Baltrumer Dünensingen. Ulrike Barow

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Baltrumer Dünensingen - Ulrike Barow

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gestellt hatte, nicht aufgegeben, obwohl man sie schon eindringlich darum gebeten hatte. Wenn sie sich kaum darin aufhielt, könnte sie es auch anderen zur Verfügung stellen, hatte ihr Chef gesagt. Aber sie war sich nicht sicher, brauchte ab und zu einen Ort zum Luftholen, wenn Karsten mal wieder über die Stränge schlug. Nein, sie bezahlte ihre Miete pünktlich, und alles andere war ihre Sache. Karsten musste auch an diesem Nachmittag ein wenig warten. Bevor sie zu ihm fuhr, wollte sie in Ruhe mit ihrer Freundin telefonieren. Die nächste Woche war voll mit Terminen, da war ein längeres Gespräch nicht drin.

      Am Donnerstag stand die Wahl der Miss Baltrum an, und Freitag war Party im Festzelt. Natürlich hätte sie gerne in der Kajüte, im Inselkeller oder im Kiek Rin gefeiert. Alles Kneipen, in denen viele Jahre der Bär losgewesen war. Aber sie waren nicht mehr für den Publikumsverkehr geöffnet. So hatten sie sich auf eine Zeltfete geeinigt. Am Freitag und Samstag würde DJ Freddy auflegen. Als das Programm veröffentlicht worden war, hatten unendlich viele Insulaner sie darauf mit einem Leuchten in den Augen angesprochen. »Noch einmal so wie früher«, war der häufigste Satz gewesen. Aber nicht nur Insulaner, auch Gäste, die die Ankündigung im Veranstaltungskalender gelesen hatten, hatten sich gemeldet und ihr so manches Erlebnis aus der Zeit Ende der 70er erzählt.

      Natürlich wurde auch für die Kinder etwas geboten. Ein Lampionumzug war für Freitagnachmittag vorgesehen und am Samstag ein Kinderfest mit Sackhüpfen am Strand. Nicht zu vergessen das Dünensingen für Große und Kleine. Das war damals beliebt und eine der wenigen Veranstaltungen, die bis heute großen Zuspruch fand. Wie immer wurde dazu die Mundorgel benötigt, das kleine rote Liederbuch, das es bereits seit über 50 Jahren gab, aber das sie zum ersten Mal gesehen hatte, als sie ihren Job auf der Insel antrat.

      »Na, Feierabend?«, hörte sie eine kratzige Stimme vom Nachbargrundstück, als sie die Gartenpforte öffnete.

      Es war Hilko Tebben, ihr Nachbar, der sein Haus schon vor Jahren seinem Sohn übergeben hatte und nun gerne neben der Haustür auf der Bank saß und die vorbeiziehenden Menschen in eine Unterhaltung verwickelte. So gerne, dass ihr inzwischen bereits etwas fehlte, wenn er sie nicht nach der Arbeit begrüßte. Sie winkte rüber und nickte freundlich. »Alles geschafft«, war ihre beinahe stereotype Antwort.

      »Geht es mit der Elvis-Woche voran?«, rief er herüber.

      Andrea atmete tief durch. Zu Anfang hatte sie es für eine gute Idee gehalten, sein Wissen um die 70er anzuzapfen. Inzwischen bereute sie fast, ihn eingebunden zu haben. Er ließ einfach nicht locker, wollte jeden Abend einen Zustandsbericht. »Es läuft. Auch die anderen Veranstaltungen. Die Gäste können anreisen«, rief sie.

      »Da muss ich dir noch was erzählen. Komm mal rüber.«

      Das hatte ihr gerade gefehlt. Sie wollte duschen und sich dann auf die Couch kuscheln. Oder höchstens mit Karsten im Garten arbeiten. Was sie auf gar keinen Fall anstrebte, war ein nicht enden wollendes Gespräch mit Hilko Tebben. Aber was blieb ihr übrig als gute Nachbarin? Außerdem hatte sie ihn gebeten, an einem der Tage im Kinderspielhaus einen Vortrag über die Zeit damals zu halten. Sie war sicher, dass sich eine Menge Gäste dafür interessierten. Und erzählen konnte der Mann. Ausführlich. Sie ging zu ihm.

      »Nur ganz kurz«, begann er.

      Sie musste grinsen. Das wäre das erste Mal, dass dieser Mann sich kurzfasste.

      »Als du eben sagtest, die Gäste könnten kommen, fiel mir etwas ein, was ich den Leuten über die Vermietung damals erzählen könnte.«

      »Hilko! Hilko! Abendessen ist fertig!«

      Andrea atmete auf. Peteda Tebben war aufgetaucht, mit kurzen hellgrauen Locken, die Hände in der Kittelschürze. »Hältst du die arme Frau wieder auf?«

      Hilko Tebben drehte sich um. »Was du immer hast. Andrea hatte eine Frage, und ich habe sie beantwortet.« Er zwinkerte Andrea zu, was auch Peteda nicht entging.

      »Dann gehe ich mal.« Andrea stand auf. »Lasst es euch schmecken.«

      »Bis morgen«, rief Hilko hinter ihr her. »Und mit meinem Vortrag, das geht klar.«

      Eines war sicher: Was auch immer der nächste Tag und alle folgenden brachten, ihrem Nachbarn würde sie nicht entkommen können. Vielleicht sollte sie doch zu Karsten ziehen.

      2

      Ulf deutete auf eine Bank ganz hinten neben dem Kiosk. »Dort ist Platz.«

      Sigmar versuchte, seinem Mann zu folgen, was gar nicht einfach war. Ein kleines Kind saß mitten im Gang, zwei Hunde kämpften um die Platzherrschaft, und eine gut gefüllte Reisetasche blockierte den Weg. Außerdem sah er drei Menschen von der anderen Seite bedrohlich schnell näherkommen. Sie schafften es beinahe gleichzeitig. Ulf schob sich durch zum Fenster, und Sigmar schloss sich ihm an. Die drei anderen Gäste ließen sich ebenfalls auf die Bank fallen.

      Einer von ihnen atmete tief durch. »Mein lieber Schwan, das wäre aber beinahe ziemlich danebengegangen. Die Baustelle auf der A31 hatte ich nun gar nicht eingerechnet.«

      »Wir haben mit einem Stau gekämpft«, rutschte es Sigmar heraus, obwohl er eigentlich keine Lust auf ein Gespräch hatte. Auch sie hatten in letzter Minute in Neßmersiel die Fähre erreicht, die Koffer in den Container geschoben und das Auto abgegeben. Dann waren sie auf das Schiff gerannt. Gleich darauf wurde der hintere Landgang eingezogen.

      »Stammgäste?« Der Mann zog eine Flasche Wasser aus der Tasche und nahm einen tiefen Zug.

      »Kann man so nicht sagen. Ich war Mitte der 70er in den Sommermonaten hier und habe als Strandfotograf bei Stadtlander gearbeitet. Jetzt will ich in die Vergangenheit abtauchen, und mein Mann muss mit. Da gibt es so eine irre Erinnerungswoche mit Partys und so weiter auf der Insel«, erklärte Sigmar.

      »Genau deswegen sind wir auch hier. Ich bin Hans, die beiden mir gegenüber sind Marga und Bernd. Wir kommen jedes Jahr regelmäßig nach Baltrum. Mal kürzer, mal länger. In diesem Jahr haben wir Glück gehabt und genau für diese Woche eine Unterkunft gefunden. Wie heißt ihr, wenn die Frage erlaubt ist?«

      »Ich bin Sigmar, und das ist Ulf. Ulf kennt die Insel bis jetzt nicht, und ich bin gespannt, was sich alles verändert hat. Ist da dieser Bäcker bei der Kirche eigentlich noch? Der hatte immer so tolles Weißbrot.«

      Die drei lachten. »Schon ewig nicht mehr. Es gibt zwei Supermärkte mit Backstube. Und das Knusperhuuske. Das betreibt die Tochter des ehemaligen Bäckers. Da könnt ihr das Weißbrot bestellen.«

      Sigmar sah sich um. »Mit diesem Schiff sind wir damals auch gefahren. Es wurde genau in dem Jahr in Dienst gestellt, als ich hier war.«

      »Das war 1977«, fügte Ulf hinzu. »Ich weiß es genau. Er hat mir oft genug davon erzählt.«

      »Du wirst dich wundern, was sich getan hat. Sollen wir uns nicht morgen mal im Strandcafé treffen? Zum Erfahrungsaustausch?«, fragte Marga.

      »Machen wir«, antwortete Sigmar, ohne eine Antwort von Ulf abzuwarten. »Prima. Aber jetzt schaut mal«, sie zeigte aus dem Fenster, »da steckt ein Seehund seinen Kopf aus dem Wasser. Wir werden gleich bestimmt viel mehr sehen, wenn wir an der Ostspitze von Norderney vorbeikommen.«

      Tatsächlich sah Sigmar wohl an die 200 Tiere, die sich in der Sonne aalten. Dahinter fiel ihm das Wrack eines Schiffes auf. Wie war das noch? Genau. Ein Heringslogger war auf eine Sandbank gelaufen, und die Besatzung eines Muschelbaggers wollte zu Hilfe kommen, setzte jedoch das eigene Schiff auf Grund. Der Logger

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