Verschwundene Reiche. Norman Davies

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Verschwundene Reiche - Norman Davies

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vernachlässigt. Er war ein vorzüglicher Weinkenner und untersagte in detaillierten Erlassen beispielsweise den Anbau der minderwertigen Rebsorte Gamay oder dass durch übermäßigen Einsatz vom Dünger der Quantität der Vorzug vor der Qualität gegeben werde. Kleinstädte wie Pommard, Nuits St. George und Beaune entwickelten sich während seiner Regierungszeit zu bedeutenden Zentren des Weinhandels. In einem seiner Güter im Château de Santenay an den Hängen der Côte d’Or werden noch heute Weine produziert, die seinen Namen tragen.105 Außerdem war er der erste Bauherr des Palais de Duc in Dijon.106

      Phihpps Sohn Jean sans Peur (Johann Ohnefurcht), der als junger Kreuzritter bei Nikopolis gegen die Türken gekämpft hatte, festigte die Macht und den Einfluss des Hauses Burgund. Nach endlosen Auseinandersetzungen mit seinen französischen Verwandten wurde er im September 1419 vom Dauphin zu einer Unterredung auf die Brücke von Montereau in der Nähe von Paris gelockt und dort von dessen Begleitern ermordet.107 Johanns Sohn Philippe le Bon (Philipp der Gute) war als junger Mann Graf von Charolais und führte die burgundischen Lande zu hohem Ansehen und Wohlstand. Er vergrößerte sie durch den Erwerb von Namur und Luxemburg, durch die Eroberung von Holland, Seeland und Friesland in den sogenannten Kalten Kriegen und durch das Erbe von Brabant, Limburg und Antwerpen. Ganz und gar unbescheiden, stellte er sich gerne als »Großherzog des Westens« vor.108

      Die Bestattung von Philipp dem Guten wird häufig als eines der prunkvollsten burgundischen Schauspiele gerühmt. Sie fand 1467 in Brügge statt und wurde ausführlich vom Hofchronisten Chastellain beschrieben. Hunderte schwarz gekleidete Trauergäste wurden auf Kosten des Hofes mit Umhängen ausgestattet, die ihren gesellschaftlichen Status zum Ausdruck brachten. In der Kirche St. Donatian in Brügge waren so viele Kerzen entzündet worden, dass man die Buntglasfenster durchbrechen mussten, um die Hitze entweichen zu lassen. Zwanzigtausend Zuschauer verfolgten den Fackelzug:

      Die sterblichen Überreste von Herzog Philipp … wurden in einen geschlossenen bleiernen Sarg gebettet, der mehr als 240 Pfund wog. Ein goldenes Tuch, das 32 Ellen maß und mit schwarzem Satin besetzt war, bedeckte den Sarg. Zwölf Armbrustschützen der Garde trugen ihn, während das goldene Sargtuch von 16 Baronen gehalten wurde … Ein Baldachin, der auf vier großen Stangen ruhte, wurde von vier burgundischen Edlen in die Höhe gehoben: den Grafen von Joigny, Bouquan und Blancquehain sowie dem Seigneur von Chastelguion. Unmittelbar dahinter gingen Meriadez, der Oberstallmeister … und der fürstliche Beisetzungsleiter. Er trug das Herzogsschwert seines verstorbenen Herrn, das in seiner reich verzierten Scheide steckte und mit der Spitze auf den Boden zeigte.109

      Während der Beisetzung wurde das Schwert, ähnlich wie im französischen Hofzeremoniell, an Karl übergeben, den Sohn und Erben des Verstorbenen. Dies symbolisierte die Kontinuität der fürstlichen Herrschaft – es wies aber auch bereits darauf hin, dass Karl sich des Schwertes ausgiebig bedienen sollte.

      Charles le Téméraire erhielt die Beinamen »der Kühne«, der »Tapfere« oder auch »der Schreckliche«. Er war Sohn einer portugiesischen Prinzessin und aufgrund aufeinanderfolgender Eheschließungen Schwager der Könige von Frankreich und von England. Seine kriegerische Einstellung zeigte sich schon vor dem Tod seines Vaters, als er 1466 in der aufständischen Stadt Dinant alle Männer, Frauen und Kinder töten ließ. Sein größter Fehler war, dass er gleichzeitig alle Nachbarn gegen sich aufbrachte, und während der komplizierten burgundischen Kriege in den 1470er-Jahren verbündeten sich schließlich seine Feinde gegen ihn. Bald sah er sich im Westen von Ludwig XI. von Frankreich bedrängt, der auch »der Listige« oder »die Spinne« genannt wurde, und im Osten von den Lothringern, den Kaiserlichen und den Schweizern.110

      Die Schweiz, die sich mittlerweile große Teile des früheren »Hochburgund« einverleibt hatte, erwies sich als der gefährlichste Gegner des burgundischen Reiches. In drei Schlachten wurde Karl gedemütigt, ausgespielt und schließlich vernichtet. In der Schlacht bei Grandson im Kanton Waadt (2. März 1476), wo er zuvor die Garnison massakriert hatte, wurden Karls Truppen in die Flucht geschlagen, und den Eidgenossen fiel in deren zurückgelassenen Lagern reiche Beute in die Hände, darunter auch Karls silberne Badewanne. In der Schlacht am See von Morat (Murten) im Kanton Bern (22. Juni 1476) wurde Karls Armee praktisch ausgelöscht, und viele seiner Soldaten ertranken. Bei der Belagerung von Nancy (5. Januar 1477) fand auch Karl schließlich den Tod. Der Chronist Philippe de Commynes berichtete, was er erfahren hatte:

      Die wenigen Soldaten des Herzogs … die in schlechter Verfassung waren, wurden sogleich entweder getötet oder in die Flucht geschlagen … Der Herzog von Burgund fiel im Feld … Wie dies geschah, wurde mir von Gefangenen erzählt, die sahen, wie er zu Boden gestoßen wurde … Eine Gruppe von Soldaten stürzte sich auf ihn, tötete ihn und beraubte seinen Leichnam, ohne ihn zu erkennen. Dieser Kampf … fand am Vorabend der Erscheinung des Herrn statt. [Zwei Tage später] wurde der nackte Leichnam des Herzogs, der mitüerweile zu einem Eisklumpen gefroren war, erkannt: Der Kopf war bis zum Kinn von einer schweizerischen Hellebarde gespalten und der Leib mehrfach von schweizerischen Lanzen durchbohrt worden.111

      Commynes, der früher Karl dem Kühnen gedient hatte, traf ein hartes Urteil. »Nicht einmal halb Europa«, schrieb er, »hätte ihm genügt.«112

      Als »Beute von Burgund« wurden die vielen kostbaren Kunstgegenstände bezeichnet, die den Schweizern bei Grandson in die Hände fielen und die später auf dem europäischen Kunstmarkt auftauchten,113 doch diese Bezeichnung lässt sich auch auf das Schicksal des gesamten burgundischen Herrschaftsverbunds beziehen. Im Laufe weniger Jahre zerfiel der Machtbereich der burgundischen Herzöge und Grafen. Das Herzogtum, das schnell von französischen Truppen besetzt wurde, fiel an Frankreich. Die Freigrafschaft, »Franche-Comté«, kam einige Zeit später zum Heiligen Römischen Reich. Damit war die Verbindung zwischen dem Herzogtum und den Niederlanden durchtrennt.

      Die 19 Jahre alte Tochter des verstorbenen Herzogs, Maria von Burgund (1457–1482), konnte sich nun vor Freiern kaum mehr retten. Da sich die Franzosen ihr Herzogtum angeeignet hatten, blieben ihr nur noch die Niederlande. Doch auch dort brodelte es. Die niederländischen Adeligen wollten ihr erst dann zu heiraten erlauben, wenn sie ihnen ein »Großes Vorrecht« eingeräumt und alle Verpflichtungen aufgehoben hatte, die ihnen ihr Vater auferlegt hatte. Schließlich durfte Maria ihre freie Wahl treffen, und sie entschied sich für Maximihan von Habsburg, den Sohn des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches. Die Hochzeit fand in Gent am 19. August jenes Jahres statt, das mit der Schlacht von Nancy begonnen hatte. Fünf Jahre später lebte Maria nicht mehr – sie kam bei einem Sturz vom Pferd ums Leben114 –, doch in dieser kurzen Zeit hatte sie drei Kinder zur Welt gebracht, die das politische Vermächtnis ihrer Heirat sicherten. Ihr verwitweter Ehemann wurde Erbe des Kaisertitels, ihr Sohn Philipp IV. heiratete die Königin von Aragónien und Kastilien, und ihr Enkel, Karl von Gent, Keizer Karel, besser bekannt als Kaiser Karl V., sollte die größte Ansammlung von Titeln und Territorien sein eigen nennen, die jemals ein europäischer Monarch besaß.115

      In geografischer Hinsicht war das bedeutendste Ergebnis der Regelung von 1477 die dauerhafte Trennung des Herzogtums Burgund vom Rest des »Burgundischen Erbes«. Das Herzogtum kehrte zurück in das Königreich Frankreich, in dem es als »Bourgogne« eine der Provinzen des Ancien regimes wurde. Die restlichen Gebiete fielen an die Habsburger, die für zusätzliche Verwirrung sorgten, indem sie den Titel »Herzog von Burgund« annahmen, ohne das Herzogtum zu besitzen. Der Titel des Herzogs von Burgund, den alle habsburgischen Kaiser von 1477 bis 1795 führten, bezog sich daher auf ein ganz anderes Gebiet als jenes, das einst dem Titel »König von Burgund« zugrunde gelegen war und den die früheren Kaiser verwendet hatten.

      Die Freigrafschaft entwickelte sich in eine andere Richtung. Im Jahr 1477 wurde sie von Frankreich annektiert, aber 16 Jahre später kam sie durch den Vertrag von Senlis wieder zum Heiligen Römischen Reich und wurde von den Habsburgern als „heimgefallenes Lehen“ [A. d. Red.] dem »Burgundischen Erbe« hinzugefügt. Ihr Status wurde 1512 bekräftigt, zu einer Zeit, als der Titularherzog Karl II., (der noch nicht Kaiser Karl V. war) die Schaffung einer neuen Verwaltungseinheit, des Burgundischen Reichskreises, erwog.116 Vom 16.

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