Kieler Courage. Kay Jacobs

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Kieler Courage - Kay Jacobs

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Ärmel.

      »Was ist das?«

      Mona zog den Arm weg. »Ich bin gefallen. Vorhin. In der Straßenbahn. Sie bremste plötzlich.«

      Rosenbaum reichte ihr die Handtasche. Sie öffnete sie, stöberte ein wenig, schob eine Puderdose und ein Pillendöschen zur Seite, inspizierte das Portemonnaie und eine Brieftasche. Dann stutzte sie und schaute den Kommissar ratlos an.

      »Das Geld fehlt.«

      »Welches Geld?«

      »Ein Briefumschlag mit hundert Mark. Sie hat es erst gestern von ihren Eltern geschickt bekommen. Jeden Monat hundert Mark, damit sie auch mal ausgehen kann. Die Eltern wollten nicht, dass sie sich von Männern einladen lässt.«

      »Hundert Mark? Ein enormes Taschengeld für ein achtzehnjähriges Fräulein.«

      Mona nickte. Für sie dürfte es etwa der Betrag sein, von dem die ganze Familie eine Woche leben musste.

      »Sind Sie sicher, dass sie den Umschlag in der Handtasche aufbewahrt hat?«

      »Ich habe selbst gesehen, wie sie ihn hineinsteckte.«

      »Könnte sie ihn vielleicht wieder herausgenommen haben?«

      Mona schaute Rosenbaum weiter mit derselben Ratlosigkeit an. Dann stand sie auf, drückte ihm die Tasche in die Hand und rannte aus der Tür. Der Kommissar folgte. Sie huschte die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Rosenbaum versuchte Schritt zu halten, schaffte allerdings nur eine Geschwindigkeit, die einem älteren, leicht übergewichtigen Mann gebührte. Als er das Zimmer betrat, hockte Mona vor Katharinas Nachttisch, das Türchen geöffnet, die Schublade durchsucht, und zuckte mit den Schultern.

      »Das wäre der einzige Ort, wo es noch hätte sein können.«

      *

      Sergeant Hashim stand in einer Fernsprechkabine der Alten Station und starrte auf den Telefonapparat, der vor ihm an der Wand hing. Er hatte für neun Uhr ein Gespräch angemeldet, gleich würde es klingeln, das Fräulein würde ihn verbinden und er würde jeden Mut brauchen und sich mit aller Kraft zusammenreißen, um sinnhafte Worte zu formulieren. Er schaute zur Seite, durch die Glasscheibe auf den Fernmeldegast, der an seinem Schreibtisch geschäftig Formulare ausfüllte und keine Notiz von ihm nahm. Dann starrte er wieder auf den Telefonapparat, in dem Moment klingelte es.

      »Guten Abend, Herr General.«

      »Hast du was rausgefunden, Junge?«

      Generalmajor von Lettow-Vorbeck grüßte ihn nie förmlich zurück. Das brauchte er auch nicht. Er machte es wett, indem er ihn »Junge« nannte. Trotz allem, was geschehen war, nannte er ihn noch immer so.

      »Ich …«

      »Jetzt rede schon. Warst du bei Levetzow?«

      Konteradmiral Magnus von Levetzow war Kommandant der Marinestation Ostsee und als solcher militärisch verantwortlich für den Festungsbereich Kiel, ein strammer Monarchist und vielleicht Schlimmeres.

      »Ja. Aber …«

      »Und? Was ist seine Haltung?«

      »Ich glaube, das Stationskommando wird loyal zur Admiralität stehen.«

      »Und die Bevölkerung?«

      »Das kann ich noch nicht sagen, Herr General. Ich muss Ihnen aber mitteilen …«

      »Kiel ist die Stadt des Matrosenaufstandes, alles linke Gesellen. Bolschewisten sind das, die …«

      »Herr General!« So hatte Hashim noch nie mit seinem Chef gesprochen. Und er hätte es niemals gewagt, wenn nicht das Unaussprechlichste hätte ausgesprochen werden müssen: »Sie ist tot, Herr General.«

      *

      Es brabbelte und es quiekte. Artikulierte Laute konnte es nicht. Es hieß David.

      Rosenbaum hielt seinen Zeigefinger in die Wiege und gab ebenfalls Laute von sich, nur wenig artikulierter als die von David, der jetzt versuchte, nach dem Finger zu greifen.

      Hedi Kuhfuß jaulte vor Vergnügen. »Er wird bald Papa zu Ihnen sagen, Chef.«

      Zum ersten Mal an diesem Tag weitete sich Rosenbaums Mund zu einem Lächeln. Papa, das wäre möglich. Tatsächlich hatte Rosenbaum mit der Zeugung des Kindes aber nichts zu tun gehabt. Er war in seinem Leben nur einer Frau so nahegekommen, dass daraus Kinder hatten entstehen können, seiner Ehefrau. Ansonsten war er ausschließlich Männern vergleichbar nahegekommen, doch das war ein ganz anderes Thema.

      Frau Kuhfuß – Hedis Mutter und Davids Oma – rief zum Essen. Rosenbaum war hier oft zum Essen eingeladen und, wie so oft, war er zu spät gekommen. Selten hatte er aber eine so gute Ausrede: Mord am Kleinen Kiel. Er hatte mit Gerlach begonnen, sämtliche Schülerinnen und, soweit erreichbar, das Lehrpersonal des Lyzeums zu befragen, doch niemand wusste etwas Erhellendes vorzubringen, und so entschloss sich der Kommissar, die restlichen Befragungen von seinem Assistenten allein durchführen zu lassen, um endlich der Einladung nachkommen zu können. Gerlach war damit einverstanden gewesen, er wusste, wie wichtig seinem Chef diese Einladungen waren, und er selbst hatte heute nichts mehr vorgehabt.

      »War es überhaupt ein Mord?«, fragte Hedi, als sie in die Küche hinübergingen.

      »Ich denke schon«, antwortete Rosenbaum und kräuselte die Stirn. »Die Abschürfungen, die Würgemale, das verschwundene Geld.«

      Sie setzten sich. Herr Kuhfuß öffnete die Flasche Rotwein, die Rosenbaum mitgebracht hatte, und seine Frau stellte eine große Suppenterrine auf den Tisch. Es gab Schnüsch mit Katenschinken, ein Gericht, das Rosenbaum erst bei Frau Kuhfuß kennengelernt hatte, das es wahrscheinlich nirgendwo anders als in Schleswig-Holstein gab, das er durchaus schätzte, jedenfalls wenn Schinken dazu gereicht wurde und nicht Matjes. Als Frau Kuhfuß es Rosenbaum zum ersten Mal angeboten hatte, hatte es sich angehört, als hätte sie geniest, und als sie erklärt hatte, dass Matjes dazugehörten, hatte er gesagt, dass sein Glaube ihm den Genuss von fermentiertem Fisch verbiete. Dann hatten sie sich angeschaut und gleichzeitig losgelacht. Und von da an gab es oft Schnüsch, aber mit Katenschinken. Milch gehörte hinein und Butter und viel frisches Gemüse, was im März durchaus eine Herausforderung war, aber von Frau Kuhfuß und ihrem Improvisationstalent glänzend gemeistert wurde.

      Nach dem Essen spülte Hedi das Geschirr ab, während sich zwischen ihrem Vater und Rosenbaum regelmäßig eine Auseinandersetzung darüber entzündete, wer abtrocknen durfte, und die durch einen Wettlauf zum Geschirrtuch entschieden wurde. Meist gewann Rosenbaum. Dann setzte sich die Familie mit ihrem Gewohnheitsgast ins Wohnzimmer, sie plauderten ein wenig über die aktuelle Versorgungslage und die politische Entwicklung, am meisten jedoch über David, rauchten Zigarren und tranken den restlichen Wein. Als es Zeit wurde, David die Brust zu geben, zogen sich die Eltern taktvoll zurück. Für sie war es selbstverständlich, dass Rosenbaum bei Hedi sitzen blieb, für sie war er Davids wahrer Vater.

      Als Hedi und Rosenbaum sich kennengelernt hatten, elf Jahre war das nun her, da war sie Sekretärin des Kriminaldirektors gewesen und er Obersekretär, sie noch sehr jung, er noch nicht ganz so alt. Sie schwärmte für ihn, wie junge Frauen manchmal für ältere Männer schwärmten, und sie machte keinen Hehl daraus. Er begehrte sie und versuchte, einen Hehl daraus zu machen. Es gelang ihm nicht. Vielleicht hatte er es nicht ernsthaft versucht, vielleicht sein Begehren

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