Auf den Spuren des Doppeladlers. Helmut Luther

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Auf den Spuren des Doppeladlers - Helmut Luther

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1938 veröffentlicht die italienische Presse landesweit »Erkenntnisse« über die »italienische Rasse«: Die Italiener seien Arier. »Juden gehören nicht zur italienischen Rasse.« Es folgt eine systematische Diskriminierung, Mischehen mit Christen werden den Juden untersagt, sie dürfen nicht mehr studieren, eine ganze Reihe von Berufen wird ihnen verboten. Obwohl auch viele Juden Mitglieder der faschistischen Partei sind und der Antisemitismus in Italien weit weniger als in Deutschland und Österreich grassiert, schwenkt Mussolini auf den judenfeindlichen Kurs der Nazis ein. Am 10. Juni 1940 tritt Italien auf der Seite Deutschlands in den Krieg ein. Wenige Tage später erlässt der italienische Polizeichef den Befehl, alle ausländischen sowie »gefährliche« italienische Juden zu verhaften. Der vermeintlich sichere Zufluchtsort der Löwys erweist sich nun als Falle. Anfang Juli werden Richard und sein Schwager Hermann Riesenfeld zuerst ins Gefängnis nach Trient und dann in verschiedene Konzentrationslager in Mittelitalien verschleppt. Am Monatsende wird Johanna im Lager von Casacalenda in der Region Molise inhaftiert. In Briefen und Postkarten danken die Gefangenen für Pakete mit Brot, Butter und Kleidung, die ihnen Giorgios Tante, Valeria Jellici, schickt. »Ich denke immer an Moena und grüße dich mit unendlicher Dankbarkeit«, schreibt Ingenieur Löwy auf einer Postkarte aus dem Lager Notaresco in der Provinz Teramo. »Es sind Dinge, die nicht von uns abhängen, es ist schwierig, Geduld zu haben und auf ein Wunder zu warten«, beschwichtigt Johanna. Zwischendurch gibt es ein Aufatmen. Anfang 1942 können die Häftlinge nach Moena zurückkehren. Fotos aus jener Zeit zeigen die Verfolgten bei Ausflügen in den Bergen. Eine trügerische Idylle: Denn die Schlinge zieht sich immer enger zusammen. Um nicht aufzufallen, wechseln die Ehepaare Löwy und Riesenfeld – Mutter Hedwig ist inzwischen gestorben und auf dem katholischen Friedhof von Soraga begraben – ständig ihre Wohnung. Dabei behilflich ist ein eingeweihter Carabiniere, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. »Mich freut’s nicht mehr«, kritzelt Richard auf die Rückseite eines Fotos. Die beiden Männer verbringen ganze Tage vor dem Radio. Es sind jedoch keine guten Nachrichten, die sie hören, im Gegenteil.

      Unsere Autos haben wir hinter einer Brücke geparkt, die den Avisio überspannt. Giorgio Jellici winkt mich auf einen Sprung ins Hotel Dolomiti hinein, es gehört einem Cousin, großes Hallo. Auf einem Tisch neben der Rezeption ist Jellicis Buch über Richard Löwy ausgelegt, dazu ein weiteres, das er ebenfalls geschrieben hat, über seine Tante Valeria. Als Gerber, Ladeninhaber und Hoteliers gehören die Jellici seit Generationen zu den Dorfpotentaten. Der Großvater sei früher einmal im Jahr mit den gegerbten Fellen auf einem Pferdegespann über den Karerpass nach Bozen gefahren, um die Ware dort an einen Lederwarenhändler zu verkaufen, erzählt Giorgio Jellici, als wir das Hotel wieder verlassen. Mit der Hand beschreibt er einen Halbkreis in der Luft: Der Grund rundherum habe der Familie gehört. »Hier, wo jetzt die Parkplätze sind, musste ich die Salatpflanzen meiner Tante Valeria gießen«, sagt Giorgio Jellici. Aufgewachsen ist er in Pergine, wo sein Vater eine Bank leitete. Die Ferien hat er jedoch im Haus von Tante Valeria an der Strada del Marchiò verbracht. Dort steht es beinahe unverändert. Vor dem Geschäft im Erdgeschoß wacht ein zweieinhalb Meter großer Plastikbär. Drinnen gibt es »typische« lokale Spezialitäten wie Mozartkugeln zu kaufen. Das Haus sei früher Casa D’Austria, Österreich-Haus, genannt worden, erzählt Jellici, weil hier zu Zeiten der k. u. k.-Monarchie zu Kaisers Geburtstag stets die schwarzgelbe Habsburgerfahne gehisst worden sei. Das Gebäude hätten sein Großvater und dessen Söhne mit eigenen Händen erbaut, sagt Jellici. Bis vor wenigen Jahren stand davor eine Holzbank. »Dort saßen Richard Löwy und seine Frau jeden Nachmittag und unterhielten sich mit Einheimischen. Die Leute grüßten respektvoll: ›Grüß Gott, Herr Ingenieur!‹ Man tauschte Neuigkeiten aus.« Oben im zweiten Stock habe Tante Valeria gewohnt, sagt Giorgio Jellici, legt den Kopf in den Nacken und weist hinauf auf einen verwitterten Holzbalkon. Valeria war eine ledige Schwester des Vaters. »Unverheiratet zu bleiben, war damals das Los einer Volksschullehrerin«, erklärt Jellici. Den Balkon, auf dem die Tante oft Stellung bezog, habe er Kommandobrücke genannt. Von hier aus habe Valeria nämlich auf die Straße geblickt und kontrolliert, wer von ihren Schülern spät dran war auf dem Gang zur Frühmesse. »Nicht teilzunehmen war undenkbar. Später bekamen dann einige von der Lehrerin zu hören: ›Du hast getrödelt! Du hast Dummheiten gemacht!‹ Eine außergewöhnliche Frau«, sagt Giorgio Jellici über seine Tante. Sie sprach fünf Sprachen. Englisch und Französisch hat sie als Autodidaktin gelernt. Giorgio erinnert sich an eine, wie er sagt, typische Begebenheit: Am Kriegsende, als die Amerikaner im Dorf einen Ball veranstalteten, sei auch Valeria unter den Eingeladenen gewesen. Sie schreckte aber nicht davor zurück, den Befehlshaber daraufhinzuweisen, dass die auf ein Plakat geschriebenen Worte »schlechtes Englisch« seien. »Als ich viele Jahre später mit meiner Familie in Brüssel wohnte, kam uns Valeria besuchen. Wir unterhielten uns mit einer gerade anwesenden Einheimischen auf Französisch. Als diese Bekannte einen fragenden Blick auf meine Tante richtete – wir wollten sie nicht ausschließen –, schaltete sich Valeria in der Landessprache in das Gespräch ein.« Bevor die Amerikaner im Frühjahr 1945 in seiner Heimat auftauchten, hat Giorgio Jellici den Abzug der Deutschen erlebt. »Sie fuhren in Kolonnen vorbei. Als ein Soldat von seinem Kübelwagen eine Büchse in die Menge warf, war ich der Glückliche, der sie auffing. Wir litten damals keinen Hunger. Aber in der Büchse befanden sich Würstchen, eine Köstlichkeit!« Ein paar Tage lang schmauste Giorgio Jellici lediglich Würstchen. Er kann sich nicht erinnern, ob er die Beute mit den drei Schwestern geteilt hat. Was er hingegen noch ganz genau weiß: Welchen Typ Waffe und welches Kaliber sowohl die abziehenden Deutschen als auch die amerikanischen Sieger dabeihatten. »Wir Buben stahlen von beiden Munition und bastelten daraus Raketen, die schön explodierten.«

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      Alte Ansicht von Moena, wo Löwy mit seiner Familie Zuflucht fand

      Aber zurück zu Valeria. Kurz vor ihrem Tod 1975 habe die Tante ihn zu sich gerufen, erzählt Giorgio Jellici. »Mit den Worten: die anderen interessiere das sowieso nicht, überreichte sie mir eine Schachtel, in der sich viele handgeschriebene Briefe und gebleichte Fotos mit Zackenrand befanden.« Es handelte sich um Aufnahmen der Löwys, Fotos von daheim in Wien, vom Offizier Löwy im Ersten Weltkrieg im Fassatal und von gemeinsamen Ausflügen hier im Tal mit Valeria und anderen Getreuen. Die Briefe hatten die Löwys aus den Internierungslagern an Valeria gerichtet, ihre tapferste Helferin. Giorgio Jellici nennt sie eine Antigone: eine, die kompromisslos auf ihre innere Stimme hörte und den Verfolgten beistand. Den Nachlass ließ der beruflich voll geforderte Neffe lange Zeit unbeachtet. Als er vor zwanzig Jahren in den Ruhestand trat, öffnete er die Schachtel. »Es war, als träfe mich der Schlag.« Plötzlich seien die Erinnerungen hochgekommen. Er sah alle leibhaftig vor sich: die geliebte Tante, Richard und Johanna Löwy, das Ehepaar Riesenfeld. Giorgio Jellici glaubte, dass ihm aus der Schachtel sogar ein vertrauter Geruch entgegenströme, der Geruch des Herdfeuers, der Pilze, die er mit seiner Tante im Wald gesammelt und dann in der peinlich sauberen Wohnung am Küchentisch gereinigt hatte.

      Während mir der pensionierte Jurist davon erzählt, muss er dauernd Verwandte und alte Bekannte grüßen. Er hat es im Ausland zu etwas gebracht und genießt großes Ansehen im Dorf. Seine Stimme hat Gewicht. Jellici schreibt für mehrere lokale Zeitungen, er zeigt mir einen mit rotem Kugelschreiber überarbeiteten Bericht, den er über seine Pilgerreise nach Santiago de Compostela verfasst hat. »Wenn ich mich öffentlich äußere, kritisiere ich unverblümt die hier herrschende Bauwut. Manche geben mir recht und erklären, ich hätte ausgesprochen, was ihnen am Herzen liege. Andere meinen, ich sei weggegangen und solle nun den Mund halten – aber mich gehen die Dinge im Tal immer noch etwas an.« Unterdessen marschieren wir auf der anderen Seite des Rio Costalunga zum westlichen Dorfrand hinauf. Mit steingemauerten Häusern und ausgebleichten Wellblechdächern sowie wettergebeizten, aus ganzen Baumstämmen errichteten Stadeln ist hier ein Rest der alten bäuerlichen Welt erhalten geblieben. »Von diesem Dach dort sind wir nach der Heuernte in die duftenden Haufen gesprungen«, sagt Jellici. Der alte Herr legt einen forschen Schritt vor. Er hat an einigen Marathonläufen teilgenommen. Mit sechzig kletterte er noch auf die Vajolettürme, die das Fassatal wie Rufzeichen überragen. Am Ende des Teersträßchens, das in einen Waldpfad übergeht, weist Jellici auf ein geducktes Häuschen – »Das war eine Mühle!« – sowie auf ein stattliches dreigeschoßiges Gebäude mit einer grauen,

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