Der Geist des Llano Estacado. Karl May
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Читать онлайн книгу Der Geist des Llano Estacado - Karl May страница 5
„Wenn er ihnen seinen ganzen Lebenslauf erzählt hat, nein.“
„Wovon lebt Fox denn eigentlich?“
„Hm! Er bringt mir zuweilen einige Nuggets. Daraus schließe ich, dass er irgendwo einen kleinen Goldfund gemacht hat.“
„Das will ich ihm gönnen, zumal er ein Deutscher zu sein scheint. Es muss schrecklich sein, nich zu wissen, unter dem wie vielten Äquator die erschte Lebenswiege der betreffenden Persönlichkeit gestanden hat.“
In diesem Augenblick trat Bloody-Fox wieder aus dem Haus und kam auf die beiden zu. Er sah noch ernster aus als vorher und wandte sich an Helmers: „Das ist ja schrecklich, was mir da Wallace berichtet! Ich kann jetzt nur an die armen Menschen denken, die im Llano Estacado ermordet wurden.“
„Menschen sind ermordet worden?“, fragte der gutmütige Hobble-Frank voller Mitleid. „Im Llano? Wann denn?“
„Das weiß man nicht. Sie sind vor über acht Tagen von hier fort, aber nicht jenseits der Wüste angekommen. Folglich sind sie zu Grunde gegangen.“
„Vielleicht doch nicht. Sie werden wohl in anderer Richtung geritten sein, als sie ursprünglich beabsichtigten.“
„Gerade das ist es ja, was ich befürchte. Von hier aus ist es nur in einer einzigen Richtung möglich, über die Plains zu gelangen. Diese Strecke ist ebenso gefährlich wie zum Beispiel die Sahara oder die Wüste Gobi. Es gibt im Llano Estacado keine Brunnen, keine Oasen und auch keine Reitkamele, die viele Tage lang zu dürsten vermögen. Das macht diese Strecke so fürchterlich, obgleich sie kleiner ist als die große afrikanische oder asiatische Wüste. Es gibt keinen gebahnten Weg. Deshalb hat man die Richtung, wohin der Ritt allein möglich ist, mit Pfählen abgesteckt, wovon die Wüste ihren Namen hat. Wer über diese Pfähle hinaus gerät, der ist verloren. Er muss den Tod des Verschmachtens sterben. Hitze und Durst verzehren ihm das Hirn. Er verliert die Fähigkeit des Denkens und reitet so lange im Kreis herum, bis sein Pferd unter ihm zusammenbricht und er nicht weiter kann. Es gibt nur sehr wenige, die den Llano so genau kennen, dass sie sich auch ohne Pfähle zurechtzufinden vermögen. Aber wie nun, wenn von Mordbuben die Pfähle falsch gesteckt werden?“
„Das wäre ja teuflisch!“, fuhr Frank entsetzt auf.
„Gewiss“, fiel Helmers ein, „und dennoch kommt es vor. Es gibt Verbrecherbanden, deren Mitglieder die Pfähle aus der Erde ziehen und in falscher Richtung wieder befestigen. Wer ihnen nun folgt, ist verloren. Die Pfähle hören plötzlich auf und der Reiter sieht sich inmitten des Verderbens und kann keine Rettung mehr finden.“
„So reitet er längs der Pfähle zurück!“
„Dazu ist’s zu spät, denn er ist bereits so tief im Estacado, dass er das Grasland nicht mehr zu erreichen vermag. Die Räuber brauchen ihn gar nicht zu töten. Sie warten einfach, bis er verschmachtet ist, und rauben dann seinen Leichnam aus. So ist es bereits oft geschehen.“
„Aber kann man die Kerle denn nicht unschädlich machen?“
Als Helmers gerade antworten wollte, wurde seine Aufmerksamkeit durch einen Mann in Anspruch genommen, der soeben langsam um die Ecke des Hauses kam. Er war ganz in schwarzes Tuch gekleidet und trug ein kleines Bündel in der Hand. Seine lange Gestalt war schmal und engbrüstig, sein Gesicht hager und spitz. Der hohe Klapphut, der ihm tief im Nacken saß, gab ihm, zumal er eine Brille trug, im Verein mit dem dunklen Anzug das Aussehen eines Geistlichen.
Er trat mit eigentümlich schleichenden Schritten näher, griff leicht an den Rand seines Hutes und grüßte: „Good day, Mesch’schurs[2]! Komme ich hier richtig zu John Helmers Esquire?“
Helmers betrachtete den Mann mit einem Blick, aus dem zu ersehen war, dass er kein großes Wohlgefallen an ihm fand, und antwortete: „Helmers heiße ich, ja, aber den Esquire könnt Ihr getrost weglassen. Ich bin weder Friedensrichter, noch liebe ich überhaupt dergleichen Bemerkungen. Das sind doch nur faule Äpfel, mit denen sich ein Gentleman nicht gern bewerfen lässt. Da Ihr meinen Namen kennt, darf ich vielleicht auch den Eurigen erfahren?“
„Warum nicht, Sir! Ich heiße Tobias Preisegott Burton und bin Missionar der Heiligen der letzten Tage.“
Der Fremde sagte das in einem selbstbewussten und salbungsvollen Ton, der aber nicht den beabsichtigten Eindruck auf den Farmer machte, denn Helmers meinte achselzuckend „Ein Mormone seid Ihr? Das ist keineswegs eine Empfehlung für Euch. Ihr nennt euch die Heiligen der letzten Tage. Das ist anspruchsvoll und überheblich, und da ich ein bescheidenes Menschenkind bin und für Eure Selbstgerechtigkeit keinen Sinn habe, so wird es am besten sein, Ihr schleicht in Euern frommen Missionsstiefeln sogleich weiter. Ich dulde keinen Seelenkäufer hier im Settlement.“
Das war sehr deutlich, ja sogar beleidigend gesprochen. Burton aber behielt seine verbindliche Miene bei, griff abermals höflich an den Hut und entgegnete: „Ihr irrt, Sir, wenn Ihr meint, dass ich beabsichtige, die Bewohner dieser gesegneten Farm zu bekehren. Ich spreche bei Euch nur vor, um mich auszuruhen und meinen Hunger und Durst zu stillen.“
„So! Na, wenn Ihr nur das wollt, so sollt Ihr haben, was Ihr braucht, vorausgesetzt natürlich, dass Ihr bezahlen könnt. Hoffentlich habt Ihr Geld bei Euch!“
Helmers überflog die Gestalt des Fremden abermals mit einem scharfen, prüfenden Blick und verzog dann das Gesicht, als habe er etwas wenig Angenehmes gesehen. Der Mormone hob den Blick gen Himmel, räusperte sich und erklärte: „Zwar bin ich keineswegs übermäßig mit Schätzen dieser sündigen Welt versehen, aber Essen, Trinken und ein Nachtlager kann ich doch bezahlen. Freilich hatte ich nicht auf eine solche Ausgabe gerechnet, da mir gesagt wurde, dieses Haus sei äußerst gastlich.“
„Ah! Von wem habt Ihr denn das erfahren?“
„Ich hörte es in Taylorsville, woher ich komme.“
„Da ist Euch die Wahrheit gesagt worden. Aber man scheint vergessen zu haben, hinzuzufügen, dass ich unentgeltliche Gastfreundschaft nur an solchen Leuten übe, die mir willkommen sind.“
„So ist das bei mir wohl nicht der Fall?“
„Nein, durchaus nicht.“
„Aber ich habe doch nichts getan.“
„Möglich. Doch wenn ich Euch genau betrachte, ist es mir, als könne von Euch nur Unangenehmes geschehen. Nehmt es mir nicht übel, Sir! Ich bin ein aufrichtiger Kerl und pflege einem jeden offen zu sagen, was ich von ihm denke. Euer Gesicht gefällt mir nicht.“
Selbst jetzt tat der Mormone nicht, als fühle er sich beleidigt. Er griff zum dritten Mal an den Hut und sagte in mildem Ton: „Es ist in diesem Leben das Schicksal der Gerechten, verkannt zu werden. Ich kann nichts für mein Gesicht. Wenn es Euch nicht gefällt, so ist das nicht meine Schuld.“
„Aber sagen braucht Ihr es Euch nicht zu lassen! Es gehört ein großer Mangel an Ehrgefühl dazu, so etwas ruhig hinzunehmen. Übrigens will ich Euch gestehen, dass ich gegen Euer Gesicht an und für sich eigentlich nichts habe. Nur die Art und Weise, wie Ihr es in der Welt herumtragt, die behagt mir nicht. Und sodann kommt es mir vor, als sei es gar nicht Euer wirkliches Gesicht. Ich vermute, dass Ihr eine ganz