Baltrumer Dünensingen. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Dünensingen - Ulrike Barow страница 5
»Darf ich mich umsehen?«
»Natürlich. Dafür sind die Bilder hier«, erwiderte sie. Sie wunderte sich, dass Wurzellage noch nicht aufgetaucht war. Sie hatte ihn gebeten, heute im Laden zu sein, da sie in das Fest des Heimatvereins eingebunden war. Ebenso wie ihre Schwester Änne. Sie hatte sich für den Kuchenstand entschieden.
»Lebt der Künstler noch?«, fragte der Gast.
Sie nickte. »Ja. Herr Wurzellage aus Brake. Da kommt er auch schon.« Sie sah mit Erstaunen, dass der Mann mit dem Schlapphut und der blauen Lederjacke knapp lächelte, als er in die Galerie trat. So schön seine Bilder auch waren, meistens erlebte sie ihn in sich gekehrt, bisweilen sogar missmutig. Daher hatte sie auch eine Weile überlegt, ob sie ihn bitten sollte, auf den Laden aufzupassen, aber es war ihr als die beste Lösung erschienen. Auch wenn das Lächeln aus dem Gesicht des Mannes bereits wieder verschwunden war und sich die Falten des Missmuts über seine Augen gelegt hatten.
»Hallo, Herr Wurzellage. Sie können Ihre Jacke ins Büro bringen. Ich gehe mal und lasse Sie mit dem Herrn hier allein. Bis Ladenschluss bin ich zurück.« Sie wartete kaum die Antwort ab, dann hastete sie in die Wohnung und begann, sich umzukleiden. Aus dem Augenwinkel sah sie Änne, die bereits den dunkelblauen langen Rock, die weiße Spitzenbluse und die beige Schürze trug. Dazu eine weiße Haube. Ob dies eine original ostfriesische Tracht war, wusste sie eigentlich nicht genau. Änne hatte sie nach Bildern aus dem Internet genäht, und Meta fand sie wunderschön. Sie selbst trug die Tracht, die die Frauen der Baltrumer Gitarrengruppe bei ihren Auftritten getragen hatten, bevor sie sich im Jahr 2010 aufgelöst hatten. Es gab damals keinen Nachwuchs mehr, und auch der Musikgeschmack veränderte sich. Sie wusste, dass die Tracht passte, denn hin und wieder hatte sie die Sachen aus dem Schrank geholt und angezogen. Dann hatte sie ihre Gitarre genommen, sich an einsamen Winterabenden ins Wohnzimmer gesetzt und die alten Lieder gespielt. Änne hatte dabeigesessen und genäht und gestickt. Ihr Lieblingsmotiv auf Kissenbezügen war die Dünenlandschaft.
»Bist du fertig?«, hörte sie die helle Stimme ihrer Schwester aus dem Wohnzimmer.
»Einen Moment. Ich muss die Gitarre holen und meine Tasche packen.« Sie hatte über Jahre Fotos von den Bildern gemacht, die bei ihr ausgestellt waren. Natürlich hatte sie die Motive ausgewählt, die die Nordsee in all ihren Facetten zeigten. Darauf hatte sie bei ihrer Auswahl Wert gelegt. Sie hatte mit Erlaubnis der Künstler Postkarten anfertigen lassen, die sie nun verkaufen wollte.
Ob sie Wurzellage wirklich allein lassen konnte? Noch immer saß ihr der Ärger über die verschmierte Scheibe ein wenig im Nacken. Sie hatte dem Polizisten erzählt, dass es nicht das erste Mal war, dass sie Pferdemist abkratzen musste. Schon zwei Tage zuvor hatte sie dunkelbraune Streifen auf der Eingangstür festgestellt. War es wirklich ein verunglückter Kinderstreich, wie der Polizist vermutete? Aber was sollte sonst dahinterstecken? Sie hatte keine Ahnung. Sie und Änne kamen mit den Insulanern gut aus. Wer sollte etwas gegen sie haben? Nein, es würde gutgehen. Jetzt wartete das Fest beim Heimatverein. Sie stellte die Tasche in den Korb auf dem Gepäckträger ihres Rades.
»Pass auf, dass der Rock nicht in die Speichen gerät«, rief ihre Schwester, als sie losfuhren.
Es war schon ordentlich etwas los bei dem Bummert, dem alten ostfriesischen Doppelhaus, in dem der Heimatverein seine Ausstellung zeigte.
»Gut seht ihr aus.« Karola Meinert, die erste Vorsitzende, schaute die Schwestern freundlich an.
Meta meinte sogar, Bewunderung in deren Augen zu sehen.
»Du, Meta, kannst dich zu Herbert stellen, Änne, der Kuchenverkauf ist draußen. Das Wetter soll halten. Sonnig, aber nicht zu heiß. Wenn ihr Hilfe braucht, meldet euch. Ich muss drinnen nachsehen, ob die Ausstellung im Obergeschoss fertig ist.« Karola verschwand im Gebäude.
Meta atmete tief aus. Die Frau hatte eine Energie, das war unglaublich. Sie hatten vor vier Tagen die letzte von vielen Sitzungen gehabt, da Karola ständig etwas eingefallen war, was verbessert werden konnte. Die Ausstellung zu den 70ern hatte da längst gestanden, wäre auch sonst zeitlich ein wenig schwierig geworden. Sie hatten viele Themen zusammengetragen. Zum Beispiel gab es damals die Butterfahrten. Die Gäste fuhren mit Schiffen wie der Nordstern raus bis drei Meilen vor die Küste, und dann wurde eingekauft. Dänische Butterkekse, Kirschlikör, Zigaretten, Parfüm und vieles andere waren begehrte Objekte beim zollfreien Einkauf gewesen. Bis zum Jahr 1999 war dieser beliebte Ausflug fester Bestandteil des Urlaubs, dann änderte sich die Gesetzeslage.
Meta folgte Karola und sah, dass Herbert ihr zuwinkte. »Wir sind im hinteren Raum.«
Na gut, dann eben hinten. Sie wäre lieber draußen geblieben. Hier würden sich bestimmt nicht ganz so viele Besucher einfinden. Aber vielleicht hatten sie Glück. Herbert packte seine Tasche aus und verteilte Bernstein in allen Größen auf dem Tisch. Er war dafür bekannt, ein Auge für diese Millionen Jahre alten Fundstücke aus dem Meer zu haben. Wie einige andere Insulaner ebenfalls. Sie selbst konnte Stunden am Strand entlanglaufen und würde nicht einen Krümel finden. Sie legte ihre Karten dazu, voller Erwartung, wie der heutige Tag verlaufen würde.
»Ich bin gespannt auf die Gitarrengruppe«, sagte Herbert vergnügt und stellte eine kleine Kasse auf den Tisch.
»Das wird bestimmt gut. Ich singe natürlich mit. Schließlich war ich damals eines der jüngsten Mitglieder. Würdest du, wenn ich weg bin, auf meine Karten aufpassen?«
»Mache ich gerne. Was kosten sie?«
»Ein Euro das Stück. Ein Teil davon geht als Spende an den Heimatverein«, erklärte sie. Musste der Mann sie an ihren Auftritt erinnern? Bis jetzt hatte sie den Gedanken daran weit nach hinten geschoben. Immerhin war es ihr erster öffentlicher Auftritt mit Gesang seit mehr als 20 Jahren und es würde wohl auch ihr letzter bleiben. So hoffte sie zumindest. Sie hatte bei einer Vorstandssitzung die Idee vorgetragen, ob man nicht an die Erfolge der Gruppe – wie hieß es damals immer so schön? – junger Frauen und Mädchen erinnern sollte, die regelmäßig mit deutschem Liedgut die Gäste erfreute. Der Vorschlag war bestens angekommen. Es hatten sich einige Frauen, die das Gitarrenspiel beherrschten und auch singen konnten, bereit erklärt für einen Auftritt. Außer ihr waren zwei ehemalige Sängerinnen dabei. Sie hatten sich alte Musikkassetten angehört, die schönsten Lieder ausgesucht und einstudiert. Sogar ein paar Trachten waren aufgetaucht. So würde es hoffentlich ein schönes Bild abgeben, wenn sie vor dem Bummert standen und das Baltrumlied sangen.
»Auch ich werde einen Teil meiner Einnahmen spenden. Ich hoffe, es kommt ordentlich etwas zusammen«, holte Herbert sie aus ihren Überlegungen.
»Natürlich. Bernstein ist gefragt.« Sie sah, wie Herbert eine Dose öffnete und mehrere Ketten herausnahm. »Hat deine Frau die gemacht?«
»Ja. Es gelingt ihr immer besser.« Liebevoll legte er die Ketten nebeneinander ganz vorne auf den Tisch. Dann öffnete er eine Dose mit silbernen Ringen. Auch sie trugen jeweils einen dicken gelben Stein.