Den Kopf hinhalten. Jens Rosteck

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      Nie verstand ich, was genau sich da abspielte. Nie sagte er mir, ob wir es mit Huren zu tun hatten oder mit Künstlerinnen. Vielmehr, so war mein Eindruck, mit Lebenskünstlerinnen oder Überlebenskünstlerinnen.

      „Nimm sie dir“, war das Einzige, was er mir auftrug, wenn er bemerkte, wie ich einer von ihnen mit den Augen folgte. „Sie gehören uns beiden.“

      Lange Zeit hörte ich gleich wieder weg, wenn er so daherredete. Und irgendwann, selten, manchmal, regelmäßig, griff ich tatsächlich zu.

      Es war ja nichts dabei.

      Einige von Enzos Freundinnen konnten tanzen oder singen, einige trugen nur einen Fummel, einige wussten seinen Namen nicht oder benutzten einen anderen. Anderen fehlten fast alle Zähne, andere hatten wunderschöne Porzellangesichter, andere trugen Perücken. Einige ignorierten mich, einige umschmeichelten mich, einige griffen mir noch auf der Straße in den Schritt und stießen mir ihren heißen Atem ins Gesicht, einige zerkratzten mir mit ihren langen, messerscharfen Fingernägeln den Rücken, wenn ich mich über sie warf und sie verzweifelt zu lieben versuchte. Keine von ihnen ahnte, dass sie sich von einem weltberühmten Pianisten beschlafen ließ, der ihr Paris mit dem Mittelmeer seiner Kindheit gleichsetzte. Keine von ihnen wollte Geld.

      Einige taten alles dafür, dass man sie gleich wieder vergaß, andere sah man nie wieder, und manche blieben einem im Gedächtnis haften wie eine besonders hohe Welle, ein gelungener Zweiunddreißigstel-Lauf oder ein bemerkenswertes Wort. Manche wollte man einfach nur minutenlang betrachten, so attraktiv und verträumt waren sie, so verschlagen und so unergründlich, und darauf warten, dass sie sich in einen verknallten. Tomber amoureux, sagten die Franzosen – in die Liebe hineinfallen, hineinstolpern, hinunterstürzen. Das hatte Enzo mir beigebracht. Und gleich hinterhergeschoben: „Fall ja nicht auf sie rein. Mach besser einen Rückzieher.“ Keine Fortsetzung!

      Wenige dieser Mädchen gab es, die keine Fallenstellerinnen waren. Die den Mut hatten, die Rollen zu tauschen und auch zurückzustarren. Die sich auf mich konzentrierten. Die in meinem Gesicht wie in einer aufgeschlagenen Partitur lasen, die unsere stummen Flirts wie mit einer inneren Kamera festhielten und darauf achteten, dass ich mich nicht außerhalb der Reichweite ihres Suchers befand. Die darauf spekulierten, dass unsere Blicke sich vereinigen und nie mehr aus ihrer Umklammerung lösen würden.

      Die waren mir die liebsten.

      Und eine davon warst du, Géraldine.

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