Ellenbogenfreiheit. Daniel C. Dennett
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Von meiner schwankenden Loyalität gegenüber dem Ausdruck „freier Wille“ einmal abgesehen, würde ich auch heute keine der substantiellen Thesen und Argumente aus Ellenbogenfreiheit widerrufen wollen. Im Gegenteil bin ich der Meinung, dass das Buch auch zur gegenwärtigen Diskussion maßgebliche Beiträge liefert. Zum Beispiel glaube ich, dass ich der erste Philosoph war, der die Kontrolltheorie und ihre verkürzte Konzeption der Autonomie in die Untersuchung eingeführt hat. Auch habe ich meines Wissens als Erster die Bedeutung des deterministischen Chaos als völlig akzeptablen Ersatz für den indeterministischen Zufall diskutiert. Jüngere Debatten über diese Themen legen keine Revision meiner Theorien nahe. Ich glaube auch, dass meine Diskussion von Austins Putt und seiner fälschlichen Betonung der „Verhältnisse, wie sie nun einmal waren“,2 wiederaufgenommen und weitergeführt von Christopher Taylor und mir3, außerdem in Freedom Evolves, einen unwiderlegten und unwiderlegbaren Einwand gegen die zentralste Annahme enthält, die Philosophen und andere bezüglich des Determinismus und der Fähigkeit, „anders handeln zu können“, machen. Es ist einfach nicht von Bedeutung, ob Sie unter exakt denselben Bedingungen immer dasselbe tun würden oder nicht, und diejenigen, die darauf beharren, dass es sehr bedeutsam sei (dass es, kurz gesagt, wichtig sei, ob unsere Welt deterministisch oder indeterministisch ist), schulden uns allen ein Argument dafür, warum das so ist. Wir führen unser Leben voller Hoffnung und Strebsamkeit, Freude und Bedauern, Lob und Tadel. Was am Indeterminismus würde irgendetwas davon gestatten, und was am Determinismus würde irgendetwas davon untergraben? Ich warte immer noch auf eine überzeugende Antwort auf diese Herausforderung.
Ich beginne Ellenbogenfreiheit mit der Ermahnung „Bitte keine Schreckgespenster“ und hebe damit hervor, dass Philosophen dazu neigen, sich düstere Szenarien auszumalen, um ihre Positionen über den freien Willen zu „motivieren“: den gebieterischen Puppenspieler, den ruchlosen Neurochirurgen, das unglaublich schrumpfende Selbst und vieles andere. Die Panikmache ist zumeist ungerechtfertigt, was an den übersehenen Unterschieden zwischen unseren Umständen und den in jenen fürchterlichen Szenarien beschriebenen liegt. Meine Mahnung hat sicherlich ihr Ziel nicht erreicht. In den letzten Jahren sind neue Wellen von Neurochirurgen und Puppenspielern sowie verschwindenden Selbsten ersonnen worden, um die Argumente zu (miss)illustrieren. Vielleicht vermag diese Neuauflage von Ellenbogenfreiheit die Rolle einer Kontrollleuchte zu spielen. Sie kann den Werbern „neuer“ Perspektiven auf dieses Thema anzeigen, dass ihre Ideen nicht nur alte Hüte sind, sondern bereits widerlegte alte Hüte. Wie dem auch sei, ich bin gespannt, ob mein Buch neue Leser von seinen zentralen Schlussfolgerungen überzeugen kann, nun, da wir so viel mehr erhellendes Wissen über die darin diskutierten Themen angehäuft haben.
Literaturangaben
Dennett, D. (2010). „My Brain Made Me Do It: When Neuroscientists Think They Can Do Philosophy“, Max Weber Lecture Series, Europäisches Universitätsinstitut Florenz, unveröffentlichtes Manuskript.
Dennett, D. (2012). „Reflections on Free Will“, Free Press; seit Januar 2014 auch online unter: www.naturalism.org.
Taylor, C. und D. Dennett (2002). „Who’s Afraid of Determinism? Rethinking Causes and Possibilities“, in: The Oxford Handbook of Free Will, hrsg. von R. Kane, Oxford, S. 257-277.
Taylor, C. und D. Dennett (2010). „Who’s Still Afraid of Determinism? Rethinking Causes and Possibilities“, in: The Oxford Handbook of Free Will, hrsg. von R. Kane, 2. Aufl., Oxford, S. 221-241.
1 Meine jüngsten veröffentlichten Diskussionen des Themas finden sich alle auf meiner Internetseite: http://ase.tufts.edu/cogstud/dennett/recent.html. Siehe auch: Dennett 2010; „Erasmus: Manchmal liegt ein Spindoktor richtig“, in diesem Band; und meine Rezension des Buches „Free Will“ von Sam Harris aus dem Jahr 2012.
2 In diesem Band, S. 187.
3 Taylor und Dennett 2002 und 2010.
Erasmus: Manchmal liegt ein Spindoktor richtig*
Vor etwa 500 Jahren gab es eine bedeutsame Debatte zwischen Martin Luther und Desiderius Erasmus über Willensfreiheit. Luthers Text Assertio (Behauptung) von 1520 wurde erwidert von Erasmus’ Gespräch oder Unterredung über den freien Willen aus dem Jahre 1524, gefolgt wiederum von Luthers Vom unfreien Willen von 1525. Damals stand sie im Zentrum der intellektuellen Aufmerksamkeit in Europa, aber zu meiner Studienzeit gehörte sie nicht mehr zur Pflichtlektüre, und ich muss zugeben, im Laufe meiner Forschungen über den freien Willen habe ich sie nicht gelesen, bis vor kurzem, als ich eingeladen wurde, einen Aufsatz – diesen Aufsatz – über Erasmus zu schreiben. Für diese Einladung bin ich besonders dankbar, weil sie mir die Augen öffnete für einige unerwartete Parallelen zu einer Debatte zum selben Thema, in die ich zurzeit verwickelt bin und in der ich auf Erasmus’ Seite stehe, wenn auch unter ganz anderen Prämissen. Zu meiner Überraschung und Freude entdeckte ich, dass die Luther/Erasmus-Debatte, wenn ich sie mit einem halben Jahrtausend Abstand betrachte, meine Sicht auf die gegenwärtigen Auseinandersetzungen korrigiert und bereichert hat.
Luther argumentierte, wie Sie sich erinnern, lebhaft für die These, dass Menschen keinen freien Willen haben, ja gar nicht haben könnten, und dass sie daher auch keine Erlösung verdienten für irgendwelche guten Werke, die sie vollbracht haben, da alle ihre Taten letztlich durch Gottes Schöpfung bestimmt seien. Wir seien lediglich die Werkzeuge Gottes und sollten aus diesem Grunde für das, was wir tun, nicht gelobt oder belohnt werden. Erasmus beunruhigten diese Thesen zutiefst, die seiner Meinung nach menschliches Streben generell untergraben, so dass er kunstvoll eine Verteidigung der Willensfreiheit entwickelte, die sorgsam zwischen den verschiedenen durch die Heilige Schrift geschaffenen Hindernissen hindurchnavigierte, wobei er sich derjenigen Stellen in der Bibel bediente, die (nach seiner Interpretation) behaupteten oder darauf hinausliefen, dass wir einen freien Willen haben. Die Heilige Schrift war die einzige Autorität – abgesehen von der Vernunft selbst –, auf die sich Luther und Erasmus beriefen. (Die Wissenschaft war im Entstehen begriffen, aber noch lange nicht am Horizont sichtbar: Kopernikus machte astronomische Beobachtungen und sprach über seine Idee des Heliozentrismus, aber es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis er seinen revolutionären Traktat Über die Umschwünge der himmlischen Kreise veröffentlichte. Wie Stephen Greenblatt in seinem brillanten Essay im New Yorker1 zeigt, hatte die Wiederentdeckung des antiken, aber erstaunlich modernen protowissenschaftlichen Gedichtes Über die Natur der Dinge von Lukrez im Jahre 1417 den epikureischen Atomismus wiederaufleben lassen, samt den zufälligen Abweichungen der Atome (atomic swerve), die uns angeblich einen freien Willen zugestehen. Diese subversiven Ideen fanden in den folgenden Jahrhunderten immer mehr Verbreitung, wurden jedoch ebenso schnell von der Kirche verurteilt und unterdrückt und werden in der Debatte zwischen Erasmus und Luther, die sicherlich beide mit ihnen vertraut waren, mit keinem Wort gewürdigt.)
Heutzutage erklären einige prominente Neurowissenschaftler und Psychologen sowie ein paar freimütige