Kieler Courage. Kay Jacobs
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Gerlach konnte es gut nachvollziehen, wenn Menschen sich eine Obduktion von Angehörigen vor Augen führten und Schwierigkeiten hatten, ihr Einverständnis damit zu erklären. Zwar hatte er noch nie darum bitten müssen – eine Obduktion wurde einfach angeordnet und kein Angehöriger hatte die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun –, aber seit Rosenbaum sein Chef war, wurden die Angehörigen immer darauf hingewiesen, wenn eine Obduktion nötig war, und manchmal gab es Widerstand. Einem alten Haudegen wie Lettow-Vorbeck hätte Gerlach eine solche Empfindsamkeit allerdings nicht zugetraut. Und er nahm sie ihm auch nicht ab. Also sagte er: »Es ist erforderlich. Und es liegt, denke ich, auch in Ihrem Interesse, dass die Tat aufgeklärt und der Täter gefasst wird. Vielleicht kann eine Obduktion Fremdverschulden ausschließen und wir können dann feststellen, dass es ein Unfall war. Das wäre doch auch in Ihrem Interesse.«
Lettow-Vorbeck lehnte sich zurück, die Ellenbogen stützten sich auf die Armlehnen, die Hände rieben sich unentschlossen vor der Brust.
»Warum haben Sie Ihre Tochter eigentlich nach Kiel geschickt? Sind die Schweriner Lehranstalten nicht gut genug?«
»Ich habe sie nicht nach Kiel geschickt. Ich habe sie auf ein Oberlyzeum nach Kassel geschickt. In Kassel ist auch unser Kaiser zur Schule gegangen.«
»Ist nicht Scheidemann jetzt Oberbürgermeister von Kassel?«, fragte Gerlach.
Erst Lettow-Vorbecks erstarrter Blick führte ihn vor Augen, dass diese Frage eine Provokation sein musste. Philipp Scheidemann hatte im November 18 vom Westbalkon des Reichstagsgebäudes spontan die Republik ausgerufen, ohne dazu in irgendeiner Weise autorisiert gewesen zu sein. Ihm hatte nicht gereicht, die Abdankung des Kaisers zu verkünden, er hatte gleich noch eine neue Staatsform gewählt und damit endgültig die Weichen für die Zukunft des Reiches gestellt. Für jemanden wie Lettow-Vorbeck musste er der schlimmste aller Novemberverbrecher gewesen sein.
»Trotzdem«, presste der Generalmajor durch seine Zähne.
»Sie haben sie nach Kassel geschickt, aber trotzdem war sie in Kiel.«
»Offensichtlich.«
»Und wieso?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe es selbst erst gestern erfahren.«
»Aber sie hielt sich mindestens einen Monat in Kiel auf und war offiziell am Oberlyzeum als Schülerin aufgenommen. Wie konnte sie das denn anstellen? Sie war doch gar nicht volljährig.«
»Mithilfe meiner Gattin.«
»Dann wird Ihre Gattin die Gründe kennen.«
»Vermutlich.«
»Sie haben sie nicht gefragt?«
»Nein.«
»Dann würde ich sie gerne befragen.«
»Meine Gattin steht für eine Befragung nicht zur Verfügung.«
Das war noch keine Kriegserklärung, aber eine Provokation, eine Gegenprovokation. Gerlach musste jetzt standhalten, energisch genug, um sich Respekt zu verschaffen, aber nicht so stark, dass eine gütliche Regelung unmöglich werden würde.
»Ich könnte sie vorladen lassen.« Das konnte er genauso wenig, wie Rosenbaum den Generalmajor hätte vorführen lassen können. Denn er und Rosenbaum waren preußische Polizeibeamte, und sie befanden sich in Mecklenburg-Schwerin. Hier fuhren nicht nur keine preußischen Züge, hier hatten auch preußische Beamte nichts zu sagen.
»Sie ist gestern nach Wien verreist.«
Gerlach schüttelte ungläubig den Kopf. In Österreich war es noch schwieriger, Ermittlungen anzustellen, als in Mecklenburg. Der Weltkrieg war ausgebrochen, weil Österreich zur Aufklärung des Attentats an seinem Thronfolger Franz Ferdinand Kriminalbeamte nach Serbien hatte schicken wollen und Serbien damit nicht einverstanden gewesen war.
»Aber sie wird doch bestimmt zur Beerdigung zurückkehren.«
»Vermutlich.«
»Wieso nur vermutlich? Ist das zweifelhaft?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Das Gespräch entwickelte sich zu einer Farce. Nicht nur, dass Gerlach hier keine Polizeigewalt ausüben konnte, auch jedes Ersuchen um Amtshilfe durch die Mecklenburgische Polizei würde von Lettow-Vorbeck ohne Schwierigkeiten torpediert werden können. Er war nahezu sakrosankt und das nutzte er aus.
Gerlach räusperte sich, lehnte sich zurück, schaute aus dem Fenster, ließ ein wenig Zeit vergehen, Zeit, die er brauchte, um sich für einen neuen Anlauf zu sammeln.
»Wie haben Sie eigentlich vom Tod Ihrer Tochter erfahren?«
»Auf dem Dienstweg.«
»So schnell?«
»Das Militär ist gut organisiert.«
»Aber nicht so gut, dass Sie den Aufenthaltsort Ihrer Tochter kannten?«
Jetzt ließ Lettow-Vorbeck eine Pause. »Haben Sie noch Fragen?«
Die sich allmählich zuspitzende Situation entspannte sich wieder, als der Offiziersbursche des Generalmajors hereinkam. Er jonglierte ein silbernes Tablett in der Hand, darauf standen eine dampfende chinesische Teekanne, zwei Tassen, eine Zuckerdose und ein Milchkännchen. Der Bursche versuchte reichlich ungeschickt, mit dem Ellenbogen die Tür hinter sich zu schließen. Mehrere Anläufe scheiterten, nie rastete die Falle im Schließblech ein, bis er sein Vorhaben schließlich aufgab und sich auf den Schreibtisch zubewegte. Mit der rechten Hand versuchte er, das Telefon zur Seite zu schieben, während er mit der linken weiter das Tablett jonglierte. Auch hierbei stellte er sich reichlich ungeschickt an. Gerlach wollte behilflich sein, fand aber keine Gelegenheit dazu, seine Bewegungsfreiheit war durch das schräg über ihm bedrohlich schwankende Tablett entscheidend eingeschränkt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als für den Notfall in Bereitschaft zu bleiben. Der dann auch flugs eintrat. Aus dem Hals der Kanne schwappte etwas Tee, was den Burschen dazu verleitete, das Tablett wegzuziehen, vermutlich, um Schaden vom Kriminalassistenten abzuwenden. Dabei bedachte er die träge Masse der vollen Kanne nicht hinreichend, die Tassen klirrten, die Kanne kippte, ihr Deckel fiel zu Boden, der Inhalt ergoss sich zum größten Teil über einen wertvollen Orientteppich, zu einem kleinen Anteil über Gerlachs Oberhemd, Zucker rieselte hinterher und bildete auf dem Teppich ein Häufchen, das sich augenblicklich in eine zähe, bräunliche Masse verwandelte. Gerlach sprang auf, dabei schlug er dem Burschen das Tablett aus der Hand, sodass auch das Milchkännchen seinen Inhalt verlor und die bräunliche Masse auf dem Teppich isabellfarben aufhellte.
»Du Tölpel!«, entfuhr es dem Generalmajor. »Pass doch auf!«
Der Bursche stand breitbeinig über dem Malheur, das er angerichtet hatte, und stammelte mehrmals »Entschuldigung«. Er griff hektisch nach Gerlach, als wollte er den Flecken auf seinem Hemd wieder entfernen, zog die Hand aber auf halbem Weg zurück, kniete beschwörend vor der Zuckermasse nieder, als könnte er sie dadurch in Luft auflösen, sammelte dann den Deckel der Teekanne auf und legte ihn auf das Tablett, ließ den Rest jedoch liegen, wandte sich dann wieder Gerlach zu, dann wieder der Zuckermasse, dann dem Deckel der Zuckerdose. Schließlich fand er eine saubere Serviette, die er Gerlach reichte, und immer wieder ertönte sein »Entschuldigung«.
»Danke«,