Auf den Spuren des Doppeladlers. Helmut Luther

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Auf den Spuren des Doppeladlers - Helmut Luther

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Ruhestätte, wenige Meter vom Haupteingang entfernt, gefunden werden konnte, sagt Dal Rì. »Die Grabstätte war längst aufgegeben und wiederverwendet worden.« Heute prangt auf schwarzem Marmor, neben den Namen anderer Verstorbener, ein weißes Täfelchen zu Ehren des Gründers der Agrarschule San Michele. Als Mach, zum Hofrat ernannt, Ende 1899 in Pension ging, erhielt er noch eine Berufung als landwirtschaftlich-technischer Berater des k. k. Ackerbauministeriums in Wien. Ein langes Wirken war ihm leider nicht vergönnt. Noch vor seinem 55. Geburtstag erlag Edmund Mach einem »kurzen, schmerzvollen Leiden« – ein »unersetzlicher Verlust« für die önologische Wissenschaft, heißt es im Nachruf.

      Machs Nachfahren leben heute in Italien. Vor einigen Jahren sei im Institut eine Dame aus der Gegend von Verona erschienen und habe sich als Edmund Machs Urenkelin vorgestellt, erzählt Dal Rì. Zu den erhaltenen Spuren gehört eine Grabplatte mit dem Namen Emilias, der Witwe des Institutsgründers, die auf dem Friedhof von San Michele gefunden wurde. Offenbar ist Emilia von Babo nach dem Tod ihres Gatten nach San Michele zurückgekehrt. »Wir können den Grabstein anschauen«, schlägt der Direktor vor. Nachdem er einen Mitarbeiter gerufen hat, der uns, mit einem Schlüsselbund rasselnd, vorangeht, durchqueren wir den mit Granitsäulen geschmückten Kreuzgang. Am Ende einer knarrenden Treppe öffnet der Mitarbeiter mit einem Bartschlüssel eine dicke Holztür: Wir stehen auf der Chorempore mit Blick auf den goldgeschmückten Hauptaltar, an den Wänden verblasste Fresken. In einem staubigen Winkel lehnt eine hüfthohe Marmorplatte, eine Ecke oben rechts ist abgebrochen. »Emilia Mach, geborene Baronin Babo«, steht da in schwarzen Lettern, dazu die Lebensdaten: 23. Februar 1853 bis 17. Jänner 1939. Von Direktor Dal Rì erfahre ich noch etwas: Vor etwa zehn Jahren meldete sich ein russischer Professor bei ihm, der sich mit dem Werk Leo Tolstois beschäftigt. Er habe festgestellt, dass der Dichter von Krieg und Frieden, wie schon seine Mutter, im damals südlichen Tirol Apfelbäume für den Obstgarten in Jasnaja Poljana bestellt hatte. Als Absender käme nur das Agrarinstitut von San Michele infrage. Aktueller Anlass der Kontaktaufnahme: Der Obstgarten auf Tolstois Landgut, heute ein nationales Museum, solle wieder entstehen. »Da die Spuren zu uns und von hier ins Nonstal führten, beschloss man, erneut einige alte Sorten nach Jasnaja Poljana zu transportieren. Nun reifen wieder Nonstaler Äpfel in Russland.«

      Dass Edmund Mach bei der damaligen Lieferung seine Hände im Spiel hatte, lässt sich nicht beweisen. »Unser Archiv ist im Ersten Weltkrieg zerstört worden«, sagt Dal Rì. Die Geschichte klingt jedoch plausibel, deshalb will ich noch einmal ins Nonstal fahren. Weit hinten im Tal befindet sich das Reich von Ester Facinelli und ihrem Sohn Aldo. Ein verborgenes Reich, wie schon der Name ihres Bauernhofes verrät: »Einsiedelei Sankt Blasius«, ein jahrhundertealtes, ineinander verwachsenes Ensemble aus Wohnhaus, Stall, Heustadel und Kirche, wo die Facinelli ohne Einsatz von Pestiziden Pflaumen, Kirschen und Nüsse, sogenannte »kleine Früchte« und alte Apfelsorten anbauen. Bei Sanzeno muss man aufpassen, die Abzweigung auf die SP 74 zu erwischen. Auf dieser Seitenstraße, die für Leute mit Höhenangst nicht zu empfehlen ist, manövriert man über Haarnadelkurven am Rand des Wildbaches Novella Richtung Romallo hinauf. Unterhalb des kleinen Dorfes verengt sich das Tal zu einer Schlucht, in die kaum ein Sonnenstrahl fällt, so tief und eng ist sie. Über ein paar geschotterte Serpentinen erklimmt man den wie eine Insel aufragenden Felssporn – oben thront der Bauernhof der Facinelli. Als Besucher ist man berührt von der Schönheit dieses Fleckchens Erde, wo es überall blüht und wächst und vom Straßenlärm nichts zu hören ist. Als ich die Bäuerin erblicke, die gerade in ausgelatschten Schuhen aus dem Stall kommt, in ihrer umgestülpten Kittelschürze ein Dutzend Eier, ahne ich allerdings, dass es hier vor allem eine Menge Arbeit gibt. Heuer sei »ein schwieriges Jahr«, sagt Ester Facinelli, »weil Frühlingfrost die Blüten der Walnussbäume und Aprikosen vernichtet hat«. Jetzt im Herbst machten ihr und ihrem Sohn Aldo, der als Versicherungsbeamter meist unterwegs ist, die neu auftretende Kirschessigfliege zu schaffen. Während mich die Bäuerin herumführt, folgt uns auf Schritt und Tritt eine junge Ziege, Ester hat sie mit der Flasche aufgezogen, weil die Zitzen der Mutter zu wenig Milch hergaben. »Langweilig wird mir nie«, meint die Bäuerin. Sechs Kinder hat die schmale grauhaarige Frau auf die Welt gebracht, ihr Mann starb, als die kleinste Tochter fünf Monate alt war. »Irgendwie musste es weitergehen«, sagt Ester Facinelli und lächelt dazu das Lächeln scheuer Menschen, die nicht gerne im Mittelpunkt stehen. Inzwischen hat sie für mich die Kirchentür geöffnet. Der älteste Teil des Gotteshauses ist eine tief in den Felsgebaute Marienkapelle. Dort verharren wir andächtig vor einer holzgeschnitzten Madonnenstatue aus dem 15. Jahrhundert: der »Muttergottes des Apfels«. Auf ihrem Schoß sitzt der Weltenretter und blickt in die Ferne. Als wir wieder im Freien sind, erzählt Ester von den Restaurierungsarbeiten vor einigen Jahren: »Dabei wurden eine Menge Skelette von Pest- und Leprakranken gefunden, früher befand sich hier ein Lazarett.« Die Gebeine seien anschließend wieder der geweihten Erde übergeben worden. Sie habe vor den Toten keine Angst, sagt Ester. Gefährlicher findet sie manche der Lebenden, jene zum Beispiel, die vor Kurzem versuchten, nachts in die Kirche einzubrechen. »Wahrscheinlich hat sie unser Hund vertrieben, wir selbst bemerkten den Besuch erst am nächsten Morgen – ein Brett an der Eingangstür war beschädigt.« Seitdem versperrt Ester Facinelli die Kirchentür zusätzlich mit einer innen quer liegenden Eisenstange.

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      Von ganz oben in Mallosco im Nonstal wurden Ableger uralter Apfelsorten zu Tolstois Landgut Jasnaja Poljana in Russland geschickt.

      Vor dem Bauernhaus stehen Apfelbäume mit breiter Krone und reichlich Platz rundherum, die Früchte leuchten rot und gelblich-weiß, beinahe goldfarben. Ein Dutzend alter Sorten, etwa Calville, Napoleon, Roter Rosmarin oder Gelber Fritz, bauen Ester und Aldo Facinelli an. »Wir machen es wie früher: Man legt einen gemischten Satz an, mit Äpfeln, die früh, und solchen, die spät reifen, so hat man auch ohne Kühlgeräte über Monate frisches Obst«, erklärt die Bäuerin. Uns zu Füßen im knöchelhohen Gras liegen einige besondere Exemplare, nicht größer als ein Hühnerei, mit brauner Schale. Sie heißen »Lederer«, erfahre ich. Ein sprechender Name, die Konsistenz von Schale und Fruchtfleisch erinnert an eine Schuhsohle, und herb säuerlich schmecken die Früchte. Ester Facinelli hat aus lokalen Medien erfahren, dass der Apfelgarten des Dichters Tolstoi möglicherweise seinen Ursprung im Nonstal hat. Darauf angesprochen, findet sie die Sache »ganz nett« – ihr Gesichtsausdruck verrät jedoch, dass es Dinge gibt, die sie für wichtiger hält. Ester Facinelli fällt jedoch ein Kollege ein, noch höher oben im Tal, er engagiere sich in besagter Angelegenheit.

      So geht es ein weiteres Stück bergauf nach Malosco. Das Dorf sonnt sich auf einem Hochplateau am Fuß zweier uralter Übergänge nach Südtirol, dem Gampen- und Mendelpass, letzterer um 1900 eine beliebte Kurgegend, bequem mit der Mendelbahn von Bozen aus erreichbar. »Heute ziehen viele Junge weg«, sagt Francesco Calliari. Der junge Mann bewirtschaftet mit seinen Eltern einen Bauernhof mit vierzig Kühen, dazu wird Gemüse und Obst angebaut. Verkauft wird ab Hof, Mutter Flavia bietet Kurse an, in denen man Heupuppen basteln oder Marmeladen und Säfte herstellen lernt. Man kann sich bei den Calliari auch als Bauer für einen Tag erproben. »Komm, ich zeige dir alles!«, sagt Francesco. Nachdem er sich eine Selbstgedrehte angezündet und allerlei Werkzeug vom Beifahrersitz geräumt hat, rumpeln wir in seinem Lieferwagen über die Felder. Ich besichtige den neu angelegten Weinberg, ein gewagtes Unterfangen auf 1100 Meter Höhe. »Der erste Selbstgekelterte taugte nur als Essig«, gesteht Francesco. Danach begutachte ich die Netztunnels (wegen der Kirschessigfliege!), wo Gemüse und Beeren geerntet werden, und bewundere einige Methusalem-Apfelbäume, Francescos großer Stolz. Ableger dieser Riesen wachsen heute in Russland. Auch den Dorffriedhof mit brennenden Kerzen auf den Grabhügeln zeigt mir der Jungbauer, die Kerzen seien wichtig, erklärt Francesco, weil die Toten ja weiterhin zur Dorfgemeinschaft gehörten. Auf einer Bank vor dem Bauernladen entkorken wir schließlich eine Flasche vom zweiten Jahrgang seines Selbstgekelterten. Der goldfarbene Solaris schmeckt vorzüglich, was vielleicht auch ein bisschen am wohligen Moment liegt, hier auf der Südseite des Hauses und umfächelt von einem milden Lüftchen, während unser Blick über die wogenden Hänge zur gegenüberliegenden Talseite schweift, wo die Sonne langsam über die Gipfel der Brentagruppe hinunterrollt. Unterdessen erzählt Francesco, wie seine Apfelbaum-Stecklinge auf das Landgut des

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