutschen kaufmännischen Verbindungen. Die Vernichtung des deutschen Wirtschaftskonkurrenten war das Ziel, in dem sich England mit den großen Dominions des Britischen Reiches traf. Es sei nur an die Rolle erinnert, die der australische Ministerpräsident Hughes bei der Inszenierung des Wirtschaftskrieges gegen Deutschland spielte. Um dieses wirtschaftliche Ziel zu erreichen, mußte England die politische und militärische Macht Deutschlands brechen. So wird Englands Hauptziel im Kriege die Vernichtung des deutschen »Militarismus«, das heißt die Auflösung des deutschen Heeres und der deutschen Flotte. Demgegenüber waren einzelne territoriale Veränderungen in Europa für die englischen Staatsmänner ziemlich gleichgültig.

      Zu einem Verzicht auf sein großes hauptsächliches Kriegsziel wäre England nur zu bringen gewesen, wenn es sich einem starken, geschlossenen europäischen Kontinent gegenübergesehen hätte. Eine solche europäische kontinentale Verständigung war aber nur zu erzielen, wenn Deutschland jetzt unter dem Donner der Kanonen die Fehler wieder gutmachte, die von der kaiserlichen Politik seit 1890 begangen worden waren. Man mußte, wenn auch unter Opfern, die Verständigung mit Frankreich und Rußland erzielen, um dann England zu zwingen, daß es für die kontinental-europäischen Völker den freien Wettbewerb in den überseeischen Gebieten zuließ. Die Möglichkeit für Deutschland, sich weltwirtschaftlich wie die anderen Völker zu betätigen, lag ebenso im Interesse des deutschen Bürgertums wie der deutschen Arbeiter. Die breiten Schichten des deutschen Volkes empfanden, daß England der Hauptgegner im Kriege sei.

      Die

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