Baltrumer Dünensingen. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Dünensingen - Ulrike Barow страница 11
Er setzte sich auf die Strandmauer und aß den Rest des Brötchens. Verträumt schaute er auf die Buhnen, die wie Finger in die sanften Wellen ragten. Noch stand die Sonne am Himmel, und es würde bestimmt zwei weitere Stunden dauern, bis sie am Horizont verschwand. Damit war die Entscheidung gefallen. Er stand auf und ging zurück zum Marktplatz, dann weiter an der Volksbank und der großen evangelischen Kirche vorbei zum Heimatmuseum. Auch hier herrschte reges Treiben. Die Menschen gingen rein und raus. Der eine oder andere warf einen traurigen Blick zu dem Tisch, wo zwei Frauen die letzten benutzten Teller in Kisten verpackten. Der Kuchen war alle, ebenso der Likör, der am Nachbartisch verkauft worden war. Er schaute auf die Uhr. 19.30 Uhr. Er stieg die Stufen nach oben in den großen Raum. Dort wurde emsig gearbeitet. Schaukästen wurden zur Seite geschoben und Klappstühle aufgestellt.
»Sigmar, wie geht es dir?« Meta stand vor ihm und schaute ihn prüfend an. »Was hat die Polizei von dir gewollt?«
»Nichts weiter. Nur den genauen Ablauf. Wie ich ihn gefunden habe und so«, brummte er. Er hatte keine Lust, über den Nachmittag auf der Wache nachzudenken. Schon gar nicht über die Auslassungen seines Gatten. Er wollte den Abend genießen. Sonst nichts.
»Dann ist es gut. Mich hat die Polizei mit Fragen gelöchert und die Bude auf den Kopf gestellt. Danach musste ich erst einmal raus und habe mich spontan zum Aufräumen gemeldet. Ich hoffe, du bleibst auf der Insel. Es wird in dieser Woche so viel geboten.« Meta lächelte. »Wenn ich mich erinnere, warst du ein Meister im Rock’n’Roll. Also darfst du morgen den Auftritt der Emilys nicht verpassen.«
»Ich werde da sein. Versprochen.« So sicher, wie er tat, war er allerdings nicht. Was war, wenn Ulf die Insel verließ? Würde er mit ihm fahren? Schließlich waren sie gemeinsam mit dem Auto angereist. Das dürfte jedoch kein Problem sein. Wofür gab es die Deutsche Bahn?
Er zog einen Stuhl heran und setzte sich, auch wenn der Film erst in einer Viertelstunde begann.
Allmählich füllte sich der Saal, und als es 20 Uhr schlug, begrüßte ein älterer Herr die Zuhörer. »Liebe Gäste«, begann er, »unsere Woche mit dem Blick in die 70er hat wunderbar begonnen. Gleich schauen wir ein wenig weiter zurück. Doch bevor es richtig losgeht, möchte ich Ihnen eines der vielen Gedichte von Christel Sauerborn vorlesen. Sie hat unsere Insel und dabei einen ganz besonderen Mann in das Zentrum ihres künstlerischen Schaffens gesetzt. Viele von Ihnen werden ihn kennen.« Er nahm ein Blatt aus seiner Mappe und begann.
»Hört, ihr Leute, die Geschichte
von dem Herrn Direktor Fichte,
der zum Zwecke einer Kur
auf die Insel Baltrum fuhr.«
Andächtig hörte Sigmar zu. Für Herrn Direktor Fichte hätte er sich damals sicher nur interessiert, wenn er ihm im Inselkeller oder im Kiek Rin als schmucker Typ aufgefallen wäre. Aber er mochte das Gedicht. Es passte wunderbar zu diesem Abend. Als der Film begann, war er nur noch gespannt, ob er etwas wiedererkennen würde. Und tatsächlich entdeckte er das Häuschen, in dem er sein Fischbrötchen gekauft hatte. Damals war es ein Blumenladen gewesen. Vieles andere kroch in seine Erinnerungen. Stadtlander hatte damals ein völlig anderes Gesicht gehabt, und das ehemalige Reedereigebäude war nun Nationalparkhaus.
Der zweite Teil zeigte Baltrum im Winter. Er überlegte, ob es für ihn vorstellbar wäre, ganzjährig auf dieser Insel zu wohnen, oder ob es in der kalten Jahreszeit zu langweilig wäre. Nein, es könnte eine Option sein. Man musste sich nur zu beschäftigen wissen und damit leben können, dass die Fähre durchaus mal wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse nicht fahren konnte. Da nützte es nichts, einem langgeplanten Termin am Festland hinterher zu trauern. Im krankheitsbedingten Notfall konnte ein Hubschrauber angefordert werden. Aber wirklich nur dann. Und wenn die Schneemassen so hoch waren wie im Winter 1978, dann bedurfte es größter Anstrengungen beim Räumen eines Landeplatzes für den Hubschrauber.
Das größte Problem wäre allerdings Ulf. Sigmar konnte sich seinen Mann nicht dauerhaft auf dieser Insel vorstellen. Dessen Hobbys waren Sport, Lesen, sein Schützenverein und der Braker Bridgeklub. Darauf würde er nicht verzichten wollen. Sigmar war sich sicher, dass Ulf eher auf ihn verzichten würde. Zumal jetzt, da Ulf offensichtlich davon überzeugt war, dass er mit einem Mörder zusammenlebte. Also bis vorhin. Jetzt lebte er in Zimmer 7.
Kräftiger Beifall riss ihn aus seinen Gedanken. Der Film war zu Ende. Der ältere Herr verabschiedete die Zuschauer mit freundlichen Worten. Sigmar erhob sich schwerfällig. Seine Knie mussten erst wieder ans aufrechte Stehen gewöhnt werden.
Vor dem Bummert holte er tief Luft. Es war nicht einmal ganz dunkel, also viel zu schade, jetzt bereits sein Zimmer aufzusuchen. Was also war die Alternative?
Ein Bier im Käpt’n BRASS? Das wäre es doch. Es war nicht weit. Nichts war eigentlich weit auf dieser Insel.
Schon aus der Ferne hörte er fröhliches Gelächter. Es schien gut etwas los zu sein. Aber wie sollte es auch anders. Es war wunderbares Wetter und die Insel voller Gäste. Als er sich näherte, stellte er jedoch fest, dass die Stimmen nicht aus der Kneipe kamen, die er von früher so gut kannte. Die gab es nicht mehr. Dort war alles dunkel. Aber ein Haus weiter, wo sich das Lebensmittelgeschäft befunden hatte, standen nun Stühle vor der Tür, und ein buntes Schild zeigte an, dass sich dort das Sturmeck befand. Nun gut, dann eben hier. Er stieg die paar Stufen hoch und drängte sich an einem Mann vorbei, der beinahe den ganzen Eingang versperrte. »Entschuldigung, wenn ich mal bitte …« Verblüfft blieb er stehen. Das gab es nicht. »Freddy? Bist du es wirklich?«
Der Mann zögerte kurz, dann nickte er. »Ich weiß, wer du bist. Auch wenn du in den letzten Jahren ein paar Kilo zugenommen hast.« Freddy nahm einen tiefen Zug von der Zigarette und ließ sie fallen.
»Ey, hier stehen genug Aschenbecher rum«, rief jemand erbost.
»Ist ja gut.« Freddy bückte sich, nahm den Stummel und drückte ihn im Aschenbecher aus. »War nur ein Versehen.«
»Das mit den Kilos ist den vielen Jahre auf dem Bürostuhl geschuldet«, erklärte Sigmar, »aber ansonsten bin ich ganz der Alte.«
»Na prima. Dann können wir beide morgen ordentlich abtanzen, wenn die Emilys spielen. Aber dass du mir nicht wieder das Mischpult umwirfst!«
»Daran kannst du dich erinnern?«, fragte Sigmar ungläubig.
»Ich kann mich sehr genau an dich erinnern. Vielleicht liegt es daran, dass ich seitdem beinahe jeden Tag an dich und den schönsten Sommer meines Lebens gedacht habe. Komm her, lass dich drücken. Eine geile Woche kann beginnen.« Gleich darauf lagen sie sich in den Armen. Sigmar merkte nicht, dass jemand die Situation genau beobachtete, sich dann umdrehte und verschwand.
8
»Meine Güte, so spät war es gar nicht.« Sandra goss sich eine Tasse Kaffee ein und stellte die Kanne energisch zurück auf die Korkunterlage.
Nein, war es nicht. Röder musste seiner Frau zustimmen. Trotzdem war er hundemüde und das zu recht, wie er fand. Brinkmann und Haltegrund waren erst nach genauer Inaugenscheinnahme der Galerie und des Zimmers von Wurzellage am späten Nachmittag abgefahren. Der Abtransport der Leiche zur Obduktion nach Oldenburg hatte sich hingezogen, und die Befragung der beiden Männer hatte nichts Neues ergeben, jedoch viel Zeit gekostet. Nur eine Sache war ihm aufgefallen. Nämlich dass der eine, Martens, offensichtlich seinem Gatten, dem Benedikt, nicht über den Weg traute. Beziehungsweise immer Erklärungen losließ, die Benedikt nicht