Ostprinzessinnen tragen keine Krone. Cornelia Heynen-Igler

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Ostprinzessinnen tragen keine Krone - Cornelia Heynen-Igler

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standen, und im Winter nach Oberwiesenthal ins Erzgebirge. Das war ein Topp-Winterkurort damals. Auch wenn ich die Ferien dort immer sehr genossen habe, ist mir doch schon mit neun oder zehn Jahren bewusst geworden, dass die Sonderstellung meines Vaters für uns Kinder auch Bürde und Verzicht bedeutete. In der Unterstufe wollte ich zum Beispiel – wie die Kinder mit Westkontakt – »Edding«-Filzstifte oder »Pelikan«-Füllfederhalter haben. »Pass auf«, sagte da mein Vater zu mir, »es gibt keine westlichen Produkte für uns. Als Tochter eines hochrangigen Offiziers musst du linientreu sein. Lass dich nur ja nie überreden!« Und wenn ich gefragt habe, warum, dann hat mein Vater weit ausgeholt. Seine Vorträge konnten gut und gern zwei Stunden dauern. Einmal habe ich zu Hause gefragt, ob ich in die Christenlehre gehen könne wie eine Mitschülerin von mir, die immer so wunderschöne farbige Heiligenbildchen bei sich hatte. Mein Vater, als überzeugter Atheist, ist natürlich fast vom Stuhl gefallen, ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke! Später habe ich begriffen, dass ich meine privilegierte Stellung zugunsten meiner weniger privilegierten Mitschüler nutzen konnte. Ich gehörte zu denen, die sich in der Schule für die Schwachen eingesetzt haben; ich war ja auch Klassensprecherin. Und wenn ich bei einer Aktion wieder mal Rädelsführerin war, rechnete ich natürlich insgeheim damit, dass mich mein Vater da schon wieder herausboxen würde, wenn’s hart auf hart käme. Trotzdem bekam ich in Staatsbürgerkunde regelmäßig schlechte Noten, weil ich »zu viele Fragen« stellte. Gerade ich, als meines Vaters Tochter, durfte mir so etwas in meiner sogenannten »Vorbildfunktion« nicht leisten!

       In der achten Klasse gab’s ein paar Jungs, die mit mir anbändeln wollten, aber mir gefiel nur einer: Timo. Obschon ich keine Jungs mit nach Hause bringen durfte, weil meine Mutter in dieser Beziehung überhaupt nicht offen war, hat sie’s herausgefunden. Daraufhin hat sie Timo kurzerhand nahege-legt, »das Kind« ein für alle Mal in Ruhe zu lassen. Später dann tauchte eine Zeit lang täglich um drei Uhr nachmittags ein Junge bei uns auf, der – weil ich mich nicht traute, ihn in die Wohnung zu bitten – ohne Wissen meiner Mutter vor meinem Fenster mit dem Fahrrad auf- und abfuhr. So konnten wir wenigstens miteinander sprechen. Ich lehnte mich wie ein wohl behütetes Burgfräulein aus dem Fenster, während mein Galan vor meinen Augen wacker seine Runden drehte. Als uns meine Mutter erwischte, setzte es eine Backpfeife und eine Standpauke, die es in sich hatte.

       Meine erste Liebe, das war Jens, ihn durfte ich sogar zur Jugendweihe einladen. Das war schon ein Fortschritt gegenüber meiner um dreizehn Jahre älteren Schwester, die ihren Freund erst heimbringen durfte, als sie mit ihm verlobt war. Meiner Mutter schien alles Sexuelle peinlich zu sein, sie hat uns auch nie aufgeklärt. Warum sie so verschlossen in diesen Dingen war – keine Ahnung. Jedenfalls hielt ich meine Tändeleien und Liebeleien vor ihr verborgen, so gut es eben ging. Erst als ich schon lange erwachsen war, erzählte ich ihr von meinen Jugendflirts. Auch von Tom, den ich gegen Ende meiner Schulzeit mit noch nicht einmal sechzehn Jahren kennengelernt hatte und der eine Art Lebensliebe von mir werden sollte, habe ich ihr erst sehr viel später erzählt. Ich habe heute noch Kontakt zu ihm, auch wenn wir längst kein Liebespaar mehr sind – na ja, ein Liebespaar im eigentlichen Sinn waren wir ja nie. Das war eher so eine »Amour fou«, eine On-Off-Beziehung, wie man heute sagt. Wir konnten nicht miteinander und nicht ohne einander, aber das, was uns über alle Hindernisse hinweg miteinander verbunden hat, erwies sich als solider und dauerhafter, als wir das selbst je geahnt hätten.

      Kennengelernt habe ich Tom 1984 zu einer Zeit, als ich oft bei meiner Freundin Simone* (*Name geändert) auf dem Landgut ihrer Familie in Brandenburg zu Gast war. Es handelte sich um ein riesiges Anwesen auf einem Hügel, dem unter anderem eine Fleischerei und eine Rennpferdezucht angehörten. Die Pferde wurden für teures Geld in den Westen verkauft. Es war paradiesisch dort, das Grundstück war ungeheuer weitläufig. Vor kurzem, als ich auf einem meiner regelmäßigen Deutschland-Besuche durch Brandenburg gefahren bin, habe ich an diesem verwunschenen Ort Halt gemacht. Das Tor zu dem weitläufigen Grundstück stand weit offen. Das einst so imposante Haus auf dem Hügel war jetzt vollkommen verlottert, aber der Zaun und das Tor sahen noch aus wie damals in den 1980er-Jahren. Simone habe ich inzwischen leider aus den Augen verloren. Sie war ein Jahr älter als ich, ausgesprochen fraulich und gutaussehend, und sie trug immer die schönsten Kleider. An einem Abend des Jahres 1984 haben wir uns beide aufgebrezelt und sind mit dem Taxi nach Potsdam ins Fünfsternehotel »Interhotel« gefahren, weil Simone dort einen Barkeeper kannte. Über ihn sind wir trotz unserer allzu jungen Jahre reingekommen und haben wie die Großen an der Bar Cocktails geschlürft. An jenem Abend waren auch die Techniker der österreichischen Pop-Rock-Band »Erste Allgemeine Verunsicherung«, kurz EAV, an der Bar. Die Band war damals nicht nur bei uns im Osten, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum groß im Kommen. Nachdem die EAV Ende der 1970er-Jahre in der alternativen Clubszene durch Deutschland getourt war, gelang ihr 1985 mit dem Album »Geld oder Leben!« der Durchbruch. Sicher kennst du so berühmte Lieder wie »Küss’ die Hand, schöne Frau« oder »Ba-Ba-Banküberfall« oder auch »Märchenprinz«. Ich glaube, ich könnte dir jetzt noch die allermeisten EAV-Hits auswendig vorsingen.

       Jedenfalls tauchte, während wir an der Bar mit den Technikern der EAV Cocktails tranken, auf einmal Thomas – Tom – Spitzer auf, der Texter, Komponist und Gründer der Band. »Du bist die schönste Fünfzehnjährige, die ich je gesehen habe«, sagte der über Dreißigjährige zu mir, was mir natürlich schmeichelte. Ich fand den Mann auf den ersten Blick umwerfend. Die Musiker wollten Simone und mich anderntags im Tourenbus nach Rostock mitnehmen, wo sie ein Konzert gaben. Unglücklicherweise aber haben wir beiden jungen Frauen aufgrund des ungewohnten Alkoholkonsums anderntags verschlafen: Als wir endlich aus den Federn kamen, war der Bus längst schon weg. Aber wir ließen uns nicht unterkriegen und sind dann doch noch nach Rostock zum Konzert getrampt, wo wir die Türsteher vergebens anbettelten, uns doch reinzulassen. Zufälligerweise kam ein Techniker vorbei, der uns wiedererkannte und uns zu sich hereinwinkte. Simone und ich bahnten uns Hand in Hand einen Weg durch die Menge bis zuvorderst zur Bühne, wo wir backstage das Konzert mitverfolgen durften. Es war überwältigend.

       An jenem Abend ging ich nach dem Konzert mit Tom aufs Hotelzimmer, er wohnte im Interhotel »Warnow« in Rostock. Wir verbrachten die ganze Nacht zusammen, obwohl wir nicht miteinander schliefen. Zu unserem Glück – das ganze Zimmer war ja völlig verwanzt, wie ich natürlich erst Jahre später erfuhr. Tom hatte einen Heidenrespekt, ich war ja noch nicht einmal volljährig. Er behandelte mich, als sei ich eine Porzellanpuppe, die bei der geringsten unbedachten Berührung in tausend Stücke zerfallen könnte. Nach dieser fast unwirklichen Nacht in Rostock rief ich Tom manchmal von zu Hause von unserem verwanzten Privattelefon aus an, während er auf Tournee war. Also wussten die Stasi und, wie ich vermute, wohl bald auch mein Vater von meiner Liaison mit dem »Musiker aus dem Westen«, was natürlich ein doppeltes No-Go war. Erst viele Jahre später habe ich meiner Mutter von meinen Abenteuern mit Tom erzählt, die das alles erst gar nicht glauben wollte. »Du bist ja schon dein Geld wert, Katja«, seufzte sie kopfschüttelnd und schmunzelte doch wider Willen. Wie sie allerdings reagiert hätte, wenn ich ihr 1984 die Geschichte gebeichtet hätte, wage ich mir nicht einmal vorzustellen. Mein Vater war in Bezug auf Jungs sehr viel toleranter als meine Mutter, aber er wäre ihr in Erziehungsfragen nie in den Rücken gefallen. Sie gab bei uns zu Hause den Ton an, und was sie sagte, war Gesetz.

       Es kam, wie es kommen musste: Thomas Spitzer und ich sahen uns von 1984 bis zum Mauerfall 1989 ungefähr alle zwei Jahre, immer dann, wenn die EAV – die sich mittlerweile von Erfolg zu Erfolg hangelte – in der DDR auf Tournee war. Tom, der eigentlich eher ein Faible für erfahrene, ja im Gegensatz zu mir fast schon verruchte Frauen hatte, war ungeheuer zärtlich und liebevoll zu mir. Er bedachte mich mit allerlei Kosenamen; ich war sein Engel, sein Katilein, seine »Admiralstochter«, wie er mich im Scherz oft nannte. »Du warst meine jüngste große Liebe«, sagt er heute noch zu mir. Trotzdem war mir von Anfang an bewusst, dass das mit Tom nie etwas werden könnte, denn die Grenzen zwischen uns waren im wahrsten Sinn des Wortes unüberwindbar.

       Mit sechzehn, nach Schulabschluss, wollte ich eigentlich Zootierpflegerin werden. Da es für den Beruf in der ganzen DDR jedoch nur etwa drei

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