Kieler Courage. Kay Jacobs

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Kieler Courage - Kay Jacobs

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Assistentin. Er hätte sie ablehnen und einen anderen Assistenten verlangen können, aber das brachte er nicht fertig, und er hätte es auch nicht gewollt. Jedes Mal, wenn sie einander berührten, flüchtig, durch Zufall oder wenn sie seine Hand nahm – nie hätte er ihre Hand genommen – oder beiläufig ihre Hand auf seine Schulter legte, jedes einzelne Mal blieb in seiner Erinnerung haften. Einmal kam es zu einem Kuss, doch nur flüchtig und eher wie ein Unfall.

      Vor einem Jahr saßen sie in ihrem Büro in der Blume – so nannten die Kieler ihr Polizeipräsidium, weil es in der Blumenstraße lag – und studierten gemeinsam eine Akte.

      »Chef?«, sagte Hedi.

      »Hedi?«, antwortete Rosenbaum, ohne seinen Blick von dem Vernehmungsprotokoll abzuwenden, das er gerade las.

      »Ich bin schwanger, Chef.«

      Er schaute weiter auf das Protokoll, nicht mehr auf die Wörter, nur noch auf das Papier.

      »Ich muss aufhören zu arbeiten.«

      Er konnte nicht sagen, dass er das geahnt hatte, auch nicht, dass er es geahnt hätte, wenn er es für möglich gehalten hätte. Aber er hatte bereits Veränderungen an ihr beobachtet, ein Stück gereizter, ein Stück rundlicher, und seit einigen Wochen lehnte sie jedes Mal ab, wenn er ihr eine Zigarette reichen wollte.

      »Wann?«, fragte er, sein Blick blieb am Protokoll kleben.

      Hedi antwortete nicht, schaute ihn nur eine Zeit lang stumm an. Dann stand sie auf, schleuderte den Stift, den sie in der Hand hielt, auf den Schreibtisch und rannte wortlos aus dem Raum.

      In den folgenden Wochen verloren sie kein einziges Wort über dieses Thema. Rosenbaum taxierte täglich mit heimlichen Blicken den Umfang ihres Bauches, er horchte auf, wenn sie stöhnte oder seufzte oder sich ins Kreuz fasste, und er machte sich Sorgen, wenn sie – was zwei- oder dreimal vorkam – morgens nicht zur Arbeit erschien. Doch nach außen ließ er keine Anteilnahme erkennen. Es ging ihn nichts an, zumindest wollte er sich nicht einmischen, und er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er das wollte oder dass es ihn sonderlich beschäftigte. Nachts lag er oft wach und dachte an Hedi und machte sich Sorgen. Sie hatte keinen Mann, lebte noch bei ihren Eltern, sie war auf dem Weg zur alten Jungfer und dann ins Ungewisse abgebogen.

      Als der Bauch so dick war, dass Hedi kaum noch die Treppe zum Büro schaffte, sprachen sie wieder darüber.

      »Ab Morgen habe ich Urlaub«, sagte sie. »Bis zur Geburt. Und dann ins Wochenbett.«

      Rosenbaum nickte. Was sollte er antworten? Oder tun? Er könnte sie heiraten. Doch er war bereits verheiratet, wenn auch nur in einer Konvenienzehe. Charlotte, seine Frau, lebte in Berlin, sie sahen sich nur selten, ein- oder zweimal im Jahr, wenn er sie besuchte. Er schätzte sie, in gewisser Weise liebte er sie, er hatte zwei Kinder mit ihr großgezogen, eines davon lebte noch, sie war ihm wichtig. Er würde sich nicht scheiden lassen, auch nicht für Hedi.

      Als Hedi Urlaub hatte und die Niederkunft immer näher rückte, besuchte er sie mehrmals in der Woche. Aus der Spielzeugabteilung von Schmielau am Markt brachte er Märchenbücher und Blechkarussells mit, und von der Drogerie Wagner Reformwaren. Manchmal streifte Hedi ihren Bauch frei und er legte seine Hand darauf. Es war ein riesiger Bauch, einer, in dem Zwillinge oder Drillinge verschwenderischen Platz gehabt hätten.

      »Vielleicht sind es Zwillinge«, sagte er.

      »Ach Chef, Sie Quatschkopf«, lautete Hedis Antwort. »Das hätte der Arzt gehört. Die Herztöne, er hätte gehört, wenn es mehrere wären.«

      Der errechnete Geburtstermin kam. Und er verging. Hedi sagte, die Hebamme habe gesagt, das sei bei Erstgeburten ganz normal, und ihre Mutter habe das auch gesagt. Weitere Tage vergingen. Plötzlich war Hedi im Krankenhaus, eine Woche lang. Rosenbaum durfte nicht zu ihr und er erfuhr nichts, auch nicht, warum er nicht zu ihr durfte und warum er nichts erfahren durfte. Er sorgte sich grenzenlos. Als Hedi wieder zu Hause war, hatte sie tatsächlich nur ein Kind, und das hieß David.

      »Wieso soll er David heißen?«, fragte Rosenbaum. »Er ist doch kein Jude.«

      »David ist ein schöner Name«, sagte Hedi.

      Rosenbaum war Jude und sein zweiter Vorname lautete David. Er fühlte sich aufgefordert, die Patenschaft für das Kind zu übernehmen. Doch er war nun mal Jude, und David sollte evangelisch getauft werden.

      »Wieso geht das nicht?«, fragte Rosenbaum den Pastor.

      »Weil Pate einer evangelischen Taufe nur sein kann, wer die Zulassung zum Abendmahl besitzt«, antwortete der Pastor.

      »Und euer Christus? Hatte der eine Zulassung? Und Johannes der Täufer? Petrus?«

      Mit diesen Fragen wurde das Gespräch einvernehmlich beendet.

      Jedem, der Familie, den Nachbarn, dem Bekanntenkreis, den Kollegen, den Vorgesetzten, auch dem Pastor, einfach jedem war von nun an absolut klar, dass Rosenbaum auch der Erzeuger sein musste, und jeder reagierte auf seine Weise: der Pastor mit einem angewiderten Kopfschütteln, die Nachbarn mit Tuscheln, einige Kollegen mit anerkennendem Schulterklopfen, Hedis Eltern mit der Diskussion, ob das Kind eine Hakennase bekommen werde. Hedi störte sich nicht daran, jedenfalls sagte sie, dass es sie nicht störe, und vielleicht gefiel es ihr sogar ein wenig. Auch Rosenbaum störte es nicht, nur Charlottes Meinung war ihm wichtig. Er hatte ihr versichert, dass er mit der Zeugung des Kindes nichts zu tun hatte, und sie hatte ihm geglaubt, jedenfalls hatte sie gesagt, dass sie ihm glaube – und wenn sie es vielleicht doch nicht tat, dann hatte sie ihm verziehen.

      »Seit der Geburt heult Hedi viel«, sagte neulich die Mutter zu Rosenbaum. Wenn er zu Besuch war, heulte sie nicht. Die Mutter nahm es als Zeichen, dass er ihr und dem Kind guttue. Das sagte sie ihm auch. Rosenbaum hatte von solchen Eigenartigkeiten gelesen und er hatte es damals auch bei Charlotte bemerkt. Während der Schwangerschaft benahmen sich Frauen oft eigenartig, nach der Schwangerschaft waren sie unberechenbar. Doch ein paar Wochen später würde das vorbei sein. Seit Davids Geburt waren inzwischen etliche Wochen vergangen.

      Als die Eltern die Tür hinter sich zugezogen und Hedi mit David ausreichend unartikulierte Laute ausgetauscht hatten, knöpfte sie ihre Bluse auf und David strampelte vor lauter Vorfreude auf die nächste Mahlzeit. Sie gab sich vollständig ungeniert, weder hielt sie das Kind so, dass Rosenbaum von ihren Brüsten möglichst wenig sehen könnte, noch stellte sie sie zur Schau, sie bewegte sich, als wäre sie mit dem Kind allein. Rosenbaum versuchte, nicht unverschämt hinzusehen und nicht verschämt wegzusehen, doch im Grunde tat er beides.

      »Wieso haben ihre Eltern sie mitten im Schuljahr auf eine neue Schule geschickt?« Hedi unterbrach die Frage mehrmals, um mit den Lippen zu schürzen.

      Rosenbaum brauchte etwas Zeit, um sich darüber klar zu werden, dass Hedi nicht von David oder ihren Brüsten sprach. »Würde mich auch interessieren«, sagte er schließlich.

      »War sie denn vorher schon in Kiel?«

      »In Schwerin. Wo die Eltern leben.«

      Jetzt schürzte auch Rosenbaum seine Lippen. Er beugte sich vor, strich mit dem Zeigefinger über Davids Wange, der sich darum nicht scherte, sondern nur an seiner Nahrung interessiert war. Fast hätte Rosenbaum Hedis Brust berührt, verlegen zog er die Hand zurück.

      »Aber wie kann man sich das vorstellen: ein Raubmord am Kleinen Kiel, am helllichten Tag? Hat der Täter ihr die Handtasche weggerissen, durchstöbert, den Umschlag mit dem Geld herausgenommen, das Portemonnaie aber drin

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