Baltrumer Dünensingen. Ulrike Barow

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Baltrumer Dünensingen - Ulrike Barow

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und grüßte mit einem freundlichen »Moin«. Doch eine Antwort blieb aus.

      Er schaute sich die anderen Bilder an. Es waren überwiegend Aquarelle, aber auch einige Kohlezeichnungen, die ihm jedoch ziemlich nichtssagend erschienen. Nach ein paar Minuten hatte er alles gesehen und überlegte, ob er einfach wieder gehen und den Laden allein lassen konnte. Aber letztendlich ging es ihn nichts an, wenn der Künstler meinte, mal eben auf ein Mittagessen zu verschwinden. Oder war er unterwegs, um einen Besen zu holen? Mitten im Raum lagen Pappröhrchen und drumherum war der Boden mit schwarzem Staub bedeckt. Ein weiteres Mal machte er sich bemerkbar, doch vergebens. Er warf einen letzten Blick auf das Bild mit dem Blick über die Weser. Ulf hatte in drei Wochen Geburtstag. Er konnte sich gut vorstellen, das Bild als Geschenk über der Anrichte im Esszimmer aufzuhängen. Gab es eine Signatur? Er schaute genauer und erstarrte. Ausgerechnet Peter Wurzellage? Dieser vollblöde Idiot, mit dem er vor einiger Zeit heftig aneinandergeraten war? Der Mann, der sich selbst als den besten Künstler der Gegenwart bezeichnete? Der Mann wohnte in Brake, dem gleichen Ort, in dem auch Ulf und er lebten. Er, Sigmar, hatte bis zur Rente bei der Stadtverwaltung gearbeitet. Eines Tages war Wurzellage dort mit wehendem Mantel, ohne zu klopfen, in sein Büro gerauscht und hatte sich beschwert, dass man seinem Auto einen Strafzettel unter die Scheibenwischer geklemmt hatte. Sigmar wusste mit der Situation nichts anzufangen, war er doch beim Einwohnermeldeamt beschäftigt. Das war Wurzellage jedoch völlig egal. Der Mann hatte einfach die erste Tür im Rathausflur geöffnet, und das war dummerweise seine gewesen. Wurzellage baute sich vor dem Schreibtisch auf und hielt eine flammende Rede über die Freiheit der Kunst und die Beugung des Rechts. Er bestand darauf, dass genau dort, wo er sein Fahrzeug abgestellt hatte, nirgendwo ein Hinweisschild auf ein Park- oder Halteverbot hinwies. Er wetterte so lange, bis Sigmar einen Anruf tätigte und zwei seiner Kollegen erschienen, die sich mit solchen Fällen auskannten. Sie hatten den Mann ohne große Umstände vor die Tür gesetzt. Beim Abendessen mit Ulf hatte Sigmar erst einmal seinen Ärger rausgelassen. Es geschah immer häufiger, dass er sich Konfrontationen ausgesetzt sah und hatte kaum sein Leben als Rentner erwarten können. Er war froh, als er endlich morgens nicht mehr ins Büro fahren musste. Der Name Wurzellage verfolgte ihn jedoch immer wieder, brachte die Heimatzeitung doch gerne Berichte über ihn. Mal positiv, meist negativ. Besonders, wenn er wieder einmal zig Fotos von Nummernschildern bei der Polizei abgegeben hatte, um Falschparker anzuzeigen. Dieses Hobby hatte er sich offensichtlich ausgesucht, nachdem er selbst bei dieser von ihm bestrittenen Ordnungswidrigkeit erwischt worden war. Aber das war Geschichte. Das Aquarell gefiel ihm trotzdem. Ein letzter Versuch. Im hinteren Teil des Ladens bemerkte er eine halbgeöffnete Tür. Ob sich der Künstler dort verschanzt hatte?

      Vorsichtig schob er die Tür auf. Er erkannte ihn sofort. Es war Wurzellage, der in dem Bürosessel saß, nein, eher lag, den Kopf nach hinten geklappt und mit offenen Augen an die Decke starrend. Was war mit dem Mann los? »Herr Wurzellage, hören Sie mich?« Er reagierte nicht. Er ging zu ihm, sprach ihn eindringlich ein weiteres Mal an und griff nach seinem Arm. Im gleichen Moment kippte der Kopf des Mannes nach vorne und der Körper rutschte, ohne dass Sigmar ihn halten konnte, vom Sessel. Mit einem hellen Knacken schlug das Gesicht auf den Fußboden.

      Sigmar kniete sich neben ihn, fühlte, ob die Halsschlagader pulsierte, doch er spürte nichts. Aufgeregt wollte er nach seinem Telefon greifen, doch schnell merkte er, dass er es nicht eingesteckt hatte. In der kurzen Sommerhose war für das Teil einfach kein Platz gewesen. Er blickte sich um und tatsächlich sah er auf dem Schreibtisch ein ganz altertümliches grünliches Gerät mit Wählscheibe stehen. Er griff nach dem Hörer und wählte die 112, doch es erfolgte keine Reaktion. Das Einzige, was er hörte, war, dass die Ladentür schlug. Er warf den Hörer zurück auf den Schreibtisch mit der Folge, dass das Telefon mit lautem Scheppern auf den Boden fiel. Er kniete sich erneut neben Wurzellage und versuchte, seinen Puls zu ertasten.

      »Helfen Sie mir«, rief er angespannt, »hier ist ein Notfall!«

      »Sigmar?« Ulf stand vor ihm, das Gesicht schlagartig weiß und angespannt.

      »Ruf den Notdienst«, stieß Sigmar hervor.

      Nervös zog Ulf sein Handy aus der Hosentasche und gab die Meldung durch, dann steckte er es mit zitternden Fingern wieder ein. »Die Ärztin kommt.« Er zögerte einen kurzen Moment, dann fragte er: »Hast du mir nichts zu sagen? Das ist doch dein Lieblingsfeind da unten.«

      »Er saß auf dem Stuhl, dann ist er runtergerutscht.«

      »Aber warum? Hast du dafür gesorgt, dass …?«

      »Aber …« Er kam nicht dazu zu antworten, denn wieder öffnete sich die Tür, und gleich darauf stand ein Polizist im Raum.

      »Was ist hier los?« Seine Stimme klang scharf. »Treten Sie zurück!«

      Sigmar stolperte beinahe über das Telefon, als er der Anweisung des Polizisten Folge leistete. »Es ist nicht so, wie Sie denken«, stotterte er.

      »Ich glaube nicht, dass Sie wissen, was ich denke«, antwortete der Polizist nachdrücklich. »Die Ärztin und mein Kollege werden gleich hier sein. Solange bleiben Sie stehen, wo Sie sind. Beide.«

      Sigmar merkte eine kolossale Wut in sich aufsteigen. Wieso war er immer der Blödmann? Selbst jetzt, da Wurzellage tot war, wenn er denn tot war – er hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, es genau festzustellen – gab es andere, die meinten, über ihn bestimmen zu können. »Wenn die Ärztin kommt, ist es gut. Dann kann ich gehen. Lassen Sie mich durch.«

      »Sie bleiben, wo Sie sind. Wenn Sie das nicht verstehen, fixiere ich Sie auch gerne am Tischbein. Sie haben die Wahl!«

      Was bildete sich dieser Kerl ein? Wie hieß der Kaugummi kauende Jungspund eigentlich? Er hätte sich zumindest mal vorstellen können. »Zeigen Sie mir bitte Ihren Dienstausweis!«

      Der Polizist kam der Aufforderung sofort nach. »Daniel Gebert«, las Sigmar. Na gut. Wenigstens wusste er jetzt, wie er den Mann ansprechen konnte.

      »Wie sind Ihre Namen?« Der Polizist nahm sein Handy aus der Tasche.

      »Sigmar Benedikt. Und das ist mein Mann Ulf Martens.«

      »Kennen Sie den Mann dort?« Gebert zeigte auf Wurzellage.

      »Wir kennen ihn. Das heißt, mein Mann kennt ihn«, sagte Ulf. »Er kommt aus Brake, genau wie wir.«

      Daniel Gebert horchte auf. »Die Ärztin ist da. Jetzt treten Sie zur Seite. Genau dorthin!« Er zeigte auf einen schmalen Flur, der vom Büro ausging. »Dort warten Sie auf meinen Kollegen.«

      »Geht es auch etwas freundlicher?«, murmelte Ulf und schlurfte ganz langsam die drei Meter Richtung Flur, mit gesenktem Kopf an Sigmar vorbei. Der folgte ihm ohne Widerspruch.

      6

      Es hatte sich bereits eine sehr interessierte Menschenmenge vor dem großen Schaufenster versammelt, als Röder eintraf. Der Rettungswagen stand vor dem Eingang der Galerie, das hatte die Menschen wohl neugierig gemacht.

      Daniel ließ ihn herein und informierte ihn mit knappen Worten über die Lage.

      Röder rief Meta an und sie versprach, sofort zu kommen. Dann begrüßte er Ellen Neubert, die Ärztin, und die Rettungssanitäter. »Wie sieht es aus?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nicht gut. Aber gib uns ein paar Minuten.«

      »Wo sind die beiden Männer?«

      Daniel deutete in den Flur. »Da stehen sie und warten. Ich habe sie dorthin gebeten, damit sie keine Spuren verwischen und aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit

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