Ostprinzessinnen tragen keine Krone. Cornelia Heynen-Igler

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Ostprinzessinnen tragen keine Krone - Cornelia Heynen-Igler

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Mensch. Später hat sie einmal gesagt, dass sie viele falsche Freunde und nur wenige echte in ihrem Leben gehabt habe, aber zum Glück habe sie die guten von den schlechten stets zu unterscheiden gewusst. Später, nach dem Fall der Mauer, hat sie auch ihre ehemaligen Schulfreundinnen aus ihrer Kindheit im Osten von Usedom wieder regelmäßig getroffen. Die »Mädels« haben bis ins hohe Alter was zusammen unternommen, Reisen, Geburtstagskränzchen, Shoppingtouren. Aber bei all dem Spaß, den die sechs Frauen miteinander hatten, haben sie schon auch über sehr persönliche Dinge gesprochen. Ich bin mir sicher, dass ich und mein verrücktes Leben in der Runde mehr als nur einmal zur Sprache kamen.

       1961, als in Berlin die Mauer gebaut wurde, kam mein Bruder Ralf in Greifswald zur Welt. Mein Vater arbeitete weiter an seiner Karriere. 1963 wurde er als Stabschef der 6. Flottille nach Dranske auf Rügen versetzt, wo er bald zum Fregattenkapitän befördert wurde. Die Familie zog also von Peenemünde nach Dranske, in ein von der Armee zur Verfügung gestelltes Einfamilienhaus direkt am Wasser, wo ich heute noch manchmal hingehe. Es war sehr idyllisch dort. In Dranske wurden meine Schwester und vier Jahre später auch mein Bruder eingeschult. Im Gegensatz zu Marina, die eine ausgezeichnete Schülerin war, hatte mein Bruder oft mit schulischen Problemen zu kämpfen. Er war ein schwieriges Kind, das seinen Vater jedoch geradezu vergötterte. Das war wohl auch das Tragische an Ralfs Leben, dass er seinem Vater stets vergeblich nachzueifern suchte, die beiden waren ja grundverschieden. Irgendwie hat es einfach nie ganz gereicht, und das muss Ralf sehr wehgetan haben, zumal mein Vater sich ihm gegenüber mit seiner Meinung genauso wenig zurückgehalten hat, wie uns allen und vor allem sich selbst gegenüber. Ich glaube auch, dass Ralfs spätere Alkoholprobleme damit zu tun hatten, dass er mit dem Druck und der Bürde, unseres Vaters Sohn zu sein, nie ganz klargekommen ist.

       Meine Geschwister waren ja um einiges älter als ich, und als ich 1969 als »Nesthäkchen« geboren wurde, war Marina mit ihren dreizehn Jahren bereits ein Teenager. Sie hat später oft die Rolle einer Ersatzmutter für mich übernehmen müssen, vor allem, als meine Mutter im Krankenhaus zu arbeiten anfing und ich aufgrund ihrer Schichtarbeit oft allein war. Meine Schwester hatte es in ihrer Jugend nicht immer leicht, sie musste früh Verantwortung übernehmen. Vielleicht mit ein Grund dafür, dass meine Mutter und sie phasenweise ein recht angespanntes Verhältnis hatten. Auch Marina und ich geraten bis heute immer wieder mal aneinander, wir sind schon sehr unterschiedlich. Wenn ich in ihren Augen zu wenig Beherrschung habe, dann hat sie in meinen zu viel. An ihrem 60. Geburtstag in einem Gutsherrenhaus in Mecklenburg zum Beispiel habe ich ihr, ohne es zu wollen, das Fest gründlich vermasselt, weil ich dem in meinen Augen unfähigen Servicepersonal dort gehörig die Meinung gesagt habe – vor der ganzen Festgesellschaft, versteht sich. Marina fühlte sich in ihrer Rolle als Gastgeberin und Grande Dame brüskiert und hat sich für mich in Grund und Boden geschämt. Nachher herrschte erst mal eine Weile Funkstille zwischen uns, und bis heute haben wir noch nicht richtig über den Vorfall geredet. Schade, aber über kurz oder lang finden wir immer wieder den Rank zueinander.

       Im Gegensatz zu meiner älteren Schwester wurde ich in dem Sinn verwöhnt, dass ich mir schon früh Dinge herausnehmen durfte, die ihr und meinem Bruder noch versagt geblieben waren. Wohl haben meine Eltern mir gegenüber mehr Nachsicht geübt, was sich bestimmt auch auf mein Wesen und mein Gemüt ausgewirkt hat. Als wir unsere Mutter im Erwachsenenalter mal fragten, welches von uns drei Kindern sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde, meinte sie geradeheraus: »Katja – die kennt sich aus und nimmt nichts so schwer!«

       1969, im Jahr meiner Geburt, wurde mein Vater zum Konteradmiral ernannt. Er war Anfang der 1970er-Jahre der jüngste Admiral der DDR, was der »Neuen Berliner Illustrierten« – einer damals auflagestarken Wochenzeitschrift – ein wohlwollend formulierter Artikel wert war. In dem 1972 erschienenen Interview fragte ein Journalist meinen Vater, ob er als »Landratte« aus Sachsen-Anhalt in seiner Eigenschaft als seefahrender Admiral noch nie unter Seekrankheit gelitten habe. Schließlich hatte mein Vater zu dem Zeitpunkt mit all seinen Seereisen zusammen schon fast die Welt umsegelt. »Das ist vornehmlich eine Willensfrage«, erwiderte mein Vater nüchtern, »man muss sich überwinden können.« Typisch! Eigentlich habe ich meinen Vater als Privatperson erst nach 1988 bewusst wahrgenommen, nachdem er aus dem Aktivdienst entlassen worden war. Aber da waren meine Geschwister ja schon aus dem Haus und führten ihr eigenes Leben; sie hatten meinen Vater bestimmt auf eine andere Art kennengelernt als ich.

       »Mensch, wie habe ich das alles nur geschafft!«, hat meine Mutter im Nachhinein oft seufzend ausgestoßen. Sie muss es mit uns drei doch sehr unterschiedlichen und mitunter auch recht schwierigen Kindern nicht immer leicht gehabt haben, zumal sie sich ja kaum jemandem anvertrauen konnte. »Lasst euch ja nie in die Karten schauen!«, hat sie uns oft eingebläut, und ich glaube, dass sie sich selbst am meisten daran gehalten hat. Es blieb ihr ja auch nichts anderes übrig in einem System, in dem jeder jeden überwacht hat. Die Angehörigen der regierungsnahen Kreise waren davon nicht ausgenommen, ganz im Gegenteil. »Du musst den Feind in der Umarmung erdrücken«, war auch so ein mütterliches Losungswort, das mich nachhaltig beeindruckt und immer auch ein wenig befremdet hat. Ja, meine Mutter konnte unerbittlich sein, und in gewisser Weise war sie bei weitem härter und sturer als mein Vater. Nach außen Stärke zeigen, selbst wenn es einem innerlich noch so mies geht, das haben wir indes von beiden Elternteilen regelrecht eingetrichtert bekommen.

       Anfang der 1970er-Jahre wurde mein Vater nach Rostock abkommandiert. Dort übernahm er als Chef des Stabes der Volksmarine die Dienstgeschäfte. So zog die ganze Familie von Dranske nach Rostock in eine kleine Wohnung. Als mein Vater zu jener Zeit in der Familienchronik notierte, dass sich die Familie an die Umgebung gewöhnt hätte, schrieb meine Mutter spitz hinzu: »Das glaubst auch nur du!« Meine Mutter musste sich ja bei jedem Umzug in ihrem Alltag neu zurechtfinden und sich jedes Mal aufs Neue einen Freundeskreis aufbauen, während mein Vater durch seine berufsbedingte Abwesenheit in gewisser Weise sein eigenes Leben in der Männerwelt der Marine führte.

       Zwei Jahre später zogen wir dann innerhalb von Rostock in ein Haus in einer Siedlung für Armeeangehörige um. Das muss man sich als ein abgesperrtes Gebiet mit Bewachungskommando vorstellen, was für mich als Kind – ich war beim Einzug erst vier Jahre alt – nichts Ungewöhnliches war. Erst nach der Wende erfuhr ich von meinem Kinder- und Jugendfreund René, der als Admiralssohn auch in jener Siedlung aufwuchs, dass unser Haus vollständig verwanzt war, genauso wie das Telefon. Neben dem Diensttelefon meines Vaters hatten wir auch ein Privattelefon im Haus, wobei ein Privatanschluss in der damaligen DDR keine Selbstverständlichkeit war. Mir wird heute noch übel, wenn ich daran denke, was sich die Stasi aus meinem intimsten Jungmädchen-Leben alles angehört hat. Mein Vater hingegen hat gewusst, dass die Regierung über die Stasi ihre eigenen Leute ausspioniert. Darum hat er jeden neuen Chauffeur stets mit den Worten begrüßt: »Ich weiß schon, warum Sie hier sind!« Und von diesen sogenannten »IM« – inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit – hat mein Vater im Verlauf seiner Karriere eine ganze Menge kommen und gehen sehen, da er in seiner Position ungefragt einen Chauffeur mit Dienstauto zur Verfügung gestellt bekam. Darum hat mein Vater seinen Führerschein auch erst gemacht, als er pensioniert war: Vorher hätte es schlicht keine Veranlassung dazu gegeben.

       Unsere Familienkutsche indes hat meine Mutter chauffiert. »Solange ich eine Frau und einen Chauffeur habe, brauche ich keinen Führerschein«, pflegte mein Vater zu spaßen. Und wir hatten es ja auch gut: Während normale DDR-Bürger fünfzehn bis zwanzig Jahre auf ein Auto warten mussten, kamen meine Eltern ungleich schneller zu ihrem himmelblauen »Trabi« und später zu ihrem gelben »Wartburg«. Ich selbst habe mit siebzehn den Führerschein auf Lastwagen bei der »Gesellschaft für Sport und Technik« gemacht, für schlappe sechzig Mark. Daran erinnere ich mich noch genau, weil mir mein Bruder als Berufsoffizier damals das Fahren beigebracht hat.

       Dass wir privilegiert waren, habe ich erst im Alter von dreizehn, vierzehn Jahren bemerkt. Auch wir Kinder wurden herumchauffiert, wenn wir außerhalb der Schule Termine wahrzunehmen hatten, wie etwa einen Zahnarztbesuch oder einen

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