Auf den Spuren des Doppeladlers. Helmut Luther
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Das Agrarinstitut ist in einem aus dem Mittelalter stammenden Augustinerkloster untergebracht.
Das Buch hat mir Bibliotheksleiterin Alessandra Lucianer im Lesesaal des Instituts auf den Tisch gelegt. Viele der derzeit 900 Schüler stammten aus Bauernfamilien und sollten später den Betrieb übernehmen, erzählt Lucianer. »Zu Machs Zeiten standen die Alumni um 5 Uhr morgens auf. Nach der Messe, vor der sich keiner drücken konnte, gab es das Frühstück, danach bis Mittag Unterricht.« Am Nachmittag habe dann die Praxis im Vordergrund gestanden: Zum Institut gehörten unter anderem eine Käserei, ein Bauernhof sowie eine Korbflechterei. »14-Stunden-Tage waren die Regel, ohne Rückzugsmöglichkeiten in geschützte Privaträume«, sagt die Bibliothekarin. Ihr Büro und die Bibliothek befinden sich in einem modernen Zubau. Vor den Fenstern breiten sich Weinberge und weiter oben Buschwald aus. Blickt man nach Westen, erhebt sich dort das ehemalige Kloster mit den weiß gekalkten Rundtürmen sowie einer dem Erzengel Michael (San Michele) geweihten Kirche. »Um die Wahrheit zu sagen, ist es hier eher ein bisschen eng«, antwortet die Bibliothekarin auf meine Komplimente für den schönen Arbeitsplatz. Mehr Platz böten die Prunkräume; sie liegen drüben im alten Klostertrakt, wo zu Machs Zeiten die Lehrer und der Chef wohnten und heute der Direktor mit seinem Mitarbeiterstab unter Stuckdecken residiert. Mit Büchern und Broschüren im Arm, lotst mich Lucianer an einer Bronzebüste Edmund Machs vorbei. Flankiert ist die Büste von zwei wandhohen Massivholzschränken, in denen unter Glasbehältern Seidenzwirne ausgestellt sind: Hauchdünne weiße Fäden, Kette und Schuss, zu filigranen Geweben verarbeitet. Zu Edmund Machs Zeiten, erzählt Lucianer, war die Seidenindustrie im südlichen Tirol ein wichtiger Wirtschaftszweig. »Die Zöglinge lernten hier alles, von der Aufzucht der Raupen bis zur textilen Verarbeitung.«
Viel weiß man nicht über das Leben des ersten Institutsdirektors. In Band 5 des Österreichischen Biographischen Lexikons 1815–1950 ist dem »Agrikulturchemiker und Önologen« Edmund Mach eine knappe Seite gewidmet. Etwas länger ist der Nachruf, der zu seinen Ehren am 30. Mai 1901 in der einmal wöchentlich in Wien erscheinenden »Allgemeinen Wein-Zeitung« veröffentlicht wurde. »Am 24. des Monats«, heißt es da, sei der zum Hofrat ernannte Agronom »im kräftigsten Mannesalter verschieden«. Geboren wurde Edmund Mach am 16. Juni 1846 in Bergamo als Sohn eines k. u. k. Militärarztes. Vermutlich folgte die Familie den beruflichen Etappen des Vaters, die Mittelschule besuchte Edmund zuerst im nordböhmischen Leitmeritz und dann in Prag. In der böhmischen Hauptstadt begann er auch sein Studium am Polytechnikum, das er in Wien fortsetzte und bei so hervorragenden Chemikern wie Anton Schrötter von Kristelli abschloss. Nach ersten Assistentenstellen an verschiedenen Forst- und Landwirtschaftsakademien, Studienaufenthalten in Frankreich und Deutschland wurde Mach als »Adjunkt« an das noch junge Lehr- und Forschungszentrum für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg berufen. Die Begegnung mit deren Direktor, August Wilhelm Freiherr von Babo, sollte Machs Schicksal bestimmen. Nicht nur förderte ihn der Baron nach Kräften und bereitete auch den Karriereweg seines tüchtigen Assistenten vor, Edmund Mach wird auch seine Tochter Emilia Freiherrin von Babo heiraten. Die Tochter des Barons begleitete Mach 1873 nach San Michele. Dort hatte er die Aufgabe, nach dem Vorbild Klosterneuburgs eine landwirtschaftliche Lehranstalt aufzubauen, anfangs als provisorischer Leiter, ab 1875 als Direktor. Damals herrschte eine große Wirtschaftskrise, auch die Landwirtschaft lag darnieder. Seit der Jahrhundertmitte richtete der Rebmehltau große Schäden an. Hinzu kam die sich von Frankreich über Deutschland und Österreich verbreitende Reblauskatastrophe, gegen die kein Kraut gewachsen war, ganze Weinberge fielen ihr zum Opfer. Nach dem Vorbild seines Mentors von Babo leitete Mach die Bauern im Trentino dazu an, auf Unterlagen aus Nordamerika umzusatteln, die gegen die Reblaus resistent waren. »Mehltau und Peronospora konnten wirksam mit Schwefel und Kupfer bekämpft werden«, sagt Marco Dal Rì.
Ich habe den heutigen Institutschef um ein Treffen gebeten, um mehr über Edmund Mach und die Geschichte der Lehranstalt zu erfahren. Der Direttore empfängt mich in seinem holzgetäfelten Büro. An den Wänden hängen Schwarzweißbilder seiner Vorgänger, der erste in einer stattlichen Reihe ist Edmund Mach: An einem runden Holztisch sitzend, den Oberkörper nach vorn gebeugt, stützt er seine Wange in die Linke. Der Agronom hat dunkle, buschige Augenbrauen, das schon etwas lichte Haar ist ordentlich nach hinten gekämmt. Edmund Machs dunkler Anzug sitzt etwas knapp, der erste Direktor der Landwirtschaftsschule San Michele hat eine Statur, die man früher »kräftig« nannte. Sein Nachfolger Dal Rì, hager und asketisch, betont Machs Organisationstalent. Er habe erkannt, wie wichtig ein Zusammenschluss der Bauern zu Genossenschaften sei. »Die Kräfte zu bündeln, Kooperationen zu gründen, entspricht eigentlich nicht der Tradition dieses Landes – der Italiener misstraut dem Staat und öffentlichen Einrichtungen«, sagt Dal Rì. Und fügt hinzu, dass man das Genossenschaftswesen, die Verbindung von Unterricht, Forschung und landwirtschaftlicher Praxis, wie in San Michele bestens bewährt, als habsburgisches Erbe ansehen könne. »In Italien ist dieses Modell noch immer einzigartig!« Fortschrittlich sei Mach auch hinsichtlich der Unterrichtsorganisation gewesen: »Von Anfang an gab es hier zweisprachigen Unterricht – als der Nationalismus immer stärker wurde, steuerte unsere Schule gegen.« In einem Schrank hütet der Direktor zwei Trophäen aus dem Nachlass des ersten Institutsdirektors: Eine Collage mit Postkarten, wo Stationen seines beruflichen Werdeganges in Leitmeritz, Prag, Wien, Mariabrunn, Hohenheim und Klosterneuburg abgebildet und mit persönlichen Widmungen ehemaliger Schüler versehen sind. Ein Pensionist aus Riva, erklärt Direktor Dal Rì, habe das Werk vor einigen Jahren auf dem Dachboden entdeckt und dem Institut vermacht. Das wertvollste Erinnerungsstück bildet eine dicke Schwarte mit Machs Initialen auf dem Einband, eingerahmt von goldenen Schnörkeln und stilisierten Blüten: das »Goldene Buch«. Mach erhielt es 1893 als Geschenk zum 20. Dienstjubiläum. Heute pflege man beste Kontakte zur Mutterzelle, der Bundeslehranstalt Klosterneuburg, erzählt Dal Rì. Eine Frucht dieser Zusammenarbeit stellte die Entdeckung des Grabes von Edmund Mach am Wiener Zentralfriedhof dar. »Im Mai 2011,