Auf den Spuren des Doppeladlers. Helmut Luther

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Auf den Spuren des Doppeladlers - Helmut Luther

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der Freund mit dem Motorrad außen herum über die Passstraße – habe er ein teures Schweizer Messer gesetzt, erzählt Jellici. »Ich habe knapp verloren.« Sein heutiges Ziel ist das Hotel La Romantica. Seniorchefin Mirella ist leider nicht da. »Wahrscheinlich mit dem Liebhaber unterwegs?«, fragt Jellici den Junior, einen stämmigen Kerl, von dem wir uns einen Sprizz auf der Terrasse spendieren lassen. Mit Blick über das Tal klappt Giorgio Jellici das Buch auf, das er über Richard Löwy geschrieben hat. Darin ist das Schwarzweißfoto einer jungen Frau mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren zu sehen. Auf einem Stuhl sitzend, schmiegt sie ihr schönes, schmales Gesicht an das eines Knaben. Jellici blättert weiter bis zu einem Foto, das den feschen Richard Löwy in Offiziersuniform zeigt: »Sieht man doch, dass der Knabe auf dem Bild vorhin, er heißt Alberto und ist der Vater von Mirella, dem Ingenieur Löwy aus dem Gesicht geschnitten ist, oder?«, fragt Jellici. Der Vater der heutigen Seniorchefin des Hotels war also Richard Löwys unehelicher Sohn. Die junge Frau auf dem Bild ist Diomira Redolf. Ihr Sohn Alberto kam 1917 zur Welt – alle wussten von Löwys Vaterschaft. »Er war der Schwarm aller Mädchen, wir armen Dorfjungen hatten gegen ihn keine Chance«, berichtete später ein Zeitzeuge. Kein Wunder, dass der elegante Offizier das schönste Mädchen eroberte. Während wir über das Dorf hinunterschauen, schüttelt Jellici seinen Kopf: »Heute ist das Fassatal ein Disneyland. Ich verstehe schon, dass sich die Armen aus den Mailänder Vorstädten hier wie im Paradies fühlen. Aber das Tal ist ruiniert. Hier herrscht heute die Großmannssucht.«

      Anschließend streife ich alleine durch das Dorf. Giorgio Jellici hat mir einige Adressen ins Notizbuch diktiert, Orte, wo die Löwys in den Jahren der Verfolgung ein schützendes Dach über dem Kopf fanden. Someda ist unstreitig der schönste Ortsteil von Moena, auf einem Sonnenplateau vielleicht hundert Höhenmeter über dem Avisio auf der anderen Talseite. »Nur wissen das leider viele Touristen nicht«, sagt dort die Seniorchefin der Pension Garni Sayonara, auf deren Terrasse ich einen Kaffee trinke. Rosa Tibolla, so heißt die ältere Dame, ist zum Plaudern aufgelegt. Ich zeige ihr Jellicis Buch über Löwy, darin gibt es ein Foto jenes Hauses in Someda, wo der Wiener Jude und seine Familie zuletzt gewohnt haben. Das Haus gebe es immer noch, »dort oben hinter dem Dorfbrunnen«, sagt die Wirtin. Da gerade keine anderen Gäste da sind, hängt sie einen »Komme gleich«-Zettel an die verglaste Tür ihres Lokales und begleitet mich die wenigen Schritte die Straße hinauf, vorbei an der Dorfkirche und dem steingemauerten Brunnen. Das Haus, das sie »La casa di Toni Ninzele« nennt, sieht mit der verwinkelten Außentreppe ins Obergeschoß beinahe unverändert aus wie auf dem alten Foto. »Ich selbst war nicht dabei, als an einem kalten Januarmorgen 1944 die deutschen Gendarmen die Treppe hinaufstürmten. Aber eine Nachbarin hat die Szene miterlebt«, erzählt Rosa Tibolla. Den Dorfbrunnen habe eine dicke Eisschicht bedeckt, so kalt sei es an jenem Morgen gewesen. »Als die verschreckten Juden die Treppe herunterkamen, sprang ihnen, laut bellend, Löwys Hund nach. Ein deutscher Gendarm, der die hintere Bordwand an der Ladefläche heruntergeklappt hatte, drehte sich um und schoss dem Hund mit seiner Pistole in den Kopf.«

      Viehwaggons transportierten die Löwys und Riesenfelds am 26. Februar 1944 nach Auschwitz – mit demselben Transport 08 erreichte auch Primo Levi die Mordfabrik. Im Gegensatz zum Chemiker aus Turin, der seine Erlebnisse später in ergreifenden Büchern schilderte, wurden die Löwys und Riesenfelds, alt und »arbeitsuntauglich« wie sie waren, gleich nach ihrer Ankunft vergast. Ganz sicher ist ihr Ende allerdings nicht. Denn Johanna, Richard Löwys Frau, so erzählt die Wirtin, hätte Dorfbewohnern damals versichert, dass sie als gelernte Apothekerin für alle Fälle vorsorgen würde. »In einem Schmuckstück versteckt, trug sie ein tödliches Gift mit sich. Sie wird im richtigen Moment entschlossen gehandelt haben.«

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