Die Messermacher. Petra Mehnert
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„Oma! Opa! Was ist los, ihr Schlafmützen?“
Sie erhielt keine Antwort und so blieb sie vor dem Schlafzimmer ihres Großvaters ratlos stehen. Da ihr Opa so schrecklich schnarchte und seit Oma so krank war, schliefen sie in getrennten Zimmern. Einfach reinplatzen wollte das Mädchen aber doch nicht und so klopfte sie energisch an die Türe. Es kam aber immer noch keinerlei Reaktion. Kopfschüttelnd stand sie nun da, als ihr Vater ihr zurief:
„Lass sie doch schlafen, Nora. Wahrscheinlich hatten sie wieder eine anstrengende Nacht. Reno wird schon runter kommen, wenn ihn der Hunger plagt. Du weißt doch, wie ihm morgens immer der Magen knurrt.“
„O.k., wenn du meinst …“, murrte Nora, denn das bedeutete, dass sie nun an die Arbeit musste. Gerne hätte sie ihren geliebten Opa geweckt und dann mit ihm gefrühstückt. Enttäuscht drehte sich Nora um und schlich nun die Stufen vorsichtig hinunter, denn jetzt wollte sie doch, dass sich ihr Opa mal so richtig ausschlafen konnte. Seine Frau hielt ihn seit ihrer Krankheit ganz schön auf Trab, manchmal tat Nora ihr ruhiger und sensibler Opa richtig leid. Er war so ein lieber Mensch und er versuchte alles, um seiner armen Frau in ihrer schweren Krankheit beizustehen. Nora tat sich da schon etwas schwerer, denn ihre Oma war eine sehr herrschsüchtige Frau und vor allem in Firmendingen war nicht mit ihr zu spaßen.
Wie jeden Tag war es zunächst still in der Werkstatt – jeder hatte seinen eigenen Arbeitsplatz mit Blick auf den schönen Hohenstaufen. Wegen dieses Ausblicks wurden sie oft beneidet, denn wer nach Ottenbach zog, wollte, wenn möglich, diese wunderschöne Aussicht genießen können. Der kegelförmige Berg, um dessen grüne Haube sich eine kleine Ortschaft wie ein Kranz wand, sah zu jeder Jahreszeit sehr schön aus. Täglich zeigte er sich in anderen Farben und Schattierungen.
Trotz des wunderbaren Ausblicks, den sich die Handwerker zur Erholung ihrer angestrengten Augen immer wieder gönnten, konzentrierten sich die Angerers voll auf ihre Werkstücke. Jeder hatte ein Spezialgebiet, um das er sich vermehrt kümmerte, doch bei manchen Arbeitsschritten arbeiteten sie auch Hand in Hand. Es dauerte aber meist nicht lange, bis einer von ihnen irgendein Thema aufgriff, das ihn gerade besonders interessierte oder das momentan im Radio zu hören war. Solange die Seniorchefs nicht in der Werkstatt waren, wurde ein Sender eingeschaltet, auf dem viele Oldies liefen. Die Älteren liebten die alten Songs und so wurden auch die Jüngeren in diese Musik eingeführt und ständig nach den Interpreten ausgefragt. Inzwischen kannten sich Nora und Felix bestens mit den Hits ab den 50er Jahren aus. Wenn die Großeltern in der Firma waren, musste sofort auf den Klassiksender umgeschaltet werden, was der Rest der Familie zwar schon oft zu verhindern versucht hatte, aber immer an der Macht Adeles gescheitert war. Seit ihrer Krankheit war sie allerdings nicht mehr so oft in der Werkstatt und mit Reno konnte man reden. Dem hatten sie inzwischen ihren Lieblingssender auch schmackhaft gemacht.
Momentan beschäftigte sich Nora mit dem Thema Umweltschutz. Eigentlich wissen die Menschen doch, dass es höchste Zeit ist, etwas Gravierendes zu unternehmen, doch keiner will damit anfangen. Wer möchte schon von sich aus auf die liebgewonnenen Annehmlichkeiten verzichten, wenn es der Nachbar auch nicht tut? Wer lässt freiwillig sein Auto stehen, spart Strom oder vermeidet unnötige Verpackungen? Wer denkt schon genauer darüber nach?
Auch hier in der modern mit Holz und Edelstahl eingerichteten Messerwerkstatt wurde nun heftig über dieses Thema diskutiert und darüber verging die Zeit des eintönigen Arbeitens wie im Flug. Nebenbei hatte Nora noch eine Kanne Kaffee gekocht und jedem in seiner Lieblingstasse den dampfenden Muntermacher auf den Arbeitsplatz gestellt. Das mit den Tassen war eine Marotte der Angerers – aus jedem Urlaub brachten sie als Andenken welche mit und Nora kaufte immer wieder besonders schöne oder ausgefallene Tee- oder Kaffeetassen. Inzwischen war dafür sogar eine eigene Vitrine angeschafft worden. Eine weitere Eigenart Noras, die ihren Vater jeden Tag aufs Neue den Kopf schütteln ließ, war, dass sie in ihren Kaffee stets fünf Stück Würfelzucker warf – allerdings ohne umzurühren. Auf die Frage hin, warum sie nicht umrühre, antwortete sie, das wäre ihr dann zu süß. Was sollte man dazu noch sagen?
Es dauerte an diesem Tage noch über eine Stunde, bis Felix endlich auffiel, dass es im oberen Stockwerk immer noch so ruhig war.
„Immer noch nichts zu hören, da oben. Sogar unser Firmenwachhund Moritz hat noch keinen Mucks von sich gegeben“, stellte Felix fest, doch seine Schwester konterte sofort:
„Der Moritz ist doch stocktaub. Wenn die Schlafzimmertür von Opa geschlossen ist, hört der uns hier unten garantiert nicht.“
„Ich glaub, der will nur nicht hören und stellt sich taub. Aber komisch ist das schon“, meinte Felix dann mit einem seltsamen Gefühl im Bauch. Irgendwas stimmte hier nicht – ganz und gar nicht. Er stand auf und mit einem Kopfnicken gab ihm sein Vater zu verstehen, dass es nun in Ordnung war, wenn er nach seinen Großeltern sah. Doch Nora sprang ebenfalls auf und rief ihrem Bruder zu:
„Ich weck Opa!“, und schon war sie zur Tür hinaus und bereits auf der Treppe, als Felix sie einholte. Er hatte mal wieder zuerst seine fast in den Kniekehlen sitzende Jeans hochziehen müssen, die ihm trotz Gürtel immer wieder über seine mageren Hüften rutschte. Jedes Mal, wenn er das tat, schüttelten die erwachsenen Mitglieder seiner Familie über diese unmögliche neue Mode verständnislos die Köpfe. Die Jungs sollten sich mal von hinten sehen – sie sahen aus, als hätten sie die Hosen voll! Und das Treppensteigen ging auch nicht so einfach, sodass Felix hinter seiner Schwester herstolperte.
„Das ist unfair, Nora! Warum muss ich nach Oma gucken?
Seit sie krank ist, ist sie mir noch unheimlicher“, raunte Felix seiner Schwester zu, doch ihr Blick duldete keinen Widerspruch. Wenn es um ihren Opa ging, war sie gnadenlos und außerdem mochte Oma ihren kleinen Felix wesentlich lieber als ihre Enkelin. Also war es nur gerecht, dass Felix nun nach ihr schauen musste. Wieder klopfte Nora zuerst vorsichtig, und als keine Antwort kam, etwas energischer an die Schlafzimmertüre ihres Großvaters. Felix war an ihr vorbei und den Gang hinunter gegangen, um an der letzten Türe zu klopfen. Auch er bekam keine Antwort und die Geschwister sahen sich fragend an. Sollten sie einfach so hineingehen? Würde das im Falle der Großmutter nicht ein mächtiges Donnerwetter geben? Die beiden jungen Leute nickten sich zu und gemeinsam drückten sie die jeweilige Türe auf. Da die Großeltern die Angewohnheit hatten, in völliger Dunkelheit zu schlafen, sahen die Geschwister zunächst nichts. Erst als sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse des einfallenden Flurlichtes gewöhnt hatten, konnten sie die Umrisse der Zimmer und schließlich auch die Betten erkennen. Fast gleichzeitig stießen sie einen lauten Entsetzensschrei aus, wobei der von Felix wegen seines Stimmbruchs sofort überschlug und nur noch ein heißeres Krächzen übrig blieb. Während Nora unmittelbar darauf zurück auf den Flur gelaufen kam und dabei rief:
„Opa ist weg!“, rührte sich Felix nicht von der Stelle. Wie erstarrt hielt er immer noch die eiskalte und steife Hand seiner Oma fest, als wäre er an ihr festgefroren.
„Was ist mit Oma?“, fragte Nora, während sie durch den Flur schlitterte. Beinahe wäre sie auf einem der vielen kleinen Teppichläufer ausgerutscht, die ihre Oma im ganzen Haus liegen hatte.
„Ist Oma da?“, wollte Nora wissen, bevor sie überhaupt ganz im Zimmer war. Als sie dann ihre Oma schemenhaft im Bett liegen sah, raunzte sie ihren Bruder an:
„Warum schreist du denn so? Oma ist doch da, nur der Opa ist weg!“ Mit diesen Worten schubste sie ihren Bruder unsanft zur Seite, wobei der die Hand seiner Oma loslassen musste und diese dann kraftlos aus dem Bett rutschte. Nora achtete gar nicht darauf, sondern umrundete das Bett und schaute nach, ob ihr Opa neben seiner Frau kuschelte. Sie machte das ganz automatisch, ohne darüber nachzudenken, dass das Krankenbett doch viel zu schmal war, um zu zweit darin liegen zu können. Erst als sie sich davon überzeugt