Auf den Spuren des Doppeladlers. Helmut Luther
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Im Nonstal dreht sich alles um den Apfel – früher wurden Bittgänge zur Muttergottes des Apfels abgehalten.
Der steirische Prinz und die Bürgerstochter
Schenna, Südtirol
Fortschrittlich, inspiriert von den Ideen der Aufklärung, der Hofkamarilla ein Dorn im Auge: Erzherzog Johann war ein schwarzes Schaf in der Familie der Habsburger. Seine Liebesheirat mit der Postmeisterstochter Anna Plochl hat ihn zum Märchenprinzen gemacht.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass einen der Schlossherr persönlich durch sein Reich führt. Franz Graf Spiegelfeld, kräftige Statur, blaue Augen und eine eckige Brille, ist sich dafür nicht zu schade. Am Montag, wenn Schloss Schenna für Besucher gesperrt ist, habe er Zeit für eine Privatführung, bot mir Graf Spiegelfeld per E-Mail an. »Um halb zehn Uhr am Haupttor an der steinernen Brücke!« Da ich – wie immer – früher dran bin, drehe ich eine Runde durch das gleichnamige Dorf am Fuß von Schloss Schenna, wo sich Hotelklötze mit über die Balkone quellenden Geranien aneinanderreihen. Zurück beim Schloss, fallen mir im zugeschütteten Graben unter der steinernen Bogenbrücke knorrige Apfelbäume mit winzigen rotbackigen Äpfeln auf. Ein Mann, den ich zunächst für den Gärtner halte, sammelt die heruntergefallenen Früchte in einem runden Kunststoffeimer. »Daraus machen wir naturtrüben Apfelessig – die einzige Möglichkeit, mich zum Salatessen zu bringen«, erklärt der Mann, nachdem er mich mit Handschlag begrüßt hat. Der »Gärtner« – Pardon, Graf Spiegelfeld – trägt kurze Hosen und klobige Bergschuhe. Sein honiggelbes Polohemd ist mit tintenfarbenen Flecken übersät. Der Graf hat nicht beim Salatessen gekleckert, er steckt mitten in der Holunderbeerenernte. »Wir sind Südtirols größte Holunderbauern«, sagt Franz Graf von Spiegelfeld – und klingt dabei ziemlich stolz.
Franz Graf Spiegelfeld und seine Gattin Johanna Gräfin Meran, Urururenkelin von Erzherzog Johann
Landwirtschaftliche Experimente sowie ein unkonventionelles Auftreten haben auf Schloss Schenna Tradition. Graf Spiegelfelds Vorgänger Erzherzog Johann, genauer: der Urururgroßvater seiner Frau Johanna Gräfin Meran, hatte Schloss Schenna gekauft. Im Mausoleum unter dem Schloss wurde der »steirische Prinz« begraben. Der Erzherzog habe auf den schlosseigenen Äckern neue Getreidesorten anpflanzen lassen, sagt Graf Spiegelfeld. »Er war der Lieblingsfeind des allmächtigen Metternich.« Über eine verwinkelte Steintreppe – »Bitt’ schön, nach Ihnen!« – lotst mich der Graf in ein Turmzimmer mit Butzenscheiben und einem barocken Kachelofen. Dort sitzen wir uns an einem massiven dunklen Holztisch gegenüber, wo der gebürtige Steirer Bücher und Broschüren über Erzherzog Johann und Schloss Schenna ausgebreitet hat. Gar zu luxuriös solle ich mir das Schlossleben nicht vorstellen, sagt Graf Spiegelfeld, »schon gar nicht 1845, als Erzherzog Johann es erwarb. Im Kaufvertrag ist von sechs beheizbaren Zimmern die Rede«. Wie Erzherzog Johann und seine Familie hierherkamen? »Da muss ich etwas ausholen«, sagt mein Gastgeber und lehnt sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, in seinem Stuhl zurück.
Als Johann Baptist Josef Fabian Sebastian wurde das 13. Kind – und neuntgeborener Sohn – des Großherzogs der Toskana Peter Leopold und Maria Ludovicas von Spanien 1782 in Florenz getauft. Pietro Leopoldo, wie sein Vater, der »aufgeklärte Fürst«, in Italien heißt, hat die Toskana in einen modernen Musterstaat verwandelt. 122 Jahre herrschten die Habsburger über das Herzogtum. Als Kaiserin Maria Theresia 1739 mit ihrem Gatten Franz Stephan in Florenz einzog, von der Bevölkerung auf einer Triumphpforte schmeichlerisch als »Mehrer der schönen Künste und Förderer des Handels« gerühmt, war der Glanz der Medici längst verblasst. Die Toskana war zu einem Armenhaus heruntergekommen. Peter Leopold trat seine Herrschaft 1765 an. Als Nachfolger seines Bruders Joseph II. sollte er 1790 als Leopold II. den Kaiserthron in Wien besteigen. – Zuvor jedoch führte er im Großherzogtum einige grundlegende Reformen durch: Er verzichtete auf ein stehendes Heer, schaffte die Binnenzölle ab, entsumpfte die malariaverseuchte Maremma, gewährte den Gemeinden eine autonome Verwaltung und zwang die Feudalherren, lastenfrei Land in Erbpacht an verarmte Bauern abzugeben. »Ich glaube, dass der Souverän … nur der Delegierte des Volkes ist«, erklärte er 1789, im Jahr der Französischen Revolution. Wenn der Herrscher nicht zum Wohl des Volkes wirke, sei dieses nicht mehr zu Gehorsam verpflichtet. Es muss also nicht verwundern, dass Johanns Taufpaten weder ein Kardinal noch ein Fürst waren, sondern ein namenloser Kapuzinerpater und ein Handwerker aus dem Stadtviertel Santa Felicità. Sohn Johann hat den Reformgeist seines Vaters geerbt. Die ersten acht Lebensjahre verbrachte er im Palazzo Pitti, wo Französisch und Italienisch gesprochen wurde. Deutsch und Latein kamen später hinzu. »Unaufhörliches Fortschreiten … des einzelnen, jedes Staatsvereines, der Menschheit« solle das Ziel jeder Herrschaft sein, erklärte der junge Prinz in seinem »Glaubensbekenntnis«. Vergleicht man diese Ideen mit der Haltung des älteren Bruders Franz, der 1792 als Kaiser Franz II./I. den Thron bestieg und sich selbst aufforderte: »Regiere und verändere nichts!«, könnte man leicht ins Grübeln geraten. Was hätte es für die Habsburger und die Welt bedeutet, wäre der jüngere Johann und nicht der Älteste, Franz, Kaiser geworden? »Er hasste das Hofleben und ließ sich im Schönbrunner Schlosspark einen ›Tirolergarten‹ mit einem hölzernen Bauernhaus errichten. Dieses möblierte er stilecht mit Bauernschränken, rundherum pflanzte er Alpenblumen«, erzählt Graf Spiegelfeld. Der Erzherzog habe zeitlebens zwischen zwei Welten gelebt: Hier die Hocharistokratie mit ihrem Hochmut und selbstverständlichen Privilegien. Dort die Welt der Bürger, Bauern und Senner, zu der es ihn hinzog. »Im Geist von Rousseaus ›zurück zur Natur‹ idealisierte Erzherzog Johann das einfache Leben«, meint Graf Spiegelfeld. Der Erzherzog habe Tirol und die Steiermark, wo er gewissermaßen im Exil lebte, aufrichtig geliebt. Die Zuneigung sei erwidert worden. Dieser Liebe auf Augenhöhe haben Tirol und die Steiermark sehr viel zu verdanken. Dass Johann außerdem über alle Standesschranken hinweg Anna Plochl, die Tochter eines Postmeisters, geheiratet hat, ließ ihn endgültig zum Märchenprinzen werden, zum Helden des Volksliedes und später des Kinos. In Geliebter Johann – Geliebte Anna mit Tobias Moretti als Erzherzog wurde der Stoff 2009 für das ZDF verfilmt. Dass er selbst gerne einen Lodenjanker trage, wie auch der selige Kaiser Franz Joseph I. und viele Standesgenossen, führt Graf Spiegelfeld auf das Vorbild Erzherzog Johanns zurück. »Er war ungeheuer populär. Heute würde man ihn einen Star nennen, einen Liebling der Klatschpresse.«
Bevor wir uns der Liebesgeschichte mit der Bürgerstochter widmen, müssen wir uns noch mit dem Soldaten, dem Politiker, Reformer und Intellektuellen beschäftigen, der sich für die Künste und Wissenschaften interessierte. Wir sind noch immer im Turmzimmer von Schloss Schenna. Mein Gastgeber hat mich ans Fenster geführt. Im Westen sieht man auf einem Moränenhügel Schloss Tirol, im Norden schlängelt sich die Passer als smaragdfarbener Wurm durch das Passeiertal: zwei Orte, denen sich der Erzherzog verbunden fühlte, sagt Spiegelfeld. Schloss Tirol ist die Stammresidenz der Grafen von Tirol, dort habe sich damals der älteste beinahe vollständig erhaltene gotische Flügelaltar des Alpenraumes befunden. Erzherzog Johann vermachte ihn als persönliches Geschenk dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck, das auf seine Initiative hin entstand. »Und da hinten im Passeiertal lebte Andreas Hofer, der Held des Tiroler Volksaufstandes von 1809, den Erzherzog Johann mit vorbereitete. Hier auf unserem Schloss hüten wir die größte private Andreas-Hofer-Sammlung.«