Baltrumer Dünensingen. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Dünensingen - Ulrike Barow страница 6
»Ich nehme von jedem Motiv eine.«
Erstaunt blickte Meta die Frau an, die zügig auf den Stand zugeeilt war. Immerhin hatte sie 35 verschiedene Motive anzubieten. Aber sie widersprach nicht, sondern nahm je eine Karte und reichte sie der Frau. »35 Euro bekomme ich bitte.«
Die Frau zog ihre Geldbörse aus der Tasche, legte das Geld auf den Tisch und steckte die Karten ein. So schnell, wie sie erschienen war, verschwand sie wieder.
So konnte es weitergehen. Dann wäre sie bis mittags mit dem Verkauf der Karten durch.
5
Sigmar Benedikt genoss den Tag. Gerade erst hatte er sich von seinen neuen Bekannten verabschiedet, nachdem sie jede Menge Erinnerungen ausgetauscht hatten. Wobei Hans und Marga natürlich die Entwicklung des Lebens auf der Insel genau begleitet hatten. Sie hatten nicht ein Urlaubsjahr ausgelassen, nachdem sie Anfang der 70er das erste Mal hier gewesen waren. Die beiden kannten jeden Strauch und jeden Stein. Keine Familiengeschichte war ihnen fremd, und sie erzählten gerne. Sigmar musste innerlich lachen, als er am Schwimmbad vorbeikam.
Hans und Marga waren damals zum Nacktbaden ins Wellenbad gegangen. »Die Vorhänge wurden zugezogen vor den großen Fenstern«, beschrieben sie. »Da war immer gut was los.«
Die Zeiten waren vorbei. Aber das störte ihn nicht. Schwimmen war nicht seine Leidenschaft, ob nun mit Badehose oder ohne. Ganz im Gegensatz zu Ulf. Der hatte sich nur kurz im Strandcafé aufgehalten, dann seine Tasche genommen und war zum Strand gegangen. Sigmar war schnell klar gewesen, dass sich Ulf für die Erinnerungen aus früheren Zeiten nicht interessierte. Warum auch? Für ihn war die Insel Neuland. Es hatte sowieso größerer Überredungskunst seinerseits bedurft, Ulf mit auf die Insel zu bekommen. Aber letztendlich hatte er eingewilligt unter der Voraussetzung, dass er sich nicht ständig alte Geschichten anhören musste.
In Höhe des Hotels Seehof kam ihm Bernd, der Dritte im Bunde, entgegen. Auch er war der Runde ferngeblieben. Er begrüßte ihn freundlich, aber Bernd nickte nur kurz und ging weiter. Marga hatte erzählt, dass Bernd morgens immer etwas verschlafen auftrat, wobei Sigmar feststellte, dass es eigentlich bereits Mittag war. Er beschleunigte seine Schritte. Er musste sich ein wenig beeilen, wenn er den Auftritt der Gitarrengruppe miterleben wollte.
Tatsächlich hörte er bereits fröhlichen Gesang, als er das Heimatmuseum erreichte. Wie gut, dass Ulf nicht bei ihm war. Das wäre gar nichts für seinen Mann gewesen. Er holte sich ein Bier und setzte sich ins Gras. Die Gedanken sind frei. Waren sie das wirklich? Durfte man ihnen erlauben, frei zu sein? Was würde dann passieren? Dass sich zum Beispiel der Gedanke den Weg bahnte, ob er mit Ulf den Rest seines Lebens verbringen wollte. Nicht, dass er ihn nicht liebte. Aber er hatte in letzter Zeit immer häufiger das Gefühl, dass Ulf von ihm genervt war. Die Pflege des Terrariums, die Spaziergänge auf Harriersand, der Insel in der Weser, die Theaterbesuche in Bremen, all das, was ihnen einmal Spaß gemacht hatte, begleitete Ulf inzwischen mit einem müden Lächeln. Er hatte sich bis jetzt nicht getraut zu fragen, was Ulf am gemeinsamen Leben störte. Aber spätestens, wenn sie wieder zu Hause waren, dann … Er nahm es sich fest vor.
Unter kräftigem Beifall verneigten sich die Damen. War das schon das Ende? Nein.
Eine der Sängerinnen blickte freundlich in die Runde. »Meine Damen und Herren, danke für den Applaus. Zum Abschluss möchten wir ein Lied vortragen, das die Gitarrengruppe nie gesungen hat, obwohl es 1977 ein großer Erfolg war. Nämlich Himbeereis zum Frühstück von Hoffmann&Hoffmann. Gerne hätten wir einen Elvis-Song eingeübt, aber das haben wir uns auf die Schnelle nicht getraut. Außerdem werden Sie in den nächsten Tagen mehr von diesem begnadeten Sänger hören. Denn morgen treten die Emilys im Haus des Gastes auf. Und am Donnerstag um 18 Uhr treffen wir uns alle zum Singen im Dünental bei der Katholischen Kirche. Dass mir keiner fehlt! Und wenn Sie bis dahin nichts vorhaben, dann schauen Sie sich heute Abend bei uns den Film Baltrum in alten Zeiten an. Sie werden staunen, wie sehr sich das Leben auf der Insel in den letzten Jahren verändert hat.« Schon setzten die Gitarren ein.
Sigmar blieb sitzen, bis das Lied zu Ende war, trank den Rest Bier und beschloss, den Ausstellungsräumen einen Besuch abzustatten.
»Sigmar? Bist du das?«
Vor ihm stand eine der Sängerinnen. Es dauerte ein paar wackelige Momente, bis er aufrecht stand. Seine Beine weigerten sich, die gemütliche Ruheposition aufzugeben. Aufmerksam schaute er die Frau an, dann lächelte er. »Inselkeller?«
»Genau. Meta. Ich habe damals hinter der Theke gestanden und euch mit Bier versorgt. Dich und unseren DJ Freddy. Und das den ganzen Sommer lang.«
Langsam kam die Erinnerung. Aber konnte es wirklich sein, dass das blonde schlanke Mädchen mit dem Dauerlachen im Gesicht jetzt hier als ältere Dame mit in Tracht gehülltem kräftig gebautem Körper vor ihm stand? Schmerzhaft erkannte er, dass auch an ihm 40 Jahre nicht spurlos vorübergegangen waren. Damals hatte er beim Kauf einer Hose nicht nach Größe 56 fragen müssen.
»Aber wieso weißt du nach so langer Zeit meinen Namen?«, fragte er verblüfft. »Und dass du mich wiedererkannt hast, finde ich auch bemerkenswert.«
»Na, immerhin hast du mich auch gleich in den Inselkeller verortet. Ich denke, es ist deine blonde Locke. Ich habe später nie wieder einen Menschen gesehen, dem eine blonde Locke fast bis in die Augen fällt. Heute wie damals.«
Klar. Die Locke war sein Markenzeichen. Er war genaugenommen sogar ziemlich stolz darauf. Ulf hatte einige Male schon vorgeschlagen, sie abzuschneiden. Aber er hatte sich strikt geweigert.
»Außerdem habe ich in den ganzen Jahren, glaub es oder nicht, kaum jemanden getroffen, der Sigmar heißt. Ein seltener Name.«
Das war ihm nie aufgefallen, aber sie mochte wohl recht haben. »Was machst du, wenn du nicht gerade singst? Vermietest du?«
»Ich betreibe die Galerie Eiland. Schau mal rein. Der Künstler, den ich momentan ausstelle, ist im Laden. Meine Schwester Änne, an die du dich vielleicht auch erinnerst, betreibt das Haus. Wo wohnst du?«
»Bei Flegels im Haus Emma. Mein Mann und ich bleiben eine Woche«, erklärte er.
»Dann sehen wir uns bestimmt. Ich muss zurück zu meinem Stand.«
Ehe er etwas fragen konnte, war Meta verschwunden. Er brachte sein Glas zurück und schlenderte durch die Ausstellung.
Immer wieder blieb er stehen, wenn bei dem Anblick der Exponate Erinnerungen wach wurden. Er musste unbedingt in Erfahrung bringen, ob Freddy auf der Insel geblieben war. Aber das würde er schon herausfinden.
Er verließ den Bummert. Das Wetter zeigte sich an diesem Tag von seiner besten Seite. Ein kleiner Spaziergang würde jetzt guttun. Er ging am Nationalparkhaus vorbei und hinter dem Restaurant Witthus wieder ins Dorf. Da waren die Inselglocke und gleich daneben die alte Kirche. Nur die Feuerwehr schien den Standort gewechselt zu haben. Das Haus neben der Kirche hieß jetzt Alte Schule. Er folgte der Straße, wich einem Pferdewagen aus und bog mal links und mal rechts ab. Dann sah er hinter einer großen Schaufensterscheibe mehrere Bilder. Ob das Metas Galerie war? Ein Bild fiel ihm besonders auf. Es erinnerte ihn an den Blick,